Dr. Detlef Garbe: Seit 25 Jahren Leiter der Gedenkstätte KZ Neuengamme

Dr. Detlef Garbe (58) ist seit einem Vierteljahrhundert Leiter der Gedenkstätte KZ Neuengamme, die sich seit 1965 zunächst sehr zaghaft, in den vergangenen Jahren aber stetig zu einer würdigen Stätte entwickelt hat. Redakteurin Wiebke Schwirten hat mit ihm über seine Arbeit und Motivation gesprochen, und erfahren, warum junge Menschen die Gedenkstätte besuchen sollten.

Als Junge will man Feuerwehrmann oder Eisverkäufer werden, aber nicht Leiter einer Gedenkstätte. Wie sind Sie zu der Thematik gekommen?

Dr. Detlef Garbe:

Ich habe mich mit etwa 14 Jahren bei der evangelischen Jugendarbeit das erste Mal mit dem KZ-Thema näher befasst - und massive Feindschaft erlebt. Es gab nahe Göttingen das KZ Moringen. Unsere Gruppe stöberte in der Vergangenheit. Doch das kam nicht so gut an. Wir wurden als Nestbeschmutzer beschimpft ...

... aber Sie haben das Thema weiter verfolgt ...

Ja. Später bin ich mehrfach nach Polen gefahren, habe unter anderem die ehemaligen Konzentrationslager in Auschwitz und Majdanek besucht. Über die Arbeit bei "Aktion Sühnezeichen" und den Freiwilligendienst bin ich das erste Mal 1976 auf Neuengamme gestoßen. Während meines Doppelstudiums, Theologie und Geschichte, rückten Ende der 1970er-Jahre die Themen Nationalsozialismus und Holocaust stärker ins Blickfeld. Es entstanden Initiativen, bei denen ich dabei war, das Dokumentenhaus in Neuengamme wurde gebaut, die "Lager vor der Haustür" entdeckt. Die Zusammenarbeit mit der Kulturbehörde und der Gedenkstätte wurde immer enger.

Trotzdem war der Direktorenposten nach Ihrer Dissertation 1989 kein Selbstgänger. Was waren Ihre Stärken?

Ich glaube, eine Stärke ist, dass ich immer auch versuche, aus der Sicht des anderen zu denken. Für den Posten gab es mehr als 60 Bewerber. Viele von ihnen hatten weit mehr Erfahrung aufzuweisen als ich mit meinen 33 Jahren. Aber ich lebte nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft. Und die Stätte bekam 1989 politische Brisanz. Sie wurde von Roma und Sinti besetzt, die ein Bleiberecht durchsetzen wollten. Vielleicht ahnte man, dass ich pragmatisch und diplomatisch genug handeln könnte.

Also ein turbulenter Start.

Durchaus. Es gab den ersten Hungerstreik im Dokumentenhaus, dann die Besetzung des Klinkerwerks, ein Roma übergoss sich mit Benzin, wollte sich anzünden. Später gab es einen Protestmarsch zur Gedenkstätte mit etwa 1000 Teilnehmern. Doch das ging damals in der öffentlichen Wahrnehmung ziemlich unter. Denn wir schrieben den 9. November 1989, die Mauer war gefallen.

Die nächsten Jahre blieben turbulent. Es gab ein langes Hin und Her wegen der Gefängnisverlagerung. Da war auch politisches Fingerspitzengefühl gefragt. Sind Sie ein politischer Mensch?

Ja und ich mache kein Hehl daraus, dass mein Herz eher auf der linken Seite schlägt. Aber ich bin im Laufe der Zeit vorsichtig geworden, denn die Kategorien links und rechts stimmen nicht immer, haben sich teilweise sogar überlebt.

... was rechtsaußen aber nicht salonfähig macht ...

Nein, das sicher nicht. Was ich meine ist, dass auch Konservative die Sache vorangetrieben haben. Wobei das Werden der Gedenkstätte zuallererst dem Engagement der Überlebenden zu verdanken ist. Großen Anteil hatten zudem die sozialdemokratischen Bürgermeister Hans-Ulrich Klose und Henning Voscherau, der 1989 die Gefängnisverlagerung durchsetzte. Dann kam der Senat lange nicht in die Puschen. 2001 stand "Schill ante portas", der Beschluss wurde gekippt. Aber ich wusste: Das hat keinen Bestand.

Was treibt Sie an bei Ihrer Arbeit, was motiviert Sie?

Mir macht die Arbeit einfach Spaß, ich forsche gern und ich hoffe, eine Arbeit zu tun, die zur Zivilisierung der Welt beiträgt.

Was sind die stärksten Momente Ihrer Arbeit?

Der Kontakt zu den Überlebenden. Ich pflege das intensiv, ziehe viel Kraft aus den Begegnungen und habe etwas von ihnen gelernt. Sie haben extreme existenzielle Erfahrungen gemacht, sind so unterschiedlich, wie es nur sein kann. Aber sie haben ein klares Verhältnis zum Leben, ein Credo: Du musst etwas aus deinem Leben machen!

Was sind Ihre Ziele für die kommenden Jahre?

Ich kümmere mich weiter um die Erinnerungskultur auch über Neuengamme hinaus. In den nächsten Jahren stehen Dokumentationsstätten im "Stadthaus", dem ehemaligen Gestapoquartier, und am früheren Deportationsbahnhof in der heutigen HafenCity an. Hier wollen wir das Angebot des Studienzentrums weiter ausbauen. Ich möchte die Kontakte zu den letzten Überlebenden und den Nachfahren pflegen und das pädagogische Profil der Gedenkstätte schärfen.

Warum sollte ein junger Mensch die Gedenkstätte besuchen?

Jugendliche wissen um Verfolgung und Terror in der Hitlerzeit meistens nur abstrakt. In der Begegnung mit diesem Ort kann das konkreter werden, können sie eine Ahnung davon bekommen, wie willkürlich und ungerecht die Verfolgung war. Die Opfer waren nicht selten in ihrem Alter, hatten eine ähnliche Lebenswirklichkeit. Hier wird erahnbar, was dieser Terror für ein Eingriff war.

Das rührt Extremisten allerdings nicht ...

Jugendliche mit Hass auf Minderheiten bekommt man hier so nicht zu fassen. Aber man kann Indifferente herüberholen und die bereits Interessierten stärken, sich gegen Extreme zu engagieren. Ganz wichtig ist: Hinhören, achtsam sein.