Bergedorf. Rundgang des Kultur & Geschichtskontors zu Hakenkreuzen, Zwangsarbeit und Judenhass – und wo die Nazis später weitermachten.

Was heute unvorstellbar ist, war an jenem Montag im März 1933 normal: „Hakenkreuzfahnen über Bergedorf“ titelte unsere Zeitung am 6. März und lobte Hitlers Machtübernahme bei den Wahlen am Tag zuvor als „großen Tag“, der sich schon in den letzten Wochen des Wahlkampfes abgezeichnet hätte: „Besonders im Villenviertel ist seit Tagen fast an jedem Haus mit schwarz-weiß-roten Hakenkreuzfahnen und Plakaten in den gleichen Farben geworben worden.“

Wie es passieren konnte, dass auch in Bergedorf die Massen den Parolen der Nazis auf den Leim gingen und warum besonders das reiche Bürgertum des Villengebiets nach kaum 14 Jahren Weimarer Republik so demokratiemüde war, erläutert Historiker Christian Römmer am Sonnabend, 10. Juni, beim Rundgang des Kultur- & Geschichtskontors.

Kultur & Geschichtskontor: Bergedorfer begeistert vom Auftreten der Nazis

„Die Menschen waren tatsächlich begeistert vom Auftreten und auch den Taten der neuen Machthaber“, sagt der ausgewiesene Kenner von Bergedorfs NS-Geschichte, der auch Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ist. Seine Tour „Bergedorf unterm Hakenkreuz“ startet um 14 Uhr vor den Räumen des Geschichtskontors am Reetwerder 17. Die Teilnahme kostet 9 Euro, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Blick ins Sachsentor im Jahr 1935 mit riesigen Hakenkreuzbannern.
Blick ins Sachsentor im Jahr 1935 mit riesigen Hakenkreuzbannern. © Bergedorf-Museum | Archiv

Vom Kontor aus ist es nicht weit bis ins einst mit Hakenkreuzfahnen beflaggte Villengebiet, wo Römmer hinter mancher Traumfassade tiefbraunes Gedankengut nachweist. Und sogar belegen kann, dass es in vielen Fällen sogar bis in die 50er- und 60er-Jahre reichte. Etwa in Person des Arztes Dr. Heinrich Haselmayer, eines gut vernetzten Nazis, der in der bayerisch anmutenden Villa oberhalb der Augustastraße mit seiner Familie lebte und als Mediziner praktizierte.

Boykott der jüdischen Geschäfte in Bergedorfs Innenstadt

Natürlich besucht Christian Römmer in seinem zweistündigen Rundgang auch die Überreste Bergedorfer Unternehmen, wie die Stuhlrohrfabrik am Schleusengraben, die mit Tausenden Zwangsarbeitern Rüstungsproduktion betrieb. Und er erinnert an die Judenverfolgung, die auch mitten in Bergedorfs City passierte – etwa indem jüdische Geschäfte boykottiert wurden.

Mit Fotos und anderen Dokumenten werden bei diesem Rundgang Szenen aus den 30er- und 40er-Jahren an ihren Originalschauplätzen wieder lebendig gemacht. Auch der erzwungene Rücktritt des letzten Bergedorfer SPD-Bürgermeisters Friedrich Frank gehört dazu. Oder die Säuberung der Stadt von politisch Andersdenkenden innerhalb von nur zwei Jahren. Und natürlich Hitlers Fahrt durchs Sachsentor 1935.

Arbeitskarte des 1944 erst 15-jährigen Zwangsarbeiters Nikolai Mokijenko aus Dnepropetrowski in der Ukraine, der in Bergedorfer Betrieben eingesetzt wurde.
Arbeitskarte des 1944 erst 15-jährigen Zwangsarbeiters Nikolai Mokijenko aus Dnepropetrowski in der Ukraine, der in Bergedorfer Betrieben eingesetzt wurde. © Kultur- & Geschichtskontor | Kultur- & Geschichtskontor

„Die Begeisterung der Bergedorfer ebbte erst in der Endphase des Zweiten Weltkriegs ab, als die Angst vor Luftangriffen den Alltag prägte und die Versorgungslage knapper wurde“, sagt Christian Römmer. Nebenbei wird er manchen Namen im Gepäck haben von ehemaligen Bergedorfer Nazi-Größen einschließlich der Verwaltungsposten, auf die sie in den 50er-Jahren wieder zurückkehrten.