Auf Hamburgs traditionellem Wochenmarkt unter der U-Bahn machen sich Kunden für eine Käsehändlerin stark, die ihre Verkaufslizenz verloren hat.

Diese Geschichte kennt vor allem zwei Verlierer: die Hamburger Marktbeschickerin Tania Hencke und ihre Stammkundschaft. Die schätzt ihren Verkaufsschlager, den angeblich besten Fleischsalat der Stadt. Denn für den bürgt ihr traditionsreicher Marktstand mit seinem Namen "Käse-Schümann". Hier wird die geheime Rezeptur seit 14 Jahren auf vier der beliebtesten Hamburger Wochenmärkte exklusiv vertrieben, und zwar in Wandsbek, am Turmweg, am Goldbekufer und natürlich auch unterm Hochbahn-Viadukt auf dem Harvestehuder Isemarkt. Der ist Hamburgs Paradewochenmarkt, außerdem eine Touristenattraktion und nicht zuletzt Geldvermehrungsstation.

Nun ist es allerdings so, dass die Schümanns ihre beiden Marktwagen vor gut einem Jahr an Tania Hencke und ihren Lebensgefährten verkauft haben. Herr Schümann, so ist zu hören, fühlte sich zu alt, seine Frau war ernsthaft erkrankt. Beides keine guten Voraussetzungen für den harten, wenn auch einträglichen Beruf des Händlers. Letzteres vor allem, wenn man seine Waren auf den lukrativen Märkten der Stadt anbieten kann. Oder darf.

+++ Zuckerwasser als Wundermedizin verkauft +++

Die beiden hoffnungsvollen Käufer Tania Hencke und Sven Dahl, beide zwischen 40 und 50 und damit im besten Alter für diese Aufgabe, sind vom Fach. Denn Herr Dahl ist derjenige, der in vierter Generation den berühmten Fleischsalat (für "Käse-Schümann") zubereitet, Frau Hencke diejenige, die auf den Märkten an der Verkaufsfront steht. Für die betagten Marktwagen zahlte das Paar 10 000 Euro, plus eine Ablösesumme für den Namen "Schümann" und die lukrativen Standorte. Über die Ablösesumme hat man Stillschweigen vereinbart, sie bewegt sich im hohen fünfstelligen Bereich und kann einem Schweißperlen auf die Stirn treiben. Dennoch wäre sie für die Standorte Isemarkt und Goldbekufer vielleicht gerechtfertigt, irgendwie.

Heute sagt Tania Hencke: "Wir waren schrecklich blauäugig, nee, wir waren sogar richtig dumm. Wir hätten uns vorher erkundigen sollen." Denn seit sechs Wochen darf sie mit ihrem Marktwagen nicht mehr am Goldbekufer stehen. Andere Händler hatten das zuständige Bezirksamt Hamburg-Nord darauf aufmerksam gemacht, dass sie keine Lizenz besitzen würde. Sie sei ja keine Schümann. Und mit dieser Woche sind deshalb für sie auch die Tage auf dem Isemarkt gezählt. So will es das Gesetz. Die Marktordnung.

Mit einem Schlag hat das Paar nicht nur weit mehr als 60 Prozent des Umsatzes verloren, sondern wohl auch die hohe Ablösesumme umsonst bezahlt. Das ist ein Schlag ins Kontor, wenn man gerade ein Haus gekauft hat, einen neuen, starken Mercedes-Diesel als Zugwagen geleast hat, zwei Angestellte bezahlen und überdies vier Kinder durchbringen muss. Mit dem geplanten Amerika-Schüleraustausch ihres Ältesten könnte es jetzt nichts werden. "Im Prinzip sind wir ruiniert", sagt Tania Hencke tonlos und wundert sich selbst am meisten darüber, dass sie immer noch so ruhig ist. Vielleicht liegt das an der beispiellosen Solidarität ihrer Isemarkt-Kunden, die schon Bestechung und Korruption witterten. In Anbetracht der Tatsache, dass sie ja auch zukünftig auf ihren Lieblingsfleischsalat (nebst der ordentlichen Käseauswahl) verzichten müssen, will ihnen nicht einleuchten, dass ein solch traditionsreicher Marktstand bloß durch einen schnöden Besitzerwechsel seine Marktlizenz verliert. So mancher sieht dadurch bereits die freiheitlich demokratische Grundordnung gefährdet. Oder die soziale Marktwirtschaft, im wahrsten Sinne des Wortes.

"Ja", sagt auch Klaus-Günter Scholz, der für die Einhaltung der Zulassungs- und Benutzungsordnung für Wochenmärkte im Bezirksamt Eimsbüttel zuständig ist, "Frau Hencke hätte sich in der Tat vorher schlaumachen sollen." Der Beamte wundert sich ein wenig, dass dem Paar der Absatz VI der Zulassungs- und Benutzungsordnung für Wochenmärkte nicht bekannt gewesen sei. "Verstirbt ein zugelassener Beschicker oder ergibt sich durch Rechtsgeschäfte (...) eine Rechtsnachfolge ganz oder teilweise - zum Beispiel in Fällen der Neugründung einer Gesellschaft bzw. Gemeinschaft (...), erlischt die Zulassung", zitiert Herr Scholz. Nur die Übergabe eines Betriebes an Kinder- oder Enkelkinder sowie an Witwen oder Witwer sei hiervon ausdrücklich ausgenommen. Frau Hencke hätte wissen müssen, dass der Kauf eines Marktwagens noch lange nicht das Recht beinhaltet, dort auf den Wochenmärkten zu stehen, wo der Wagen schon immer gestanden hat. Auf dem Isemarkt seit dem Jahr 1949.

