Bergedorf. Über 1000 Menschen am Tag der Arbeit zu Demo und Kundgebung in Bergedorf erwartet. Gewerkschaftschef kritisiert Regierungspartei.

Es klingt nur scheinbar nach Wohlstands-Hängematte, was die Gewerkschaften am 1. Mai fordern: „Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit“ lautet das Motto für den Tag der Arbeit, an dem auch in Bergedorf wieder gut 600 Menschen zum Demonstrationszug und weit über 1000 zur anschließenden Kundgebung im Rathauspark erwartet werden. Ein großer Andrang, denn kuschelig ist die finanzielle Lage für viele Arbeitnehmer und ihre Familien keinesfalls, betont Tanja Chawla: „Die Corona-Jahre samt zuletzt extremer Inflation haben zu so hohen Reallohnverlusten geführt, dass es gerade bei kleineren Einkommen und auch vielen Rentnern vorn und hinten nicht mehr reicht“, sagt die Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Hamburg.

„Das ist eine fatale Entwicklung, die massive Zukunftsängste schürt und rechtsextremen Parteien die Wähler in die Arme treibt“, warnt Bergedorfs DGB-Chef Ernst Heilmann, der sowohl beim Start des Demonstrationszugs um 10 Uhr auf dem Lohbrügger Markt dabei sein wird als auch am Rednerpult bei der Kundgebung ab 11 Uhr im Rathauspark. „Mit einfachen Parolen fangen AfD & Co. viele Verunsicherte ein, darunter leider auch etliche junge Menschen. Dabei bieten sie gar keine Lösungen für die aktuellen Krisen und erst recht keine für Arbeitnehmer mit niedrigem oder auch mittlerem Einkommen.“

Scharfe Kritik an FDP-Forderung, Überschunden attraktiver zu machen – DGB-Chef Heilmann: „Fatales Signal“

Fatal aus Sicht des Gewerkschaftschefs ist das Verhalten der FDP: „Ihre aktuellen Vorschläge, zusammengefasst im Strategiepapier ihres jüngsten Bundesparteitags, befeuern die Schere zwischen Arm und Reich statt das Auseinanderdriften der Gesellschaft zu bekämpfen. Und das als Teil der Regierungskoalition so zu beschließen, ist gefährlich“, sagt Heilmann, der als Parteiloser für die Linke in Bergedorfs Bezirksversammlung sitzt. „Wer über die Steuerbefreiung von Überstunden fabuliert, unser Rentensystem aushöhlt und sich gegen die Anhebung des Mindestlohns stemmt, hat das Kernproblem der aktuellen Wirtschaftskrise nicht erfasst.“

„Tatsächlich krankt der Arbeitsmarkt heute neben schlechter Bezahlung sowie einem Heer unfreiwilliger Teilzeit- und Minijobber vor allem an der extremen Arbeitsverdichtung“, sagt Tanja Chawla, die beispielhaft auf die Situation in den Pflegeberufen verweist: „Dort schmeißen immer mehr examinierte Kräfte hin, weil die Belastung in ihren Schichten immer weiter gewachsen und mittlerweile nicht mehr zu schaffen ist. Gleichzeitig wird der Bedarf an Pflegern in unserer alternden Gesellschaft immer größer. Ich frage mich, wie lange wir dieses Drama noch ignorieren können.“

„Jüngste Streikwelle bei Bahn, Flughäfen und öffentlichem Dienst war erst der Anfang“

Die Lösung liegt für den DGB in seinem Slogan zum 1. Mai: Nur wenn es gerade in den gesellschaftlich relevanten Jobs von der Pflege über den Einzelhandel bis zu Handwerk und Logistik angemessene Löhne, weniger personelle Engpässe und mehr langfristige Jobgarantien gebe, sei Deutschlands Zukunft gesichert. „Die zum Glück erfolgreiche jüngste Streikwelle bei Bahn, Flughäfen, öffentlichem Dienst und auch den Bauern ist da nur ein Anfang“, sagt Ernst Heilmann. „Es braucht gute Tarifabschlüsse, um das Vertrauen in unser Wirtschaftssystem und damit letztlich auch in unsere Form des Zusammenlebens, unsere Demokratie in Deutschland zu sichern.“

Dass der Weg dahin lang, aber möglich ist, zeigt Tanja Chawlas Blick nach Europa: „Wir feiern in diesem Jahr in Deutschland den 75. Geburtstag des Tarifvertragsgesetzes, aber in Hamburg sind nur noch 47 Prozent der Unternehmen tarifgebunden. Gleichzeitig fordern die Arbeitslohnrichtlinien der EU aber von jedem Mitgliedsstaat, ernsthafte Anstrengungen zu unternehmen, die Tarifbindung auf mindestens 80 Prozent zu heben. Um das zu erreichen, wird Arbeitsminister Hubertus Heil im Herbst einen Aktionsplan vorstellen.“

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Wie wichtig das ist, macht Ernst Heilmann mit einem Blick auf die scheinbare Attraktivität rechtsextremer Parteien deutlich: Wer wie sie den Eindruck erwecke, ein starker Mann an der Spitze genüge, um die Ungerechtigkeit beseitigen, sei nicht ehrlich. „Zur Kurskorrektur braucht es eine starke Gemeinschaft. Und das sind die Gewerkschaften. Zudem stehen sie nicht nur für faire und gerechte Arbeitsbedingungen, sondern für die Zukunft der Demokratie in Deutschland.“

Insofern sieht Heilmann den 1.-Mai-Zug durch Bergedorf in diesem Jahr als Fortsetzung der hiesigen Großdemonstration mit rund 2000 Teilnehmern gegen Rechtsextremismus vom 2. März. „Und es geht weiter. Am Freitag, 7. Juni, wird es in Hamburg die größte Demo für unsere Demokratie geben, zu der wir als DGB zusammen mit diversen weiteren Institutionen aufrufen“, sagt Bergedorfs Gewerkschaftschef. Neben ihm werden am 1. Mai im Bergedorfer Rathauspark auch Bezirksamtsleiterin Cornelia Schmidt-Hoffmann und Ali Simsek sprechen, SPD-Bürgerschaftsabgeordneter und Vertreter der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE).