Nettelnburg/Berlin. In seinem neuesten Buch zieht es den Literaten auch in seine Jugendzeit ins Nettelnburg der 1990er-Jahre zurück.

Männer, das sind „diese rauchenden, harten Hunde“. Sie saufen, sie verführen, sie stehlen und fluchen. Und doch sind sie gleichzeitig „zu großen Gefühlen universeller Tragweite“ fähig, sind „stärker, besser, schlauer als andere“. Ihnen gehört die Welt. Christian Dittloff möchte in den 1990er-Jahren so sein wie diese Figuren aus den Büchern Hemingways oder Bukowskys.

Der Nettelnburger, Jahrgang 1983, träumte als Teenager „von Sex, Kampf, Anerkennung, von Abenteuern“. Er träumte „nicht von Solidarität und Respekt“, so schreibt er heute. „Ich träumte innerhalb des Spektrums der Macht. Ich sehnte mich nach einem nostalgischen Männlichkeits-Wunderland.“

Mit dem Buch will Dittloff an den Pfeilern männlicher Macht rütteln

Heute rüttelt Christian Dittloff an genau diesen Pfeilern der männlichen Macht. Der 40-jährige Autor, der inzwischen in Berlin lebt, hat mit „Prägung – Nachdenken über Männlichkeit“ sein drittes Buch vorgelegt (Berlin-Verlag, 22 Euro). Und versucht darin in einer Mischung aus Reflexionen und biografischen Erzählungen, den patriarchalischen Einflüssen seiner Kindheit und Jugend in Hamburg nachzuspüren.

Er wird nicht nur im fast schon Offensichtlichen fündig – in Musik, Literatur oder Kunst, wo Frauenthemen abgewertet, ausgeblendet, ignoriert wurden. Dittloff findet auch Spuren von all dem in sich und stellt allen Männern die Frage: „Wann endet die Prägung, und wo beginnt die Verantwortung?“

Seine Schulkameraden erinnern ihn an „Dickpics auf zwei Beinen“

Zu diesem Thema kam der Wahlberliner eher zufällig. Nach dem Tod seiner Eltern, die vor einigen Jahren sehr kurz nacheinander starben, sei er „in eine Art „Rückwärtsbewegung geraten“, erzählt er. Kindheit und Jugend rückten in seinen Blick, als er ein Buch über den Verlust der Eltern schrieb. All die prägenden Menschen in seinem Leben und das patriarchal geprägte Klima der 1980er- und 90er-Jahre verbanden sich gemeinsam mit seiner Lebensmitte-Bilanz zu der Frage, wie er eigentlich wurde, was er ist. Und ob er heute noch derselbe sein möchte.

Und so beginnt Christian Dittloff in seinem Buch zu berichten. Er erzählt von dem Ethiklehrer, der mit seinen Schülern über Vergewaltigungen redet. Und der dann auf eine Schülerin im Minirock zeigt: „Wer sich so kleidet wie eure Mitschülerin hier, geht auf die Straße, um vergewaltigt zu werden.“

Er erinnert sich an Schulkameraden, „Dickpics auf zwei Beinen“, die die Mädchen in der Sportumkleide belästigen und sich dabei nicht eine Sekunde in Frage stellen. Sportlehrer, die nur zu gern den hübschen Mädchen Hilfestellung beim Bocksprung geben, auch wenn diese gar nicht wollen. Dittloff findet alte Schulbücher, in denen steht, dass Männer nach Hierarchien und Frauen nach Harmonie streben und stellt fest: „All diese Fakten galten als gegeben, kein Wort von der sozialen Gemachtheit der Rollen.“

Gewalt als eine Möglichkeit, zu den Jungs zu gehören

Christian Dittloff betrachtet in den teils leicht fiktionalisierten Episoden auch sein eigenes, jüngeres Ich. Sein Mäandern zwischen Zartheit und Grausamkeit. Das Unbedarfte, Linkische, nach Anerkennung Suchende. Aber auch das Klauen, Kaputtmachen, Frösche töten. Das Dazugehörenwollen in der Welt der Jungs. Die Widersprüche beim Thema Gewalt. Etwa, als eine junge Frau ihm beim Kennenlernen bescheinigt, er habe so „unbedrohlich“ ausgesehen. „Ich frage mich sofort, ob das ein Kompliment ist“, schreibt Dittloff. „Ich möchte niemanden bedrohen, doch wie ist es mit der Möglichkeit? Setzt die Möglichkeit zur Bedrohung nicht Kraft voraus, und will ich nicht Kraft haben, etwas mit meinem Körper können?“

Seine romanhaften Erinnerungen ergänzt der Autor durch etliche Reflexionen und Exkurse. Er betrachtet die Rollen von Frauen und Männern in Kunst, Literatur, Musik. Und findet in der Vergangenheit, teilweise auch noch in der Gegenwart, überall die selbstverständliche Vorherrschaft der Männer, das nonchalante Einnehmen von Lebensbereichen, die auch den Frauen gehören. Dittloff folgert draus: Er will sich verändern, „sich selbst ins Handeln bringen“.

Nicht „die Männer“ kritisieren, sondern die Männlichkeitsbilder

Dabei will der 40-Jährige nicht skandalisieren, keine einzelne Personen an den Pranger stellen und auch keinesfalls „die Männer“ kritisieren. Vielmehr kritisiere er die „Männlichkeitsbilder“, betont er. Denn: „Gewaltvolle Männlichkeitsbilder sind verantwortlich für die großen Krisen der Gegenwart.“ Veränderung sei möglich und notwendig. Und auch wenn es „hilfreich wäre“, wenn Männer verstehen würden, dass sie in einem Geschlechterverhältnis leben und dass sie immer noch strukturell bevorzugt werden, so geht es ihm doch nicht um Belehrung und Aufklärung. Nur um „ein gutes Leben für uns alle und dass wir uns gegenseitig unterstützen“.

Jeder Mensch sei „ein Knotenpunkt im Netz patriarchalischer Struktur“, schreibt er am Ende seines Buches. „Man kann sich weigern, ein fester Knoten zu sein. Man kann daran arbeiten, die Knoten um sich herum aufzuknüpfen, um das Netz zu schwächen. Es braucht nicht viel mehr, um wirksam zu sein. Und zugleich: ein anderes festes Netz zu knüpfen durch solidarisches Miteinander.“ Er richtet diesen Wunsch vor allem an sich selbst: „Ich muss verstehen, dass feministische Belange auch meine Belange sind.“