Dabei fühlten sie sich so sicher, hatte doch der Herr Schümann während des Verkaufsgesprächs den cleveren Vorschlag gemacht, eine KG zu gründen: mit ihm als Teilhaber, mit ein paar lausigen Prozent Beteiligung, auf zehn Jahre nur. Erzählt Tania Hencke.

Dazu werde er sich nicht äußern, stellt Herr Scholz sachlich fest und zuckt die Schultern. Was wahrscheinlich heißen soll, dass der Herr Schümann wissentlich oder unwissentlich die Käufer, tja, übervorteilt haben könnte? Äußern tun sich inzwischen eh die Anwälte, und wie: "Ich will natürlich die Ablösesumme zurück, denn wir haben für Standorte gezahlt, die wir aufgrund der Neugründung der KG gar nicht hätten bekommen dürfen. Das hat uns der Herr Schümann verschwiegen", sagt Tania Hencke. Das bislang erste Antwortschreiben der Gegenseite empfindet sie als bodenlose Frechheit: Die Ablösesumme entspräche einer Leihgebühr, heißt es da. "Fortsetzung folgt", verspricht sie, doch ihre Augen schimmern jetzt doch ein wenig feucht, denn bisher habe ihr Anwalt für seine Bemühungen auch schon rund 10 000 Euro verlangt. Und auch bekommen. Außerdem sei man vor Gericht und auf See sowieso nur in Gottes Hand. Denn der Herr Schümann könne ja behaupten, dass die Idee mit der KG von ihr gekommen sei. Dann stünde Aussage gegen Aussage. Klaus-Günter Scholz nickt. Er hat schon viele harte Männer weinen sehen, nicht nur zartbesaitete Marktbeschickerinnen wie Tania Hencke. Er kennt solche Fälle zur Genüge, er kennt die Verzweiflung von Händlern, die mit allen Mitteln versucht haben, an die fetten Futtertröge zu gelangen. Aber die Marktordnung ist unerbittlich, fair, und die Marktmeister vor Ort sind unbestechlich. Es gibt in jedem Bezirksamt Bewerbungslisten, auf denen man sich zwingend eintragen muss. Die Faustregel lautet: Je attraktiver der Wochenmarkt, desto länger beträgt die Wartezeit. "Wer ordentlich verdienen will, muss sich ganz hinten anstellen, warten und hoffen", sagt Tania Hencke. Sie schätzt, dass ihre Rückkehr auf den Isemarkt frühestens in zwei Jahren anstehen könnte, wohl eher aber in vier. "Und dann kommt es natürlich auch darauf an, welche Waren jemand verkaufen will", erklärt Herr Scholz, "denn acht Käsestände auf einem Wochenmarkt ergeben schließlich keinen Sinn." Über die jeweilige Zulassung entscheide sowieso eine paritätisch besetzte Kommission, um jeden illegalen Versuch, sich das lukrative Marktrecht trickreich zu erschleichen, von vornherein zu unterbinden.

Herr Scholz hat keine gute Nachricht für Frau Hencke zu bieten: "Leider haben wir derzeit mehr Anfragen von Käseverkäufern, als Platz auf dem Isemarkt vorhanden ist." Frau Hencke müsse sich wohl oder übel auf eine längere Wartezeit einstellen. Und auch vom Bezirksamt Nord kam der abschlägige Bescheid fürs Goldbekufer."In der Wählingsallee in Schnelsen oder in der Grundstraße am Mittwoch könnte ich sie dagegen sofort unterbringen", schlägt Herr Scholz vor. Primäres Ziel sei es aber, die Wochenmärkte im Sinne der Konsumenten zu besetzen. Und ab und zu "müsse eben auch mal frisches Blut auf die Märkte".

Tania Hencke könnte sich jetzt auch als sogenannte "Tagesbewerberin" morgens um acht auf dem Isemarkt oder am Goldbekufer einfinden. Denn zehn Prozent einer Marktfläche werden immer am jeweiligen Markttag vom Marktmeister vor Ort vergeben, gegen Bares. Aber mit einem Käsestand hätte sie dann nur sehr geringe Chancen.

Mittlerweile sollen sich gut 100 ihrer Kunden vom Isemarkt zu einer Art Bürgerbewegung formiert haben. Auch soll bereits eine Unterschriftenliste kursieren, und der benachbarte Blumenhändler soll sich von sich aus bereit erklärt haben, zugunsten der Frau Hencke auf vier Meter Verkaufsfläche zu verzichten. Denn der Name "Schümann" zieht Kunden an. Auch im Bezirksamt Eimsbüttel sei es bekannt, dass es sich um ein bewährtes, beliebtes Verkaufsensemble handele. Herrn Scholz tue es ja auch wirklich leid, aber auch in diesem speziellen Fall müssen sich alle an die Marktordnung halten: "Wenn wir jetzt für Frau Hencke eine Ausnahme machen würden, dann kämen wir in Teufels Küche." Immerhin habe man ihr eine Karenzzeit von zwei Wochen eingeräumt, damit sie ihre Ware nicht wegwerfen müsse.

Am vergangenen Freitagnachmittag erreichte Tania Hencke dann doch noch eine gute Nachricht: Auf den Märkten am Turmweg und in Wandsbek darf sie weiterhin verkaufen. Sie will sich jetzt auch noch auf anderen Märkten bewerben, in Groß Flottbek und in Blankenese zum Beispiel. Da, wo die gutbetuchte Klientel wohnt, die einen formidablen Fleischsalat zu schätzen weiß. Der Ruin scheint also erst mal abgewendet, aber das gezahlte Lehrgeld ist schon jetzt verdammt hoch. Doch wer weiß: Vielleicht fahren ihre enttäuschten Kunden vom Isemarkt und dem Goldbekufer für ihren Fleischsalat sogar meilenweit. Bis Tania Hencke wiederkommen darf. Ganz legal.