Bergedorf. Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein und ihre Hobbys: Der 59-Jährige läuft Ultra-Marathons – bis zu 100 Kilometer.

Wenn die Kinder aus dem Landgebiet nur wüssten, was für ein zäher Bursche sie jeden Tag zur Schule fährt! Denn der VHH-Busfahrer Turgay Ünlü könnte sich problemlos vorstellen, dieselbe Strecke auch mal eben zu Fuß zu laufen: Der 59-Jährige ist ein Ultra-Marathonläufer – mit 42,195 Metern gibt er sich also längst nicht mehr zufrieden.

Angefangen hat das alles, als er 1990 aus der Türkei nach Deutschland kam: „Vorher war ich im Lager und bin Lkw gefahren, habe Kampfsport und viel Fitness gemacht.“ Aber als Busfahrer wog er plötzlich 120 Kilogramm, das durfte so nicht weitergehen. Und weil er sich nicht mit einem Beitrag an einen Verein binden wollte, lief er einfach los:

Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe kämpfte mit Übergewicht

Von Neuengamme über den Curslacker Heerweg bis in die Boberger Dünen, auf dem Rückweg noch die Treppenstufen an der Holtenklinker Straße hoch – aber nur auf einem Bein. Das war schon ein bisschen verrückt, denn „im Sommer bin ich extra mit Regenjacke gelaufen und hab mir sogar noch Frischhaltefolie um den Bauch gewickelt.“ Die elende Schwitzerei hat geholfen: 1994 wog Turgay Ünlü nur noch 65 Kilogramm.

Im selben Jahr fragte ihn ein Kollege, ob er mit zum Berlin-Marathon käme. Seither „habe ich daheim einen Stapel von Urkunden von über 100 Wettkämpfen“, sagt der 59-Jährige, der aber seit 1999 keine normalen Marathons mehr läuft: 18-mal war er beim Röntgenlauf in Remscheid dabei (63,3 Kilometer), fünfmal beim Orientierungslauf Georgsmarienhütter Null (50 Km). Die 52 Kilometer lange Harz-Querung war natürlich nichts gegen die 100-Kilometer-Strecke bei den Bieler Lauftagen in der Schweiz („das habe ich fünfmal geschafft“), seine vier Starts beim Thüringer Ultra (100 Km) oder den Alpin-Marathon in Davos: Der Bergultralauf „K 78“ führt immerhin auf 3000 Meter Höhe.

Morgens vor der Arbeit läuft er von Bergedorf nach Geesthacht und zurück

Funktionsunterwäsche und Laufsocken seien wichtig, betont Ünlü, der gern morgens um 3.30 Uhr von Bergedorf bis Geesthacht und zurück rennt, bevor sein VHH-Dienst um 6.30 Uhr beginnt. Mindestens 120 Kilometer trainiere er wöchentlich, von Dienstag bis Sonntag. Der Montag steht dann im Zeichen von Kardiotraining und Workouts, freitags ist Pause. Inzwischen sei er bei gesunden 80 Kilogramm angekommen und mache seit einem Jahr Intervallfasten: Acht Stunden essen, 16 Stunden nicht: „So kann ich üben, wie mein Körper bei Hunger seine Restenergie nutzt.“

Das habe zum Beispiel beim Eco-Trail in Oslo geholfen, wo es auf der Strecke nur vier Verpflegungsstellen gibt. „Mir haben Wasser, eine Banane und ein Snickers gereicht“, sagt Turgay Ünlü, der schon zweimal die 80 Kilometer geschafft hatte. Zuletzt aber machte er „nur“ 50 Kilometer – und erreichte in seiner Altersklasse nach sechs Stunden und 23 Minuten den zweiten Platz. „Länger wollte ich diesmal nicht, um meine Tochter zu sehen, die mit meinen beiden Enkeln in Norwegen lebt.“

Von Athen bis nach Sparta wird er wohl nicht mehr schaffen

Wie aber hält man bloß eine solche Disziplin durch? „Bloß nicht nachdenken, bloß nicht nervös auf die Uhr gucken, bloß nicht wie verrückt die Kilometer zählen“, waren die Ratschläge an seinen Sohn (20), als der mit auf den Brocken kam, wo sie sich bei Oktober-Kälte mit Haferschleim und Tee versorgten.

Ebenso wichtig: Auf Bergen nur gehen statt laufen. „Das spart Kraft, wenn man mit einem Lächeln ins Ziel will.“ Allerdings habe er auch schon dreimal aufgeben müssen: „Da wollte der Kopf nicht weiter und ich fragte mich nur, was ich mir da angetan habe“, sagt er heute grinsend. Und so ist der Traum, einmal von Athen nach Sparta zu laufen, auch dem Kopf nicht mehr beizubringen – das wären immerhin 246 Kilometer.