Hamburg. Die Aufmärsche der HJ prägten auch Bergedorf. Zwei Tagebücher erlauben einen neuen Blick auf die Aktivitäten der Nazi-Organisation.

Es sind zwei schmale Heftchen im Format A5, die das Bergedorfer Kultur- und Geschichtskontor Ende 2022 in Kopie erhielt – die Kriegstagebücher zweier Bergedorfer Fähnlein der Hitlerjugend (HJ). Auf dem Einband der beiden Bücher prangen jeweils ein Hakenkreuz auf einem Eisernen Kreuz, der Inhalt erlaubt Einblicke die Aktivitäten der Nazi-Jugendorganisation während des Zweiten Weltkriegs. Für die neue Ausgabe des Lichtwark-Heftes hat Historikerin Caroline Bergen, Leiterin des Geschichtskontors, die Dokumente unter die Lupe genommen.

Zwei Tage in der Woche mussten die Pimpfe zum Dienst antreten. Nach den Dienstvorschriften der Hitlerjugend musste Urlaub beantragt, Krankheit per Attest nachgewiesen werden. Ansonsten drohten auf dem Papier erhebliche Konsequenzen, denn: „Wer im Kriege den Jugenddienst verweigert, kann mit dem Kriegsdienstverweigerer verglichen werden. Er schwächt die Wehrkraft des Deutschen Volkes“, heißt es in den Dienstvorschriften. Als Strafe standen Jugenddienstarrest, Jugend-Konzentrationslager und sogenannte Landesjugendhöfe, wo „Abweichler“ und „Verwahrloste“ umerzogen werden sollten, zur Verfügung.

Tagebücher dokumentieren die Aktivitäten der HJ im Krieg

Die Praxis in Bergedorf sah allerdings möglicherweise anders aus. In einem der Heftchen findet sich kein Hinweis auf ausgesprochene Strafen. Im zweiten Heftchen berichtet der Autor, dass ein Unterführer wegen Versagens beim Katastropheneinsatz degradiert wurde. Die Bergedorfer Fähnleinführer setzten laut ihren Aufzeichnungen dagegen auf Ansporn durch sportliche Wettkämpfe und den ständigen Vergleich des Eifers der Pimpfe.

Neben der sportlichen Ertüchtigung zeigten die HJler ständig bei öffentlichen Appellen und Märschen im wahrsten Sinne des Wortes Flagge und sorgten so dafür, dass die Nazi-Ideologie im Stadtbild stets präsent war. Dazu kam der regelmäßige Einsatz für die Unterstützung des von Deutschland angezettelten Weltkrieges. So wurden die Bergedorfer Pimpfe im April 1942 zur Bekämpfung der Spatzenplage eingezogen, sammelten für das Deutsche Rote Kreuz und verkauften Selbstgebasteltes auf dem Bergedorfer Markt.

Führungsstruktur der HJ blutete durch den Krieg aus

Dennoch lockte die HJ auch mit Freizeitangeboten, wie – ideologisch geprägten – Kinobesuchen oder Ausflügen zu Circus Busch in Hamburg. 1943 fuhren die Bergedorfer Pimpfe ins Sommerlager auf Amrum. „Sie verlebten dort eine herrliche Zeit. Diese Fahrt war für jeden von uns ein Erlebnis, das man so schnell nicht vergisst“, heißt es in einem der Kriegstagebücher.

Der Krieg wirbelte die Organisationsstruktur der Bergedorfer HJ-Fähnlein stetig durcheinander. Gerade ältere Jugendliche aus den höheren und höchsten Führungsebenen erhielten Einberufungen in den Reichsarbeitsdienst, in die Heimatflak oder zum Militär. „Da ein Großteil der Führer des Jahrgangs 1926 zur Heimatflak einzogen wurde, war es zunächst sehr schwer die nötigen Jungzugführer zu bekommen“, heißt es 1943 in einem der Kriegstagebücher. Schon im April wird vermerkt: „Hauptsächlich durch die vielen Führerwechsel war das Fähnlein ziemlich heruntergekommen.“

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Aus Sicht von Autorin Caroline Bergen zeigen die Aufzeichnungen der Fähnleinführer, dass auch in Bergedorf während der Kriegszeit zumindest teilweise zu einer „überforderten Massenorganisation“ wurde, wie der Historiker André Postert die Organisation im gesamten Deutschen Reich bezeichnet. Seine These: Der Zwang und die autoritären Züge der HJ hätten sich auch deswegen entwickelt, weil die Bewegung Kinder und Jugendliche nicht im gewünschten Maß überzeugen und anziehen konnte.

Mit dem Voranschreiten des Zweiten Weltkriegs und der sich abzeichnenden Niederlage des Deutschen Reiches werden die Einträge in den Tagebüchern spärlicher. In einem der Hafte sind die Ereignisse des Jahres 1944 nur noch in kurzen Zusammenfassungen aufgeführt, für den April 1945 findet sich nur noch eine Überschrift. Das zweite Tagebuch bricht bereits im Dezember 1943 ab.

Das aktuelle Lichtwark-Heft ist ab sofort im Buchhandel, beim Kultur- & Geschichtskontor am Reetwerder 17, Edeka Clausen in Neuengamme sowie in der Geschäftsstelle unserer Zeitung an der Chrysanderstraße 1 für 9,50 Euro zu haben.