Hamburg. Kriege und Klimawandel belasten die Psyche von Jugendlichen – doch im Clippo Boberg gibt es nur eine halbe Stelle für die Helfer.

In der Schule läuft es gerade nicht rund. Und die Eltern trennen sich gerade. Klimawandel und Krieg machen Angst. Wer genau hinschaut, entdeckt die Ritzspuren am Arm. Oder die viel zu dünnen Beine. Es gibt unzählige Gründe für Bergedorfs Kinder und Jugendliche, sich traurig und einsam zu fühlen. Da braucht es oft mal einen guten Zuhörer. Das aber, so klagen Bergedorfs Sozialpädagogen aus Kinder- und Jugendeinrichtungen, ist kaum mehr zu schaffen. „Die Kollegen werden bis über ihre Grenzen hinaus belastet“, sagte im Jugendhilfe-Ausschuss jetzt Marion Lewandowsi vom Haus Warwisch in Kirchwerder.

Die Lage sei „wirklich dramatisch“: Viele seien total überlastet und überfordert, erfuhr zuletzt Sozialpädagoge Stefan Baumann in der Lohbrügger Arbeitsgemeinschaft, in der sich Schulen, Hebammen, Kinder- und Familienhilfezentrum sowie die offene Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) vernetzen. Doch für den erhöhten Bedarf an Krisenintervention fehle es schlichtweg allerorts an Personal.

Ständig Krisen: Sozialpädagogen sind am Ende ihrer Kräfte

Immerhin seit zehn Jahren steht dem Clippo in Boberg bloß eine halbe Personalstelle zur Verfügung. Ohne Honorarkräfte ist die Arbeit mit den Zehn- bis 17-Jährigen schlichtweg nicht zu schaffen: Es braucht eine weitere, volle Personalstelle für In Via, den Betreiber des Jugendclubs. Mehr Geld fordern die freien Träger nun gemeinsam mit Bergedorfs Lokalpolitikern, die einstimmig für einen entsprechenden Antrag abstimmten.

Die „strukturelle Unterfinanzierung“ möge sich bitte mit dem Neubau ändern, der noch im Oktober 2024 eröffnet werden soll: „Zeitgleich mit der Neueröffnung darf es nicht an Betreuern fehlen, das passt sonst nicht zusammen“, meint etwa Petra Petersen-Griem (SPD). Linke und Grüne schließen sich an: „Diese ewige Drittmittel-Akquise wegen Mangelfinanzierung ist eine Unsitte. Wir müssen die Rahmenzuweisungen erhöhen und das über unsere Bürgerschaftsabgeordneten in die Hamburger Sozialbehörde tragen“, sagt Heribert Krönker.

Tägliche Zurückweisung belastet auch die Sozialpädagogen

Bereits im August 2023 hatte Bergedorfs Bezirksversammlung die Fachbehörde aufgefordert, die Rahmenzuweisungen „deutlich zu erhöhen“. Denn für mehr Personalstellen hat das Budget bislang nie gereicht. Das Thema wird auch Bergedorfs neue Jugend- und Sozialdezernentin Anke Jungblut bald angehen müssen.

„Die Unterfinanzierung ist sehr belastend“, bestätigt Maren Liedtke aus dem Mädchentreff Lohbrügge: „Ich muss täglich jemanden zurückweisen oder versetzen.“ Da gibt es beispielsweise das Angebot Walk & Talk, um beim Spaziergang Probleme beim Vier-Augen-Gespräch besprechen zu können: „Aber dann muss ich die Kollegin mit der Hausaufgabenbetreuung allein lassen. Oder ich muss ein anderes Angebot wie Basteln, Tanzen oder Spielen ausfallen lassen.“

Dass es in ganz Hamburg an Geld für Betreuung fehlt, sei zuletzt deutlich geworden, als die „Hamburger Spielräume“, ein Fonds der Bürgerstiftung, 240.000 Euro für Ferienangebote ausgab: „In nur drei Stunden gingen so viele Anträge ein, dass der Topf schnell leer war“, erzählt Maren Liedtke.

Ausflug nicht zugunsten von Supervision canceln

„Das ist ein absoluter Wahnsinn“, meint Stefan Baumann: „Diese täglichen Belastungen gehen auch auf die Gesundheit der Mitarbeiter.“ Zwar bieten die meisten Arbeitgeber eine Supervision an, aber „auch das kostet Zeit, auch dafür müssten Angebote der Jugendhilfe ausfallen, fällt etwa ein Ausflug flach“. Angesichts der vielen Sorgen und Probleme der Bergedorfer Jugend mag dies indes kaum ein Mitarbeiter verantworten.

Gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat die psychische Belastung deutlich zugenommen: Im vergangenen August hatte das Meinungsforschungsinstitut forsa hat im Auftrag der Kaufmännische Krankenkasse (KKH) 2003 Eltern von Sechs- bis 18-Jährigen deutschlandweit befragt. Ergebnis: Angesichts von Corona, Ukraine-Krieg, Inflation und Energiekrise, der Konflikt im Nahen Osten und des Klimawandels leidet der Nachwuchs unter Zukunftsängsten.

Kinder im Krisenmodus – und nun?

„Die Sorge verursacht eine starke emotionale Belastung. Kinder und Jugendliche haben den Eindruck, dass überhaupt nichts mehr sicher ist“, sagt KKH-Psychologin Franziska Klemm. Viele machten sich heute schon Sorgen, ob sie später einmal von ihrem Gehalt gut leben können oder wie lange die Erde noch bewohnbar bleibt: „Da wirkt die Dauerkrise wie eine Art Brennglas für die Psyche“, erläutert Klemm.

Der Umfrage nach haben 47 Prozent der Eltern von Elf- bis 14-Jährigen und 43 Prozent der Eltern von 15- bis 18-Jährigen das Gefühl, dass ihr Kind in den vergangenen ein bis zwei Jahren häufiger oder stärker psychisch belastet war. Bei den Sechs- bis Zehnjährigen ist der Anteil mit 33 Prozent dagegen etwas geringer.

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Abgesehen von offenen Gesprächen und Begleitung beim Medienkonsum brauchen Kinder und Jugendliche besonders in Krisenzeiten vor allem eines: Stabilität und das Gefühl, dass ihr Leben trotzdem normal weitergeht. Hilfreich sei es deshalb, den Alltag so gut wie möglich zu strukturieren, Termine einzuhalten und regelmäßig gemeinsame Zeit und positive Erlebnisse einzuplanen, so Psychologin Klemm, die etwa zum gemeinsamen Abendessen, zu Ausflügen und Spieleabenden rät.