Neuengamme/Geesthacht/Bergedorf. Franciska Henning erinnert am Volkstrauertag in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme an Georg Kieras. Wo noch Gedenkfeiern waren.

Franciska Henning (29), Nachfahrin des Widerstandskämpfers Georg Kieras, der Häftling im Konzentrationslager Fuhlsbüttel war, fand bei der zentralen Gedenkveranstaltung der Stadt Hamburg anlässlich des Volkstrauertages zum Gedenken der Opfer von Krieg und Gewalt, bewegende Worte. Die 29-Jährige erinnerte vor dem Internationalen Mahnmal auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme an ihren Urgroßvater, der von den Nationalsozialisten in das Konzentrationslager Fuhlsbüttel gesperrt und 1942 als Sanitäter an die Front geschickt worden ist.

Bewegende Worte beim Gedenken am Volkstrauertag

Kieras engagierte sich als SPD-Mitglied schon früh gegen die Hitler-Diktatur. „1935 wurde er wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt und eingesperrt. Er war Moorsoldat, überlebte“, sagt seine Urenkelin. Kieras musste später für die Regierung, die er stürzen wollte, kämpfen: Er war einer von 2000 Soldaten des Strafbataillons 999, überlebte auch den Krieg. Er lernte seine Urenkeltochter nie kennen, starb vor ihrer Geburt. „Ich bin stolz, von jemandem abzustammen, der nicht blind mitgelaufen ist und seine Augen nicht verschlossen hat“, sagt die 29-Jährige, die in Harburg lebt.

Franciska Henning arbeitet seit vier Jahren im Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme: „Dort sind in den Archiven viele persönliche Geschichten zu finden. Ich beantworte viele Anfragen von Angehörigen, sehe viel Leid und empfange viel Dankbarkeit“, sagt sie.

Die Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft Carola Veit (SPD, links) und die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) vor der Hohen Stele, dem Internationalen Mahnmal auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.
Die Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft Carola Veit (SPD, links) und die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) vor der Hohen Stele, dem Internationalen Mahnmal auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. © Heyen

Zuvor hatte Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit über den russischen Überfall auf die Ukraine gesprochen, den sie als den „bislang größten Zivilisationsbruch in der jüngeren europäischen Geschichte“ bezeichnete. „Dieser Krieg nimmt uns nicht nur mit, nein, er betrifft uns.“ Nicht zu helfen sei falsch: „Dann gäben wir das ‘nie wieder’ auf.“ Hamburg habe 65 Jahre lang eine Städtepartnerschaft mit St. Petersburg gepflegt. „Nun wurde auf einen Schlag alles zunichte gemacht. Kann das jemals repariert werden kann? Ich persönlich sage: Ja, es muss. Es wird ein ‘nach dem Krieg’ geben.“ Die Spirale der Gewalt müsse unterbrochen werden, da es Frieden „nur mit-, niemals gegeneinander“ geben könne.

Auch Hamburgs Zweite Bürgermeisterin war in Neuengamme dabei

An der Gedenkfeier, bei der zahlreiche Kränze niedergelegt wurden, beteiligten sich unter anderem auch Hamburgs Zweite Bürgermeisterin, Katharina Fegebank, der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, die Bundeswehr und die Gedenkstätte, Bergedorfs Bezirksamtsleiterin Cornelia Schmidt-Hoffmann und Vertreter der verschiedenen Fraktionen in der Bergedorfer Bezirksversammlung.

Zur Veranstaltung zum Volkstrauertag am Zentralen Ehrenmal auf dem Waldfriedhof in Geesthacht waren unter anderem auch Vertreter von der Verwaltung, den Parteien und von Sozialverbänden erschienen.
Zur Veranstaltung zum Volkstrauertag am Zentralen Ehrenmal auf dem Waldfriedhof in Geesthacht waren unter anderem auch Vertreter von der Verwaltung, den Parteien und von Sozialverbänden erschienen. © Schulz

In Geesthacht Andacht auf dem Waldfriedhof

Auch in Geesthacht, der größten Stadt des Kreises Herzogtum Lauenburg, wurde der Toten gedacht. Zunächst mit einem Gottesdienst in der St.-Thomas-Gemeinde in Grünhof samt anschließender Kranzniederlegung am Ehrenmal in der Nähe des Rhododendron-Parks, anschließend dann mit einer kleinen Andacht auf dem Waldfriedhof.

Von dort zogen Bürgermeister Olaf Schulze und Bürgervorsteher Samuel Walter Bauer mit Vertretern von Kirche, Parteien und Verbänden sowie allen anderen Anwesenden mit kleinen Fähnchen in den ukrainischen Nationalfarben in der Hand zum Zentralen Ehrenmal. Michael Backs, der Vorsitzende des Seniorenbeirats, war als Oberstleutnant a. D. in Ausgehuniform erschienen. Alle sangen gemeinsam die National- und die Europahymne und entzündeten Kerzen. Die Verwaltung hatte Übersichtstafeln aufgestellt, auf denen die Standorte und Hintergründe der zwölf Ehrenmäler im Stadtgebiet erklärt wurden.

Kränze wurden am Volkstrauertag auch auf dem Friedhof Bergedorf, hier am Hochkreuz der Vertriebenenverbände, niedergelegt.
Kränze wurden am Volkstrauertag auch auf dem Friedhof Bergedorf, hier am Hochkreuz der Vertriebenenverbände, niedergelegt. © Busse

Kranzniederlegung am Hochkreuz der Vertriebenenverbände in Bergedorf

Eine Stunde vor dem prominent besetzten Festakt in Neuengamme gibt es für Frühaufsteher traditionell auf Bergedorfs Friedhof eine kleine Feier. Auch zum Volkstrauertag 2022 wieder: Alle sechs Fraktionen der Bezirksversammlung, der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge sowie Bezirksamtsleiterin Cornelia Schmidt-Hoffmann legten um 9 Uhr Kränze am Hochkreuz der Vertriebenenverbände nieder sowie auf dem sowjetischen Ehrenfriedhof.

„In Frieden zu leben, ist für uns heute leider nicht mehr der Normalfall“, sagte Sven Noetzel (CDU) in seiner eindringlichen Ansprache. „Wir müssen unseren Kindern erklären, was gerade in Europa passiert, warum Krieg ist und sogar Fragen zum möglichen Einsatz von Atomwaffen beantworten.“

Gedenken am Volkstrauertag: Rede von Sven Noetzel (CDU)

Weil die Verantwortung für die Rede zum Volkstrauertag jährlich zwischen den Fraktionen wechselt, war Noetzel auch vor fünf Jahren schon an der Reihe. Ein Vergleich mit seinen damaligen Worten durchzog nun seinen aktuellen Beitrag vor rund 30 Zuhörern. Der Christdemokrat beschrieb Russlands Abstieg in den Faschismus, lobte den Wandel der Grünen zur Realpolitik bis hin zur Forderung nach Waffenlieferungen für die Ukraine.

„Die Bereitschaft, eigene Positionen zu überdenken, zeugt von großer Verantwortung“, sagte Noetzel und unterstrich die Pflicht, sich für Freiheit, Frieden und Demokratie einsetzen zu müssen, wenn man sie wirklich erhalten will: „Das erfordert heute viel mehr Mut, als noch vor fünf Jahren. Aber gerade jetzt müssen wir Stellung beziehen. Auch wenn es etwa angesichts der explodierenden Energiepreise wirklich wehtut.“