Bergedorf. In „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“ ordnen Branchenexperten aktuelle Themen ein. Heute: Abfall als Rohstoff der Zukunft.

Es beginnt ganz banal: „Da wirft also einer unser geschätzten Kunden eine kleine Knopfzelle in den Hausmüll.“ So die Ausgangslage in dem Szenario, das Dennis Kissel beschreibt. Der Geschäftsführer der Abfallwirtschaft Südholstein (AWSH) fährt fort: „Dann kommt ein Pressmüllwagen. Der heißt nicht umsonst Pressmüllwagen. Da ist alles Mögliche drin, es ist feucht, das ganze Zeug wird geknickt.“ Auch die kleine Knopfzelle. „Und dann zündet das durch, dann löst sich ein Müllfahrzeug im Wert von 200.000 Euro in Wohlgefallen auf.“

Klingt gefährlich, ist es auch. „Akkus machen uns in der Abfallwirtschaft inzwischen große Sorgen“, sagt Entsorgungs- und VerwertungsunternehmerThomas Buhck. „Es brennt eigentlich jede Woche irgendwo ein Müllwagen oder eine Sortieranlage.“ Beschädigte Akkus haben seinen Worten zufolge ein „unglaubliches Gefahrenpotenzial“. Morten Holpert, Geschäftsführer der Müllverbrennungsanlage (MVA) in Stapelfeld, kann das nur bestätigen. „Seit so viele Akkus im Umlauf sind, kommt es öfter zu Bunkerbränden. Manchmal fahren die Müllwagen schon brennend bei uns vor, und dann ist eben Not am Mann.“

Serie „Punkt 11“: Vier Abfallexperten zu Gast

Branchenkenner beschreiben das Problem folgendermaßen: In einem beschädigten Akku kann es zu einem internen Kurzschluss kommen; das darin enthaltene Lithium fängt dann Feuer, verbrennt mit extrem hoher Temperatur und ist nahezu unlöschbar. Wer – und sei es nur aus Unachtsamkeit – eine Batterie oder einen Akku in den Müll wirft, wird also womöglich ungewollt zum Brandstifter.

Arbeiten seit Jahren eng zusammen: AWSH-Geschäftsführer Dennis Kissel (l.) und Morten Holpert, Geschäftsführer der Müllverbrennungsanlage Stapelfeld. 
Arbeiten seit Jahren eng zusammen: AWSH-Geschäftsführer Dennis Kissel (l.) und Morten Holpert, Geschäftsführer der Müllverbrennungsanlage Stapelfeld.  © Ulf-Peter Busse | Ulf-Peter Busse

Um derlei und andere Fehlwürfe geht es bei „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“, dem 60-minütigen Gedankenaustausch unter Experten vormittags um elf in den Redaktionsräumen der Bergedorfer Zeitung/Lauenburgischen Landeszeitung. Vierter Teilnehmer der Runde neben Kissel, Buhck und Holpert ist der Unternehmer Frank Bräuer, Chef eines Reparaturservices namens Akkutauschen.de. Am Ende sind sich die Experten einig: Recyceln und reparieren – das müssten die neuen Standards sein.

Recycling muss total sexy sein: Akkus gutes Beispiel für Gedankenlosigkeit

Zurück zu den Lithiumzellen. Für AWSH-Chef Kissel sind sie ein besonders anschauliches Beispiel für den bisweilen gedankenlosen Umgang der Menschen mit Abfällen und für die Herausforderungen beim Recycling. „Akkus haben Wertstoffpotenzial“, sagt er, „aber sie sind ubiquitär, sie sind sehr diffus verteilt. Die Frage ist: Wie bekommt man das Zeug zurück, wie bekommt man es qualitativ hochwertig auf einen Haufen? Und wie macht man das Ganze sicher?“

Es ist eine Frage, auf die es noch keine endgültige Antwort gibt. Ein Pfandsystem für Akkus, wie es diskutiert wird, hält Thomas Buhck für schwierig in der Umsetzung. Der Chef der Buhck Gruppe (rund 1200 Mitarbeiter) wirft eine entscheidende Frage auf: „Wird der Bürger in der Lage sein, verbaute Akkus, zum Beispiel in einer elektrischen Zahnbürste, auszubauen?“ Frank Bräuer, dessen Firma den Tausch von Stromspeichern zu ihrem Geschäftsmodell erkoren hat, sagt: „Es ist ja vorgeschrieben, dass Akkus entnehmbar sein müssen. Das geht im Regelfall bei 95 Prozent der Geräte damit einher, dass man sie kaputtmachen und den Akku herauspulen muss. Die Mühe macht sich einfach keiner.“ Er hofft, dass sich das bald ändern werde; entsprechende Gesetzesentwürfe auch auf EU-Ebene seien angeschoben.

Verein fordert: Geräte müssen wieder reparierbar sein

Wenn Geräte künftig so konstruiert werden müssten, dass auch der Akku leicht entnommen werden kann, käme etwas zurück, das Frank Bräuer, Gründungsmitglied des Vereins Runder Tisch Reparatur Berlin, ohnehin eine Herzensangelegenheit ist: die Reparierbarkeit, die einen allzu schnellen Komplettaustausch eines Gerätes überflüssig machte.

