Der Baum wurde 1943 an der Grindelallee gepflanzt - als Abschiedsgeschenk von einer ausgebombten Familie, die Hamburg verlassen musste.

Rotherbaum. Jeder Baum hat eine Geschichte. Kaum jemand weiß das besser als Harald Vieth, denn er erzählt diese Geschichten. Der Hamburger Naturfreund beschäftigt sich seit Jahren mit den Gehölzen der Stadt, hat drei Bücher zum Thema verfasst und kann sagen: Mal sind die Geschichten größer, mal kleiner, mal zeichnen sie sich am Stamm ab, mal in der Krone - und manchmal kommen außergewöhnliche Baumgeschichten auch mit der Post.

So war es jetzt beim Trompetenbaum an der Ecke Schlump/Grindelallee. Fast 70 Jahre steht der mächtige Vertreter der eigentlich in Nordamerika heimischen Spezies catalpa speciosa nun schon dort. Den "prächtigen Trompetenbaum", so die Übersetzung, mochte der 74 Jahre alte Baumflüsterer schon immer. Vieth ist um die Ecke, an der Hallerstraße 8, aufgewachsen. Er fand die großen Blätter, die langen Schoten und die üppige Blüte des frei stehenden Baumes seit jeher beeindruckend. "Es ist einer meiner Lieblingsbäume in Hamburg." Doch wie der vermeintliche Exot nach Hamburg kam, wie er so mächtig werden konnte und welchen Weg er hinter sich hat, das wusste Vieth nicht.

+++ Harald Vieth und sein Freund, der Baum +++

Bis zu jenem Tag. Da erreichte ihn die Geschichte des Trompetenbaums in Form eines handgeschriebenen Briefes. "Ich habe Post von Wolfgang H.R. Koelle bekommen. Dessen Großvater wiederum war der engagierte Botaniker Reinhold Hübner", erzählt Vieth. Die Familie Hübner habe an der Grindelallee 81 gewohnt. Zumindest bis zum Jahr 1943. Dann floh sie wegen der Bombenangriffe auf Hamburg aufs Land. Allerdings nicht, ohne zwei Bäume als Abschiedsgeschenk an ihre Heimat zu pflanzen.

Die botanisch interessierte Familie setzte sich im Januar 1943 zwei baumgewordene Denkmale - einen Trompetenbaum an der Moorweide und einen am Schlump. Doppelt hält besser. Die Familie war im Glauben, ihre Stadt nie wiederzusehen. Wenigstens die Bäume sollten ein Andenken bewahren, weshalb die Geschichte des Trompetenbaums, so viel weiß Harald Vieth jetzt, mitten im Zweiten Weltkrieg beginnt. "Trompetenbäume werden auch Beamtenbäume genannt", sagt Vieth. Der Blätteraustrieb erfolge sehr gemächlich und sehr spät. Dass sie auch Kriegsbäume sind, war ihm neu.

Fast so spät wie der Trompetenbaum Blätter treibt, entdeckte der gebürtige Hamburger, der früher selbst Beamter war, seine Liebe zu Bäumen. Seit fast 50 Jahren ist er Mitglied beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu), wobei er sich zunächst nur der Ornithologie widmete. "Vögel sitzen ja gern auf Bäumen", sagt der pensionierte Lehrer, der an der staatlichen Fremdsprachenschule in Hamburg Russisch, Französisch und Spanisch unterrichtet hat. Irgendwann wollte er wissen, wie die Bäume heißen, auf denen seine eigentlichen Forschungsobjekte saßen. "Doch es gab kein vernünftiges Buch über Bäume", erinnert sich Vieth. Also fing er selbst an zu recherchieren und zu schreiben. Das letzte seiner drei inzwischen entstandenen Bücher heißt: "Hamburger Sehenswürdigkeiten: Bäume".

Dieses Buch war auch der Grund, warum Harald Vieth Post zum Trompetenbaum am Schlump bekam. Den Krieg hatte das Gehölz demnach wie sein Pendant an der Moorweide relativ schadlos überstanden. Doch im Winter 1946 wurde das Feuerholz in Hamburg knapp. Überall wurden Bäume gefällt, um die wenigen noch unversehrten Stuben zu heizen. "Dabei ist wohl auch der Trompetenbaum an der Moorweide geschlagen worden", weiß Vieth dank des Briefes. Der Baum am Schlump jedoch blieb stehen. Es war wohl auch Glück, das das Andenken der Familie Hübner bewahrte.

Glück, das allerdings nicht lange anhalten sollte. Denn ein Bebauungsplan aus dem Jahr 1948 sah vor, die Grüninsel nahe den heutigen Grindelhochhäusern umzugestalten. Auch der Trompetenbaum, inzwischen kein zartes Pflänzchen mehr, sollte verschwinden. "Doch Reinhold Hübner, der engagierte, mittlerweile nach Hamburg zurückgekehrte Botaniker, sprach beim Nachkriegsbürgermeister Max Brauer vor", sagt Vieth. Und weil Brauer ohnehin die Vision einer aufgelockerten, grünen Stadt hatte, wurde Hübner erhört.

Den Krieg hatte der Baum überstanden, die Holzknappheit danach und nun auch die traditionell ausgeprägte Fälllust in Hamburg - allein deshalb sei der Baum etwas Besonderes, sagt Vieth.

Zwar gab es auch später immer wieder Pläne, die Verkehrsinsel, an der der Metrobus 5 hält, umzugestalten und dem Baum an den Stamm zu gehen. Doch noch heute schmückt die ausladende Krone den Platz am Schlump. Und erfreut zumindest Menschen, die ein Auge für diesen ungewöhnlichen Hamburger Floravertreter haben. "Etwa 80 Jahre dürfte der Baum jetzt alt sein", sagt Vieth. Zwischen den 243 000 Straßen- und etwa 600 000 Parkbäumen der Stadt sei er gewiss keine botanische Rarität. "Es gibt noch einige Tromptenbäume", sagt Vieth. "Aber keiner ist so schön, keiner steht so exponiert. Und keiner hat eine so anrührende Geschichte", sagt der Baumexperte.

Hamburger Sehenswürdigkeiten: Bäume. Harald Vieth, 208 Seiten, 19,95 Euro, Bestellungen bei Harald Vieth, Hallerstraße 8, 20146 Hamburg, Tel. 040/45 21 09. Weitere Infos: www.viethverlag.de