Hamburg. Hamburger Forscher entdecken Wirkstoff, der medizinisch von großem Nutzen sein kann – auch im Kampf gegen multiresistente Keime.

Wie andere zoologische Einrichtungen steht auch der Tierpark Hagenbeck regelmäßig Schulen und Universitäten für Forschungen und Studien zur Verfügung. Während es dabei meist um Fragen zu Tierwelt und Artenschutz geht, lieferte eine Studie der Uni Hamburg nun Erkenntnisse von hoher medizinischer Bedeutung.

Dieses Mal untersuchte ein Forscherteam aus Mikrobiologen und Biotechnologen den Biofilm auf den Steinkorallen, die im Tropenaquarium von Hagenbeck wachsen. Sie analysierten fünf unterschiedliche Arten – und machten eine sensationelle Entdeckung: bisher unbekannte antimikrobielle Stoffe, die die Korallen vor Infektionen schützen und somit auch in der Humanmedizin eingesetzt werden könnten.

Hagenbeck: Forscher entdecken bei Tierpark-Korallen Alternative zu Antibiotika

Das Enzym, das für den Rückgang der Bakterien zuständig ist, könne aggressive Chemikalien ersetzen und Alternativen zu bereits bekannten Antibiotika aufzeigen, sagt Ines Krohn, die den Bereich Marine-Biotechnologie an der Uni Hamburg leitet und dort untersucht, welche Substanzen aus dem Meer für Menschen von Nutzen sein können.

Mikrobiologin Dr. Ines Krohn forscht an der Uni Hamburg nach Substanzen aus dem Meer, die den Menschen von Nutzen sind.
Mikrobiologin Dr. Ines Krohn forscht an der Uni Hamburg nach Substanzen aus dem Meer, die den Menschen von Nutzen sind. © privat | Privat

Denkbar sei ein Einsatz bei multiresistenten Keimen, bei denen Antibiotika nur noch begrenzt wirken. Substanzen aus Korallen (wie die von Hagenbeck) und den mit ihnen verbundenen Bakterien könnten dazu eine Alternative sein – noch dazu eine, die in der Umwelt leicht abgebaut werden könne und damit nachhaltig sei.

Bundesministerium fördert Forschungsprojekt mit internationaler Beteiligung

„Das ist für die Wissenschaft eine Erkenntnis von wirklich großer Tragweite und Relevanz“, sagt Ines Krohn. Jetzt müsse man überlegen, ob man ein Patent auf die Untersuchungsergebnisse anmelde und sich Kooperationspartner aus der Medizin- und Kosmetikbranche suche, um eine Optimierung und die Anwendung der Enzyme im industriellen und medizinischen Bereich zu etablieren.

Durchgeführt hat die promovierte Mikrobiologin die Untersuchungen mit einem Team aus sechs Studierenden und Professor Dr. Wolfgang Streit, der an der Uni Hamburg die Abteilung Mikrobiologie & Biotechnologie leitet. Die Hamburger Wissenschaftler hatten die Federführung des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts, an dem auch die Universität Kiel und internationale Forschergruppen beteiligt waren.

Korallen von Hagenbeck: Enzym in Biofilm hemmt Wachstum externer Bakterien

Die Korallenproben wurden bereits vor fünf Jahren aus den Becken im Tierpark Hagenbeck entnommen. „Während Corona konnten wir nur mit angezogener Handbremse forschen, sprich: im Schichtbetrieb“, so Krohn. Doch auch ohne die Pandemie dauere Forschung immer ein bisschen.

Die Wissenschaftler hatten die Korallenproben zunächst im Labor der Uni Hamburg zerkleinert und sogenannte Anreicherungskulturen angelegt, um das physiologische Potenzial der Mikroorganismen zu entschlüsseln. Diese Kulturen wurden dann einer komplexen Untersuchung (Deep-Omic-Analyse) unterzogen, um Enzyme mit antibiotischen Eigenschaften zu identifizieren.

So sieht die kleinpolypige Steinkoralle aus, die eine Alternative zu Antibiotika liefern kann – wie an Korallen von Hagenbeck untersucht wurde.
So sieht die kleinpolypige Steinkoralle aus, die eine Alternative zu Antibiotika liefern kann – wie an Korallen von Hagenbeck untersucht wurde. © Hagenbeck | Hagenbeck

Bei der Probe einer kleinpolypigen Steinkoralle (Montipora foliosa) stellte sich heraus, dass in deren Biofilm (der sich aus den Algen und Bakterien an ihrer Oberfläche bildet), ein bisher unbekanntes Enzym das Wachstum von externen Bakterien um rund 40 Prozent verringern konnte.

Mikrobiologin: Stoffe aus Mikroorganismen der Koralle können Chemikalien ersetzen

Mit diesen Forschungsergebnissen könnten zum Beispiel Krankheitserreger in der Humanmedizin bekämpft werden, die sich auf künstliche Gelenke oder Katheter setzen und oftmals schwere Krankheiten verursachen, freut sich die Mikrobiologin.

Ganz überraschend kam die spektakuläre Erkenntnis nicht. „Wir haben schon in den Voruntersuchungen festgestellt, dass in den Biofilmen auf der Korallenoberfläche das Potenzial steckt, die Korallen vor externen Bakterien zu schützen. Unsere jetzigen Untersuchungen haben wir daher auf klinisch relevante Mikroorganismen ausgeweitet.“

Forschungsprojekt aus Hamburg wird in der Fachwelt für Aufmerksamkeit sorgen

In der Fachwelt wird die Entdeckung der Hamburger Wissenschaftler für Aufmerksamkeit sorgen. Eine der am Projekt teilnehmenden Studentinnen hat eine Doktorarbeit über die Forschungsergebnisse geschrieben. Vor allem aber wurde die neue Studie gerade im renommierten Magazin „Applied Microbiology and Biotechnology““ veröffentlicht.

„Wir sind eine Exzellenz-Uni, da sind solche Veröffentlichungen wichtig“, so die Mikrobiologin, die seit 2013 im Biozentrum in Klein Flottbek die Interaktion von Algen, Bakterien und marinen Ökosystemen untersucht. In der rund 40-köpfigen Abteilung Mikrobiologie & Biotechnologie wird unter anderem zum Plastikabbau in den Meeren oder zur Interaktion von Mikroorganismen in Biofilmen geforscht. „Es geht dabei immer auch um ökologisch relevante Aspekte.“

Hagenbeck Forschungsergebnisse werden auf medizinische Anwendbarkeit geprüft

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Auch der Tierpark Hagenbeck ist stolz auf den Erfolg der Wissenschaftler und darauf, dass die Ergebnisse aus dem Korallen-Projekt nun auf ihre medizinische Anwendbarkeit geprüft werden.

Guido Westhoff, zoologischer Direktor von Hagenbeck, vor den Korallen-Becken, aus denen Wissenschaftler der Uni Hamburg die Proben nahmen.
Guido Westhoff, zoologischer Direktor von Hagenbeck, vor den Korallen-Becken, aus denen Wissenschaftler der Uni Hamburg die Proben nahmen. © Tierpark Hagenbeck | Tierpark Hagenbeck

„Dieses Ergebnis ist ein schönes Beispiel für eine gelungene Kooperation zwischen zoologischen Einrichtungen und Forschungseinrichtungen“, sagt Guido Westhoff, zoologischer Direktor von Hagenbeck. „Es freut mich aber auch sehr, dass der Nutzen für die Gesellschaft weit über die gewonnenen zoologischen Erkenntnisse hinausgeht.“