Hamburg. Viele Familien dabei. Redner warnen mit Blick auf die Wahlen: „Wer einfache Lösungen für komplexe Probleme bietet, hat keine Lösungen.“

Knapp 2000 Menschen haben am Sonnabend in Bergedorf ein Zeichen gegen Rechtsextremismus und die AfD als ihren populären Arm in den Parlamenten gesetzt. „Eine wunderbar bunte Demonstration aus jungen wie alten Menschen, vielfach ganzen Familien“, sagte Bernhard Nette vom Organisationskomitee, das aus mehr den mehr als 20 Initiativen besteht. „Heute hat sich Bergedorf gezeigt und eindrucksvoll deutlich gemacht, dass hier die ganz große Mehrheit bereit ist, für die Demokratie einzustehen.“

Tatsächlich war der Demonstrationszug so lang, dass er nach seiner Runde durch die Innenstadt und Bergedorf-Süd auf dem Rückweg vom Mohnhof zum Bahnhof die Bergedorfer Straße/B5 fast auf ganzer Länge einnahm. Bunt war es dabei auch durch die vielen, oft selbstgemalten Schilder und Transparente. Darauf Sprüche wie „Woke & Wehrhaft“, „Wie dumm muss die Frage sein, wenn die Antwort AfD ist“ oder „Euer Finale war am 8. Mai 1945 – keine Nachspielzeit für Nazis“.

Redner mahnen: Bei den kommenden Wahlen die Demokratie stärken und deren Kritiker

Vielfalt war auch bei den insgesamt zehn Rednern Trumpf, die zum Auftakt in Lohbrügge und zur Schlusskundgebung auf dem Bergedorfer Bahnhofsvorplatz sprachen. Gleich anfangs machte der grüne Bezirksabgeordnete Patrick Kühl (37) klar: „Unsere Demokratie in Deutschland ist ein Sehnsuchtsort für viele Menschen auf der ganzen Welt. Es gilt, die zu erhalten und besser zu machen und alle anderen Tendenzen klar zu bekämpfen.“

Patrick Kühl, Bezirksabgeordneter der Grünen, spricht zum Auftakt der Demo auf dem Lohbrügger Bahnhofsplatz.
Patrick Kühl, Bezirksabgeordneter der Grünen, spricht zum Auftakt der Demo auf dem Lohbrügger Bahnhofsplatz. © bgz | Ulf-Peter Busse

Daran knüpfte Ulf von Krenski (52) an. Bei der Abschlusskundgebung richtete Bergedorfs stellvertretender Bezirksamtsleiter einen eindringlichen Appell an die Menschen: „Die vielen aktuellen Krisen vom Klima über die Ukraine bis zur Wirtschaft und dem Wohnungsmangel hinterlassen bei jedem Spuren. Aber schlechte Stimmung schafft keine Lösungen.“ Das sei Sache einer verantwortungsvollen Politik, die ihre Arbeit allerdings deutlich besser erklären müsse, als sie das zuletzt getan habe. „Darum wünsche ich mit bei den kommenden Wahlen im Juni für unseren Bezirk und Europa sowie im kommenden Jahr für Hamburg und Deutschland eine breite Beteiligung. Doch Vorsicht: Wir leben in einer komplexen Welt mit komplexen Fragen. Wer dann mit einfachen Antworten daher kommt, hat in Wirklichkeit gar keine Lösungen parat.“

Der Demonstrationszug auf der Alten Holstenstraße in der Bergedorfer Innenstadt.
Der Demonstrationszug auf der Alten Holstenstraße in der Bergedorfer Innenstadt. © bgz | Ulf-Peter Busse

„Die Frage ist nicht, wo kommst du her? Sie lautet: Wo wollen wir gemeinsam hin?“

