Alfred Lichtwark: Der Todestag des Reitbrooker Müllersohnes jährt sich heute zum 100. Mal

Er gilt als Begründer der Museumspädagogik und der Kunsterziehung. Seine Überzeugungen fußten aber nicht auf Theorien, sondern einzig und allein auf der Natur. Die Liebe zu ihr wurde ihm bereits in die Reitbrooker Wiege gelegt. Dort kam Alfred Lichtwark als erstes Kind des Müllers Friedrich Carl Johann Ernst Lichtwark am 14. November 1852 auf die Welt - zu einer Zeit, als es die heutige Mühlenbrücke noch nicht gab, sondern eine Fähre die beiden Ufer der Dove-Elbe verband.

Alfreds Vater erwarb die Holländermühle, die 1870 niederbrannte und im selben Jahr durch die heutige Mühle ersetzt wurde, und das dazugehörige Wohnhaus im Jahre 1837. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete er Helene Bach, die in direkter Linie mit der Familie Johann Sebastian Bachs verwandt gewesen sein soll, und ihm vier Kinder schenkte. Als 1848 der Mühlenzwang aufgehoben wurde, geriet die Familie zunehmend in wirtschaftliche Not. 1858 musste sie die Mühle verkaufen. Versuche als Landwirt nördlich von Hamburg und zurück in den Marschlanden als Gemüsegärtner scheiterten. 1860 bezogen sie eine Stadtwohnung auf St. Pauli, um dort eine Gastwirtschaft zu führen, die mehr schlecht als recht lief. Zusätzlich zur finanziellen Not wurde der Vater schwer krank und musste bis zu seinem Tod 1869 gepflegt werden.

Die Kinder besuchten die Freischule für Mittellose an der Laeiszstraße. Schnell fielen dem damaligen Schulleiter die Geschwister Lichtwark als besonders gute und fleißige Schüler auf - vor allem der hochintelligente und extrem fleißige Alfred. So nahm er den 14-Jährigen als Schulgehilfen auf und schickte ihn von 1866 bis 1869 abends auf die Lehrerbildungsanstalt. 1870 war Alfred Lichtwark ausgebildeter Lehrer und nach einer staatlichen Abschlussprüfung befugt, eine Schule zu leiten.

Doch die reine pädagogische Arbeit schien dem jungen Mann nicht genug. So bildete er sich unentwegt weiter. Als der Leiter des Museums für Kunst und Gewerbe, Justus Brinckmann, 1877 mit den Vorlesungen begann, zählte Lichtwark zu seinen regelmäßigen Zuhörern. Er stimmte mit den pädagogischen Ansichten Brinckmanns überein und lernte das Museum als wichtige Institution kennen, in dem Kunst nicht nur gesammelt und bewahrt, sondern auch kunsterzieherische Projekte ausgeführt und die Bildung des allgemeinen Volksgeschmacks beeinflusst werden konnten. Brinckmann förderte Lichtwark, dessen Potenzial er schnell erkannte, nach Kräften.

Durch ein Stipendium des Hamburger Kaufmanns Carl Kall war es dem 27-Jährigen möglich, 1880 in Leipzig bei Anton Springer Kunstgeschichte zu studieren. Bereits im Dezember desselben Jahres ging er nach Berlin, wo Julius Lessing, der Direktor des Kunstgewerbemuseums, einer seiner großen Förderer wurde. 1884 wurde Lichtwark Leiter der Bibliothek dieses Museums. Ein Jahr später promovierte er bei Springer mit einer von Lessing angeregten, grundlegenden Arbeit über Ornamentstiche der Frührenaissance. Lichtwark nutzte seine ausgeprägten Lehrfähigkeiten aber auch dazu, um als regelmäßiger Autor für Berliner Zeitungen zu schreiben und konnte so sein dürftiges Gehalt aufbessern.

Am 1. Oktober 1886 - mit nur 33 Jahren - wurde er zum ersten Direktor der 1869 eröffneten Hamburger Kunsthalle berufen, die zuvor von einem Vertreter des Senats, Inspektor Christian Meyer, mehr verwaltet als geleitet worden war. Während der folgenden Jahre baute Lichtwark die Kunsthalle zu einer der führenden deutschen Galerien aus. So stieg nicht nur die Bedeutung der Sammlung "Alter Meister" beträchtlich, vielmehr gelang es dem Museumsleiter, dass auch die Gegenwartskunst ihren Platz in der Sammlung erhielt. Dazu trug unter anderem der Erwerb des großformatigen Ölgemäldes "Die Netzflickerinnen" von Max Liebermann bei, der heute zu den bedeutendsten Vertretern des deutschen Impressionismus zählt und mit dem Lichtwark eine innige Freundschaft verband. Sein größtes Verdienst aber war, dass er sein Haus öffnete und die Kunst den Menschen nicht nur zugänglich machte, sondern sie auch lehrte, die Kunst zu verstehen und zu genießen.

Es kam, wie es kommen musste: Die Magazine und Säle füllten sich zusehends, die Kunsthalle wurde zu klein. Bereits 1907 drang Lichtwark auf einen Erweiterungsbau, der aber erst 1911 genehmigt wurde. Die Eröffnung seines Neubaus 1919 sollte Alfred Lichtwark nicht mehr erleben. Er starb am 13. Januar 1914 an Magenkrebs.