Hannover (dpa/lni). Am Sonntag wurde der Toten der beiden Weltkriege und der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Aber nicht nur: Denn bei den Tausenden Kranzniederlegungen und Gedenkveranstaltungen in Niedersachsen und Bremen ging es auch um den aktuellen Krieg in Europa.

Unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs in der Ukraine haben am Wochenende viele Menschen an die Weltkriegstoten und Opfer des Nazi-Regimes erinnert. In diesem Jahr gelte das Gedenken am Volkstrauertag (13. November) ebenfalls den Opfern von Krieg und Gewalt in der Ukraine, teilte der niedersächsische Landesverband des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Hannover mit. Volksbund-Präsident Wolfgang Schneiderhan mahnte die Verantwortung der russischen Gesellschaft an.

„Man sagt, es sei Putins Krieg“ sagte Schneiderhan dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Das stimme zwar, aber es seien auch russische Männer, die in diesem Krieg Verbrechen begingen: „Damit ist das Problem der zukünftigen russischen Gesellschaft angesprochen, die mit dieser Verantwortung fertig werden muss“, erklärte er. „Wir sehen, dass Städte zerstört, gezielt Infrastruktur vernichtet, Zivilisten ermordet werden, wie verzweifelte Menschen fliehen müssen.“ Das Gedenken am Volkstrauertag sei auch eine Mahnung an die Lebenden.

Der Präsident des Volksbunds sprach sich für ein zeitgemäßes Gedenken aus - „keine erstarrten Rituale. Es muss für junge Menschen auch nachvollziehbar sein“. Daher bringe der Volksbund junge Menschen auf den Kriegsgräberstätten zusammen: „Dort sehen sie die Folgen von Krieg und Gewalt. Das lässt niemanden unbeeindruckt“, sagte er.

Die niedersächsischen Städte und Gemeinden hätten Tausende von Veranstaltungen organisiert, sagte Volksbund-Landesgeschäftsführer Roland Behrmann. Wegen des Kriegs in der Ukraine seien anders als in der Vergangenheit keine Vertreter aus Russland offiziell eingeladen worden. In Niedersachsen sind auf 1400 Friedhöfen rund 258 000 Tote aus den beiden Weltkriegen bestattet, die meisten sind sowjetische Kriegsgefangene sowie Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Hinzu kommen weitere Opfer der NS-Terrorherrschaft, etwa in den Konzentrationslagern.

In Delmenhorst sollte als Hauptredner am Sonntag der ukrainische Wissenschaftler Volodymyr Kulyk per Video zu sehen sein. Das Hanse-Wissenschaftskolleg unterstütze ihn und ermögliche seinen Verbleib in der Forschung, teilte die Stadtverwaltung mit. Der Politologe wollte den Alltag in Kiew schildern und über seine Forschung zu nationaler Identität und anti-russischer Stimmung in der Ukraine berichten.

In Hannover gab es am Sonntag eine Kranzniederlegung am Mahnmal der Gedenkstätte Ahlem. An dem Ort hatten die Nationalsozialisten eine jüdische Gartenbauschule als eine Sammelstelle für Deportationen sowie als Gefängnis und Hinrichtungsstätte missbraucht.

Der Volksbund wurde kurz nach dem Ersten Weltkrieg gegründet. Er widmet sich der Pflege von Kriegsopfergräbern und der internationalen Jugend- und Bildungsarbeit. Es müsse verstärkt eine gesellschaftliche Debatte über Krieg und Frieden geben, sagte der niedersächsische Geschäftsführer Behrmann. Der Volkstrauertag sowie der Totensonntag (20. November) genießen nach dem niedersächsischen Feiertagsgesetz einen besonderen Schutz. An diesen sogenannten stillen Feiertagen sind ab 5.00 Uhr morgens unter anderem Tanzveranstaltungen verboten.

Die zentrale Gedenkstunde des Landes Bremen war ebenfalls am Samstag im Rathaus. Nach den Worten des Bevollmächtigten des Senats, Olaf Joachim, hat der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands in der Ukraine „die Gewissheiten und die Zuversicht in ein Europa des friedlichen Zusammenlebens der Völker und Nationen zutiefst erschüttert“. Die Folgen des Krieges bestimmten Tagespolitik und Alltag, Vertriebene und Verfolgte fänden auch in Bremen in großer Zahl Schutz. Gerade für Menschen, die die Folgen des Zweiten Weltkrieges selbst erlebt hätten, sei das alles unerträglich.

„So richtig und selbstverständlich es ist, dass ein demokratischer, legitimer Staat, ein Volk sich gegen den völkerrechtswidrigen Angriff wehrt, seine Integrität bewahrt und dabei auch die notwendige Unterstützung erhält, so steht die Frage, wie Friedenspolitik in dieser Zeit überhaupt noch denkbar ist, im Raum“, sagte Joachim.