Der gebürtige Hamburger und Baumbuchautor entdeckt die kleinen Naturwunder mitten in der Stadt, an denen so viele achtlos vorbeigehen.

Rotherbaum. Für manchen sind sie einfach nur ein Ärgernis - die vielen Bäume im Hamburger Straßenbild und vor allem das Laub, das sie derzeit in rauen Mengen verlieren. Denn bei Regen verwandeln die herabgefallenen Blätter Fuß- und Radwege in gefährliche Rutschbahnen.

Über solche Banalitäten macht sich Harald Vieth keinen Kopf. Er liebt Bäume - mit allem, was dazugehört. Und selbst Laub harken muss er nicht, denn er hat nur einen Balkon. Dafür richtet der Hamburger aus dem Grindelviertel seinen Blick liebend gern in Richtung der Baumkronen und betrachtet verzückt die Blätterfärbung: "Sehen Sie, wie unterschiedlich sie aussehen", sagt er und deutet auf drei üppige Rotbuchen, die zwischen den Hochhäusern am Grindelberg stehen. Die eine hat schon rötlich verfärbtes Laub, die andere vorwiegend gelbe Blätter, und eine dritte hat noch ein fast grünes Blätterkleid. "Das sind alles Individuen", sagt der 73-Jährige fröhlich, "deshalb verfärben sie sich unterschiedlich schnell. Das ist wie beim Menschen. Der eine hat volles Haar, der andere fast keins mehr, obwohl beide vielleicht gleich alt sind."

Seine Liebe zu den Bäumen überkam den gebürtigen Hamburger, der seit fast 50 Jahren Mitglied beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu) ist, auf dem Umweg über die Ornithologie. "Vögel sitzen eben gern auf Bäumen", sagt der pensionierte Lehrer, der viele Jahre an der staatlichen Fremdsprachenschule in Hamburg Russisch, Französisch und Spanisch unterrichtet hat, außerdem Englisch spricht - und dazu noch ganz ordentlich Portugiesisch und Italienisch.

Irgendwann wollte er genauer wissen, wie die Bäume heißen, auf denen die Vögel saßen, die er so gerne beobachtete. "Ich wollte ein Buch über Bäume kaufen, aber es gab keines", erinnert sich Vieth. Also fing er selbst an zu recherchieren und zu schreiben. Mittlerweile hat der Hamburger sein drittes Buch über Bäume geschrieben: "Hamburger Sehenswürdigkeiten: Bäume".

Vieth hatte dabei keine botanische Auflistung der Hamburger Bäume im Sinn, sondern er nimmt vielmehr seine Leser mit zu Spaziergängen durch die Stadt. 15 Rundgänge hat er zusammengestellt, verteilt über die ganze Stadt. Mit dem Buch in der Hand kann man bekannte Wege in Parks und Grünanlagen, aber auch an Straßen in Hamburg ganz neu entdecken, und plötzlich betrachtet man viele der 243 000 Straßen- und etwa 600 00 Parkbäume mit viel aufmerksameren Augen. Vieth erhebt dabei natürlich nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.

Harald Vieth hat für sein Buch in Archiven gestöbert, bei Behörden nachgefragt und war unendlich oft in der Stadt unterwegs. Das akkurate Arbeiten liegt dem Pädagogen, der in jungen Jahren nach einer Ausbildung zum Außenhandelskaufmann in Madrid, London und Paris gearbeitet hatte. Als er in den 80er-Jahren mit seiner Frau Cosima nach Zimbabwe ging, wo diese für den Deutschen Entwicklungsdienst als Gynäkologin in einem Krankenhaus arbeitete, beschäftigte er sich mit der Sprache Schona, die der Großteil der Bevölkerung dort spricht: "Ich war Hausmann und habe auf unseren Sohn Julian aufgepasst", erzählt er. Weil ihn das nicht ausfüllte, schrieb er ein deutsches Lehrbuch über Schona. "Es war das erste seiner Art", sagt Vieth.

Nach der Rückkehr zog er mit seiner Familie zurück an die Hallerstraße 8 in das Doppelhaus, in dem er schon mit seinen Eltern seit 1938 gewohnt hatte. Und so kann Vieth direkt vor seiner Haustür zum Rundgang durch die Parkanlage Grindelberg starten.