Nur sind Gesetzgeber und Hersteller noch nicht so weit, und das macht das Ganze schwierig. Thomas Buhck erklärt: „Es gibt eine ganz einfache Faustregel für Verwertung. Und die lautet: Wenn ich etwas vereinzelt bekomme, dann habe ich eine große Chance, es zu verwerten. Wenn ich etwas gemischt bekomme, also die Batterie noch im Gerät, oder wenn die Kartoffelschalen nicht vom Zeitungspapier getrennt sind, dann bekomme ich es einfach nicht mehr auseinander.“ Die Buhck Gruppe habe ganz viel Recyceltechnik am Start, „wir können ganz viel sortieren, aber es wird nie so gut sein, als wenn schon am Anfallort getrennt wird.“

Akku oder Kartoffelschale – das Prinzip ist das gleiche

Thomas Buhck ist Geschäftsführer der Buhck-Gruppe, ein Entsorgungs- und Verwertungsunternehmen mit rund 1200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.  
Thomas Buhck ist Geschäftsführer der Buhck-Gruppe, ein Entsorgungs- und Verwertungsunternehmen mit rund 1200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.   © Ulf-Peter Busse | Ulf-Peter Busse

Akku oder Kartoffelschale – das Prinzip ist das gleiche: Wenn die Verbraucher gut trennen, steigt die Chance auf Verwertung. Genau daran hapert es aber, wie ein Blick in die Restmülltonnen zeigt. „Wir haben das im vergangenen Jahr im Lauenburgischen mal gemacht“, sagt Dennis Kissel. Das Ergebnis war ernüchternd, gleichwohl anscheinend erwartbar. „Da sind 40 Gewichtsprozent Bioabfall drin. Von ungefähr 80.000 Tonnen sind 40 Prozent Bioabfall: Gartenabfall, Küchenabfall. Und verpackte Lebensmittel. Die sind noch nicht mal ausgepackt worden.“ Hinzu kämen noch etwa zehn Gewichtsprozent Papier und ein bisschen Metall. Kissel: „Das heißt: 52 Prozent können in bestehende Sammelsysteme gegeben werden, die direkt daneben stehen. Wir haben ja nicht ohne Grund ein Vier-Tonnen-System. Warum wirft jemand seinen Biomüll in den Restmüllbehälter und nutzt nicht die Biotonne, die direkt daneben steht? Es passiert nicht.“

Diese Werte seien bundesweit ungefähr einheitlich, in Städten sei es noch etwas schlimmer, und sie seien seit Jahrzehnten stabil. Die schlechteste Trennquote macht der AWSH-Chef in Gegenden aus, in denen viele Menschen mit extrem geringem Einkommen wohnen. Und in Vierteln, in denen überwiegend sehr Reiche zu Hause sind.

Pro-Kopf-Abfallmenge konstant bei gut 400 Kilogramm pro Jahr

Konstant ist auch die gesamte Abfallmenge, die Dennis Kissel in seinem Zuständigkeitsbereich mit etwa 401 bis 406 Kilogramm pro Kopf und Jahr beziffert. Davon sind nur 28 Kilogramm Verpackungen, die im gelben Sack oder in der Wertstofftonne landen sollte. Ein geringer Anteil also, und doch scheint es so, als sei es gerade dieser Verpackungsmüll, über den viele sprechen, sobald es um Mülltrennung und Recycling geht. Möglicherweise deshalb, weil es das ist, was alle zu Hause betrifft, mutmaßt Unternehmer Thomas Buhck.

Was er mengenmäßig interessanter findet: Von den seinen Worten zufolge deutschlandweit jährlich anfallenden 420 Millionen Tonnen Müll seien rund 230 Millionen Tonnen sogenannte mineralische Abfälle. „Also Bauabfälle“, sagt Buhck. „230 Millionen Tonnen Bauabfälle sind ein riesiges Potenzial, weil man Baumaterialien eigentlich sehr gut wiederverwerten kann. Da ist man bei Recyclingquoten von 90 Prozent.“

Mülltrennung: Recycling soll kein Selbstzweck sein

Wobei Recycling kein Selbstzweck sein soll. Buhck: „Was ich recycle, muss ich auch wieder einsetzen. Aber Recyceltes gilt als zweitklassig, weil es eben nicht das Original ist, und deshalb haftet ihm immer so was wie ein Makel an.“ Akzeptiert werde Glas. Papier werde zu fast 100 Prozent wiederverwertet. „Aber danach fängt es dann schon an, richtig schwierig zu werden“, sagt Buhck, „es ist nicht leicht, dem Bürger nahezubringen, dass Recyceltes nicht zweitklassig ist.“