Noch deutlicher wurde Verena Dittrich (68), die für die „Omas gegen rechts“ am Mikrofon stand: „Wer für heutige Probleme Lösungen von gestern herausholt, der disqualifiziert sich selbst. Denn diese Lösungen haben schon damals nichts geholfen.“ Oder wie es Touali Koré (20) von der Bergedorfer Jusos mit Blick auf die Integration der Flüchtlinge ausdrückte: „Die Frage ist nicht, wo kommst du her? Sie lautet: Wo wollen wir gemeinsam hin?“

Verena Dittrich von den „Omas gegen rechts“ bei ihrer Rede auf dem Bergedorfer Bahnhofsvorplatz.
Verena Dittrich von den „Omas gegen rechts“ bei ihrer Rede auf dem Bergedorfer Bahnhofsvorplatz. © bgz | Ulf-Peter Busse

Dass genau dieses Miteinander in Bergedorf seit über 20 Jahren Tradition hat, beschrieb die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Dr. Christel Oldenburg mit einem kurzen Rückblick auf das Jahr 1999: „Damals marschierten hier vom Bahnhofsvorplatz 500 Neonazis aus ganz Deutschland durch die Bergedorfer Innenstadt. Sie skandierten ,Ruhm und Ehre der Waffen-SS‘. Die Polizei hatte ihren eigentlich für die Hamburger City angemeldeten Marsch ,aus Sicherheitsgründen‘ nach Bergedorf verlegt – und gleich auch noch jegliche Gegendemonstrationen verboten.“

Rückblick in die 80er-Jahre, als Lohbrügge-Nord Rekrutierungsstadtteil der Neonazis war

Das war damals ein Weckruf für Bergedorfs Politik. Denn gerade erst war es seinerzeit gelungen, den Neonazi-Sumpf von Lohbrügge-Nord mit intensiver Jugendsozialarbeit trockenzulegen. Bis heute aktive Szene-Größen wie Christian Worch und Thomas Wulff sowie der Neonazi Michael Kühnen hatten den Stadtteil in den 80er-Jahren mit Ausländerhetze zum Schwerpunkt ihrer Rekrutierungsarbeit gemacht.

Die Abschlusskundgebung der Demonstration „Bergedorf gemeinsam für Demokratie“ auf dem Bahnhofsvorplatz.
Die Abschlusskundgebung der Demonstration „Bergedorf gemeinsam für Demokratie“ auf dem Bahnhofsvorplatz. © bgz | Ulf-Peter Busse

Als Reaktion auf den Marsch von 1999 entstand das Rathausbündnis gegen Rechtsextremismus aus Bezirkspolitik und Bezirksamt, das aufmerksam alle rechten Tendenzen in Bergedorf beobachtet. Deshalb ist es jetzt auch einer der Initiatoren der Demonstration „Bergedorf gemeinsam für Demokratie“ vom Sonnabend.

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Als letzter Redner sprach hier Pastor Andreas Baldenius auf dem Bahnhofvorplatz. Sein Appell: „Zu entscheiden, was gut ist und was böse, dafür brauchen wir alle Menschen in einer demokratischen Gesellschaft.“ Das soll jeder auch bei den kommenden Wahlen bedenken: „Wer die Fluchtursachen nicht bekämpft, sondern die Flüchtenden. Wer in der Krise so tut, als gebe es keine Krise, wer also nicht wirklich die Probleme bei der Wurzel packt, der kann nicht gewählt werden.“ Oder pastoraler formuliert: „Dunkelheit kann nicht die Dunkelheit vertreiben. Das kann nur das Licht.“

Spontane Unterstützung für die Demonstration kommt aus einem Gebäude an der Alten Holstenstraße.
Spontane Unterstützung für die Demonstration kommt aus einem Gebäude an der Alten Holstenstraße. © bgz | Ulf-Peter Busse

Nächste Veranstaltung des Bergedorfer Bündnisses gegen rechts ist bereits am Dienstag, 5. März, an der Serrahnstraße 1: Von 19 Uhr an sprechen dann im Kulturzentrum SerrahnEins am Bergedorfer Hafen die jüdische Studentin Shelly Meyer und der muslimische Lehrer Hedí Bouden über Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus in Deutschland. Der Eintritt ist frei.