Bergedorf. 750 Bergedorfer Schüler machen jetzt Abitur. Zwei Praktikanten unserer Redaktion erzählen, wie sie die neue Freiheit genutzt haben.

Etwa 750 junge Menschen in Bergedorf werden in diesem Sommer voraussichtlich ihr Abitur ablegen. Und für alle diese Schüler scheint sich die Welt dann auf einen Schlag schneller zu drehen. In jedem Ende liegt auch ein neuer Anfang – zudem stehen viele Entscheidungen an: Studium oder Ausbildung, chillen oder durchstarten, ausziehen oder bei den Eltern bleiben? Auf Abiturienten prasseln eine Menge Möglichkeiten ein, das kann schnell auch zu einer Überforderung führen.

Unsere beiden Praktikanten Maximilian Minning (19) und Birte Keller (22) haben die ersten Jahre nach dem Abitur hinter sich. Hier erzählen sie, was sie mit der neuen Freiheit angefangen haben, was davon eine wertvolle Erfahrung war – und was nicht. Und geben so den neuen Abiturienten auch ein paar Tipps mit auf den Weg.

Birte Keller 2020 mit ihrem Abiturzeugnis.
Birte Keller 2020 mit ihrem Abiturzeugnis. © Birte Keller | Birte Keller

Was ehemalige Abiturienten den Bergedorfer Jugendlichen raten

Birte Keller: Frei nach dem Motto „Es irrt der Mensch, solang er strebt“ aus Goethes „Faust“ habe ich 13 Jahre lang die Schulbank gedrückt. Als ich 2020 endlich mein Abiturzeugnis in den Händen hielt, war alles anders als erhofft: Eigentlich wollte ich mit einem Campingvan durch Europa touren, neue Freundschaften schließen und legendäre Partys feiern. Stattdessen war der Kiez eine Geistermeile und die Grenzen geschlossen. Ich war gezwungen, auf der faulen Haut zu liegen – und das hat richtig gut getan.

Viele hatten 2020 eine schwere Zeit, für mich war es der beste Sommer meines Lebens. Ganz ohne Verpflichtungen habe ich tagaus, tagein in der Sonne gelegen und das eine oder andere Bier getrunken. Endlich konnte ich all den Büchern, die ungelesen im Regal verstaubten, meine volle Aufmerksamkeit schenken. So unbeschwert wird es nie wieder. Deswegen rate ich allen Abiturienten dazu, sich erst mal zu entspannen und den Sommer zu genießen.

Nach einem war mir klar, dass ich etwas mit Medien studieren will

Dank einiger Corona-Lockerungen hatte ich doch noch die Möglichkeit, spontane Kurztrips zu machen: Etwa half ich meiner Tante im Alten Land bei der Kirschernte, mit meinem besten Freund lief ich stundenlang im Kreis durch die Amsterdamer Innenstadt und in Dänemark hat meine Mutter vergeblich versucht, mich für das Kitesurfen zu begeistern.

Als der Herbst in den Startlöchern stand, fing ich ein Praktikum bei dem Radiosender Rock Antenne Hamburg an. Eigentlich hatte ich weitere Praktika geplant, doch Corona durchkreuzte die Pläne. Nach drei Monaten beim Radio war mir klar: Ich will irgendwas mit Medien studieren. Bis zum Sommersemester musste ich allerdings noch vier Monate überbrücken – und schon wieder war Lockdown.

Nach dem Abitur entscheidet jeder selbst den Weg und das Ziel

Zum ersten Mal nach dem Abitur war ich bedrückt. Alle anderen schienen einen Vorsprung zu haben, und ich konnte nichts tun außer zu warten. Es war, als würde kostbare Zeit wie Sand durch meine Finger rinnen. Ohne die Vorzüge des Sommers hat das Nichtstun keinen Spaß mehr gemacht. Im Nachhinein waren meine Sorgen unberechtigt. Die Schulzeit ist ein ständiges Wettrennen: schneller, weiter, höher. Wir werden darauf konditioniert, uns mit anderen zu vergleichen. Nach dem Abi beginnt dagegen der Dauerlauf des Lebens. Ab jetzt entscheidet jeder selbst den Weg, das Tempo und das Ziel. Es nützt nichts, sich zu vergleichen.

Ich habe mich für den Studiengang „Media Reporter“ an der University of West London entschieden. Dafür musste ich Hamburg allerdings nicht verlassen. Die UWL hat Partnerstandorte in ganz Deutschland. Das macht sowohl Online- als auch Präsenzunterricht möglich. Die Projekte sind sehr vielseitig: eigene Magazine, Radiosendungen und Videoreportagen. Auch das wissenschaftliche Arbeiten kommt nicht zu kurz.

Drei Jahre nach meinem Abitur stehe ich erneut vor einem Abschluss. Im Herbst bin ich mit meinem Bachelor fertig – hoffentlich. Und was kommt danach? Ein Masterstudiengang, noch ein Praktikum, vielleicht ein Volontariat? Ich weiß nur, dass es sowieso anders kommt als geplant.

Maximilian Minning im Sommer 2021 nach seinem Abschluss im Sachsenwaldforum Reinbek.
Maximilian Minning im Sommer 2021 nach seinem Abschluss im Sachsenwaldforum Reinbek. © Maximilian Minning | Maximilian Minning

Die Zeit nach dem Abitur spielt während der Schule gar keine Rolle

Maximilian Minning: Das Abitur war für mich, genau wie für viele andere Jugendliche, das Hauptziel der ersten 18 Lebensjahre. Die Zeit nach dem Abi hat für mich während der Schulzeit allerdings überhaupt keine Rolle gespielt: Hauptsache, erst mal das Zeugnis in den Händen halten.

Und dann ist von einem auf den anderen Tag alles weg. Zwölf Jahre lang bin ich jeden Morgen um 8 Uhr in der Schule gewesen und um spätestens 16.30 Uhr wieder zu Hause. Während dieser zwölf Jahre war das Leben wie vorbestimmt und hat immer in den selben Abläufen stattgefunden. Die ersten Wochen nach der Schulzeit fühlten sich an, als wären es die besten des Lebens. In dieser unbeschwerten Freiheit habe ich jeden Moment genossen.

Ich habe viele im FSJ Dinge gelernt, die man in der Schule so nicht lernt

Die große Frage nach dem Sinn des Lebens kam mir nicht. Was ich in den ersten drei Wochen nach dem Abi gemacht habe, ist schnell gesagt: ausschlafen und dann gucken, was noch so passiert. Um aber nicht nur planlos zu chillen wurde ich, auch durch meine Eltern, auf ein Freiwilliges Soziales Jahr aufmerksam. Da ich selber Handball spiele, entschied ich mich für ein FSJ in meinem Heimatverein, dem TuS Aumühle-Wohltorf. Nachdem ich erfahren hatte, was mich erwarten würde – Unterstützung bei Jugendtraining, Betreuung der Social-Media Kanäle und die Entwicklung einer Jugendordnung –, war ich mir sicher: Das möchte ich machen.

Zwei Monate später startete ich in das FSJ. Ich habe viel gelernt und hatte auch viel Spaß. Ich kann ein FSJ allen empfehlen, die eine gute Mischung aus Freiheit und Struktur suchen und sich dabei trotzdem weiterentwickeln möchten. Denn neben der täglichen Arbeit in der Einsatzstelle beinhaltet das FSJ auch die Teilnahme an Seminaren. Im Rahmen dieser Seminare konnte ich eine Trainerlizenz machen und mir viel Wissen aneignen, das ich in der Praxis direkt anwenden konnte. Ich habe viele Dinge gelernt, die man in der Schule so nicht lernt: besonders den Umgang mit Menschen und selbstständiges Arbeiten. Im Sommer 2022 endete dann meine Zeit im FSJ.

Es ist ratsam, sich an mehreren Unis zu bewerben

Was ich danach machen wollte, war schnell beantwortet: Ein Lehramtsstudium in Hamburg oder Lüneburg. Um einen Plan B machte ich mir keine Gedanken. Im August bekam ich dann die schlechten Nachrichten. Eine Absage von beiden Universitäten. Überall gibt es Lehrermangel und trotzdem nicht genügend Studienplätze . . . Deswegen ist es gut, sich an vielen Unis zu bewerben. Wenn es mehrere Zusagen gibt, kann einfach die attraktivste gewählt werden.

Die folgende Zeit war nicht einfach. Während alle anderen eine klare Aufgabe hatten, suchte ich noch nach meiner. Um erst einmal den Studentenstatus zu bekommen, schrieb ich mich in Lüneburg für ein Studium der Kulturwissenschaften ein. Aber es war nicht so mein Ding. Nach einem Semester entschied ich, das Studium nicht weiterzuführen. Als Nächstes stand für mich ein Praktikum bei der Bergedorfer Zeitung auf dem Plan.

Die Schulzeit ist die intensivste Zeit eures Lebens

Zwei Monate lang durfte ich die Redaktion bei der Arbeit unterstützen, Artikel schreiben und Fotos schießen. Um erste Berufserfahrungen zu sammeln, sind Praktika genau das richtige. Am besten direkt vielseitig bewerben! Auch wenn es dann doch ein anderer Beruf wird. Ich selbst habe mich nun entschieden, eine Ausbildung zum Industriekaufmann zu beginnen. Darauf freue ich mich schon.

Allen Abiturienten möchte ich sagen: Die Schulzeit ist die intensivste Zeit eures Lebens. Besonders weil ihr sehr viel Zeit mit den selben Menschen verbringt. Der Kontakt verliert sich mit der Zeit. Haltet den Kontakt zu euren Schulfreunden und vergesst die Zeit nicht.