Mit wachen Augen, wohingegen die meisten Eimsbüttler zielstrebig und ohne einen Blick nach links oder rechts zu verschwenden, Richtung Bezirksamt eilen. Achtlos lassen sie die Lindenallee zwischen den Hochhäusern links liegen, dabei hat sie historische Ursprünge. "Sie markiert den ehemaligen Verlauf der Klosterallee, die bis zum Ende des Krieges von der Isestraße bis zur Hallerstraße verlief. In einer der Linden habe ich als Kind eine Baumhöhle gebaut", erinnert sich der Naturliebhaber. Voller Begeisterung zeigt er wenig später auch auf eine mächtige Rotbuche. "Sie ist der Lieblingsbaum vieler Bewohner der Grindelhochhäuser", weiß der Baumexperte, "wahrscheinlich hat sie in den 30er-Jahren im Vorgarten einer Villa gestanden."

Weiter geht es zur weit ausladenden fünfstämmigen Kaukasischen Flügelnuss. So märchenhaft wie sein Name ist, präsentiert sich dieser Baum auch. Lange Schoten mit kleinen Nüssen hängen an den Ästen. Ein Gewächs wie aus dem Zauberwald. "Dieser Baum ist um 1950 gepflanzt worden und wächst sehr schnell", sagt Vieth und schwärmt "er verfärbt sich ganz und gar gelb".

Der Naturliebhaber hat auf seinen Wegen durch die Stadt noch viele andere Besonderheiten entdeckt: eine davon ist der Schnurbaum, der ursprünglich aus Japan kommt. Seine Zweige hängen so tief auf den Boden, dass man die feinen weißen Schmetterlingsblüten auf Augenhöhe betrachten kann - wenn es die Zeit dafür ist. Jetzt im Oktober hängen an den Zweigen Hülsenfrüchte, die wie eine Perlenkette aussehen. "Vor dem amerikanischen Konsulat steht ein ganz großes Exemplar, das um 1880 gepflanzt wurde. Es ist wohl der älteste Schnurbaum in Hamburg."

Nur dem Ginkgo, von dem es in Hamburg seinen Angaben zufolge mehrere Hundert Exemplare gibt, kann er nicht wirklich viel abgewinnen. "Da gehen keine Insekten oder Vögel rein", sagt er fast vorwurfsvoll. "Ökologisch ist der Ginkgo so wertvoll wie ein Laternenmast". Eichen, Buchen und Linden seien viel kostbarer. "Eine große Eiche ist ein Mikrokosmos", schwärmt Vieth. Wenigstens sei der Ginkgo wegen der gelben Umfärbung ein Augenschmaus.

Und weil er stets mit offenen Augen durch die Stadt geht, entdeckt er dabei auch Bäume, die Schilder, Bäume und Zäune beinahe verschlingen. Etwa am Behrkampsweg 38 in Lokstedt, wo eine Eiche den Metallzaum so überwachsen hat, dass er nicht mehr zu sehen ist. Ähnliches ist an der Schlagbaumtwiete/Ecke Elbchaussee 220 in Othmarschen, wo der Zaun schon fast im Buchenstamm verschwunden ist.

Zu seinem persönlichen Lieblingsbaum sind es übrigens nur ein paar Schritte zur Ecke Schlump/Ecke Grindelallee. Es handelt sich um einen Trompetenbaum, der im Frühjahr voller Blüten ist. Auch hierzu kennt Vieth eine nette Anekdote: "Trompetenbäume werden mitunter ,Beamtenbäume' genannt. Der Blätteraustrieb erfolgt gemächlich und sehr spät. Und die Blätter werden relativ zeitig wieder abgeworfen". Vieth darf so etwas erzählen. Er war schließlich selbst Beamter.

Hamburger Sehenswürdigkeiten: Bäume. Harald Vieth, 208 Seiten, 19,95 Euro, Bestellungen bei Harald Vieth, Hallerstraße 8, 20146 Hamburg, Tel. 040/45 21 09. Weitere Infos: www.viethverlag.de