Interessante Gespräche bei „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“, hier mit bz-Verlagsleiter Ulf Kowitz (v. l.), Frank Bräuer von Akkutauschen.de, bz-Vermarkungsleiterin Kerstin Friedla sowie bz-Redaktionsleiter und Gastgeber Alexander Sulanke.  
Interessante Gespräche bei „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“, hier mit bz-Verlagsleiter Ulf Kowitz (v. l.), Frank Bräuer von Akkutauschen.de, bz-Vermarkungsleiterin Kerstin Friedla sowie bz-Redaktionsleiter und Gastgeber Alexander Sulanke.   © Ulf-Peter Busse | Ulf-Peter Busse

Häuser bauen aus gebrauchten Baustoffen – geht das? Buhck: „Sie müssen ganz alte Häuser nehmen. Die Baustoffe, die wir heute einsetzen, sind nicht recyclingfähig. Beispiel Gipskartonplatte: Gips – ein reiner Stoff, mit Papier und noch teilweise mit Kunststoffen versetzt – damit können Sie nichts anfangen. Sie kriegen die Platte wieder aus dem Rückbau, da sind noch die Tapetenreste drauf, aber niemand will eine alte Gipskartonplatte einsetzen.“

Wärmeverbundsysteme sind in ein paar Jahren Sondermüll

Seine Firma versuche jetzt, den Gips wieder rauszugewinnen, „aber das voneinander zu trennen, das ist ein riesiger Aufwand.“ Und Wärmeverbundsysteme zum Beispiel seien gar nicht recycelbar. „Die sind in ein paar Jahren Sondermüll“, sagt auch Dennis Kissel.

Daraus leiten die Abfallexperten zweierlei ab. Erstens: eine Pflicht zum Prinzip „Designed for Recycling“, das sich gar nicht so sehr von dem einer generellen Reparierbarkeit unterscheidet. „Es soll einfach sein. Wir dürfen Häuser nicht mehr so bauen, dass wir sie hinterher nicht mehr auseinanderbekommen. Smartphones auch nicht. Und Sakkos auch nicht“, sagt Dennis Kissel.

Recyclingmaterial muss total sexy sein

Zweiter Punkt ist aus seiner Sicht eine Imageumkehr. „Recyclingmaterial muss total sexy sein und Originalmaterial voll daneben“, sagt Kissel. Dazu gehöre auch, Vorschriften anzupassen. „Wer heute auf seinem Grundstück mineralische Abfälle verbaut, muss noch einen Stapel Formulare ausfüllen und alles ganz genau dokumentieren.“ Er hält das zum Teil für absurd: Wer sich neuen Kies bestellt, kann ihn einfach verwenden. Wenn er ihn aber nach ein paar Wochen an einen Nachbarn weitergibt, handelt es sich streng genommen um Recyclingmaterial.

Eine Umkehr wünscht sich Kissel auch bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand. Er meint: „Der Landesbetrieb Straßenbau etwa müsste in Ausschreibungen begründen, wenn bei Bauprojekten etwas anderes als Recyclingmaterial verwendet werden soll.“

Müllverbrennung bleibt das letzte Mittel

Wenn die Recycler ihr Potenzial vollends ausgeschöpft haben, kommt die Müllverbrennung ins Spiel. Der Entsorger EEW Energy from Waste lässt in Stapelfeld gerade für einen dreistelligen Millionenbetrag eine neue Anlage bauen. Sie entsteht unmittelbar neben der 1979 errichteten MVA, deren hoher Schornstein an der A1 schon von Weitem zu sehen ist. „Müllverbrennung macht das Beste aus dem Rest“, sagt Thomas Buhck. „Energie, Stoffe für den Straßenbau.“ Er habe großes Vertrauen, dass die neue Anlage in Stapelfeld noch viel effizienter arbeiten wird als die bestehende, noch mehr Energie raushole, noch mehr stoffliche Verwertung ermögliche.

MVA-Geschäftsführer Morten Holpert sagt dazu: „Verbrennen kann jeder. Entscheidend ist die Rauchgasreinigung. Das heißt, die Abgase, die entstehen, so zu reinigen, dass wir an der Stelle einen möglichst geringen Fingerabdruck haben. Und das gelingt uns als Unternehmen zunehmend unheimlich gut.“ Die neue MVA werde „wirklich richtungsweisend“ sein. „Wir können aus der gleichen Menge Input tatsächlich die doppelte Menge Energie rausziehen.“

„Punkt 11 – Stunde der Entscheider“: Das ist die Serie

Recycling: das Thema des Tages im Konferenzraum der Bergedorfer Zeitung. 
Recycling: das Thema des Tages im Konferenzraum der Bergedorfer Zeitung.  © Ulf-Peter Busse | Ulf-Peter Busse

Zu „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“ kommen in loser Folge – aber immer um elf am Vormittag – Experten jeweils einer Branche in unsere Redaktionsräume in der Chrysanderstraße 1 in Hamburg-Bergedorf, um sich über wichtige Themen der Gegenwart auszutauschen. In der nächsten Folge dieser Serie begrüßen wir Gastronomen aus der Region.

Bisher in der Serie „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“ erschienen: