Bergedorf/Reinbek. Im und vom Leben durchgeschüttelte Kinder und Jugendliche werden seit 2019 unterstützt. Ursprung war eine schlimme Familientragödie.

Die Vierlande sind für Patrick Kliefoth ein Ort, mit dem er viele positive Erinnerungen verbindet. In seiner Kindheit verbrachte der 55-Jährige viele Tage in den Ferien oder am Wochenende bei seinen Großeltern in Curslack und in Neuengamme. Und auch heute noch fährt er von Reinbek aus gern mit seinem Motorrad an den Zollenspieker. „Die Vierlande haben für mich einfach etwas Beruhigendes, und ich liebe die Mentalität der Menschen“, sagt Kliefoth. Daher sieht er das Landgebiet auch als idealen Ort an, an dem schwer traumatisierte Kinder und auch Erwachsene zur Ruhe kommen können: Für seinen Verein„ShakenKids“ würde er dort gern ein Schutzhaus einrichten.

Ob missbraucht, misshandelt oder gedemütigt: Mit seinem Verein setzt sich Patrick Kliefoth für Kinder und Jugendliche ein, „die im und vom Leben durchgeschüttelt worden sind“, erklärt der 55-Jährige, der den Verein im Dezember 2019 gemeinsam mit seiner Frau Nadine gegründet hat. Anlass war damals eine schlimme Tragödie in der eigenen Familie: Großneffe Giuliano wurde von einem Mitglied aus der weiteren Familie totgeschüttelt. Der Säugling starb am 20. Juli 2019 – da war er auf den Tag genau vier Monate alt.

Kindesmissbrauch: Verein „ShakenKids“ will Schutzhaus einrichten

Sich für den Kinderschutz einzusetzen, ist für Patrick Kliefoth, der zuvor als Personenschützer und auch als Schulbegleiter tätig war, zur Lebensaufgabe geworden. „Es gibt viel zu tun – leider“, sagt der 55-Jährige. Bundesweit steige der Bedarf an sicheren Plätzen, an pädagogischen Hilfestellungen sowie an Hilfen zur Erziehung. Seine Sorge, dass die Fälle von Kindesmisshandlung und häuslicher Gewalt in der Corona-Pandemie inklusive Lockdown noch mehr werden würden, habe sich leider bestätigt. „Pro Woche erreichen uns mindestes vier bis fünf Anrufe“, sagt Patrick Kliefoth, der eine Ausbildung als Traumafachberater und -Pädagoge abgeschlossen hat.

Die Zahl der Kindeswohlgefährdungen ist laut Statistischem Bundesamt nach einem Höchststand im ersten Corona-Jahr 2020 im zweiten Jahr der Pandemie leicht gesunken: 2021 haben die Jugendämter in Deutschland bei über 59.900 Kindern und Jugendlichen eine Kindeswohlgefährdung durch Vernachlässigung, psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt festgestellt. Damit liegen die Kindeswohlgefährdungen auf dem zweithöchsten Wert seit Einführung der Statistik im Jahr 2012, zugleich haben die Fälle von Hilfebedarf (67.700 Fälle in 2021) einen neuen Höchststand erreicht.

13-Jährige muss mitansehen, wie ihre Mutter schwer misshandelt wird

Wird ein Fall von Kindesmisshandlung bei „ShakenKids“ gemeldet, versucht der Verein alles, um den betroffenen Kindern zu helfen, aber auch Geschwistern, Eltern und weiteren Angehörigen Beistand zu leisten. Auch potenziellen Tätern wie überforderten Eltern soll präventiv Hilfestellung gegeben werden. Leider könne aber nicht allen geholfen werden: Wie im Fall einer Mutter, die zwischen Weihnachten und Neujahr von ihrem Mann vor den Augen der Tochter missbraucht worden ist.

Die 13-Jährige musste die Qualen ihrer Mutter nicht nur mitansehen, sondern wurde vom Vater auch noch gezwungen, sie Schlampe zu nennen und dass sie nichts wert sei. Erst nach zehn Stunden gelang es der 13-Jährigen ein Handy in die Finger zu bekommen und die Polizei zu rufen. Die habe gerade noch verhindern können, dass der Mann mit einer Axt auf seine Frau losgeht, berichtet Patrick Kliefoth. Mittlerweile sei die Frau trotzdem zu ihrem Mann zurückgekehrt. Das seien Fälle, an denen man schier verzweifeln könne, sagt Patrick Kliefoth, der aber weiterhin zur Tochter in Kontakt stehe. „Der Schutz des Kindes hat oberste Priorität.“

Stiftung soll Verein für die Zukunft sichern

Um den Verein für die Zukunft zu sichern, wurde im Dezember 2022 die Silent-Care-Stiftung gegründet. Zudem wurde der Giuliano-Gedächtnispreis ins Leben gerufen, der in diesem Jahr erstmals am Todestag des Großneffens vergeben wird. Gewinnen können Personen oder Vereine in Norddeutschland, die sich für innovativen Kinderschutz einsetzen.

„Jeder kann Vorschläge für mögliche Kandidaten einreichen“, sagt Patrick Kliefoth. Für die Bewerbung bis 30. April bedarf es einer schriftlichen Eingabe (maximal zwei DIN-A4-Seiten), mit Begründung des Vorschlags einschließlich des Namens sowie der Kontaktdaten der jeweiligen Personen oder Institutionen per E-Mail an info@silent-care-stiftung.de.

Nun soll ein neues Zuhause folgen. Nachdem in den vergangenen Jahren bereits Appartements im Harz für schutzbedürftige Kinder und auch Eltern zur Verfügung gestellt wurden, soll das Projekt dort auslaufen. Zu groß sei die räumliche Entfernung, erklärt Patrick Kliefoth. Ganz bewusst werde daher im Umkreis von etwa 15 bis 20 Kilometer um Bergedorf eine Immobilie gesucht – am liebsten eben in den Vier- und Marschlanden.

Um „immer vor Ort zu sein“, würde der 55-Jährige dort gemeinsam mit dem Jüngsten (11) von vier Söhnen, Hündchen Ruby und Ehefrau Nadine einziehen, die als Schulsekretärin in der August-Hermann-Francke-Schule in Bergedorf arbeitet. „Ob Resthof, Hufnerhaus, Bauernhaus oder Landhaus, es ist nahezu alles willkommen, was unserem Projekt entgegen und Schutzsuchenden zugute kommt“, sagt Patrick Kliefoth.

Weitere Infos und Kontakt: https://shakenkids.de