Marcel Nolte Drama nach Tod des Vaters

Der Tod seines Vaters hat Marcel Nolte buchstäblich aus dem Leben geworfen. Bis vor zwei Monaten wohnte der 30-Jährige mit ihm in der gemeinsamen Wohnung in Neuallermöhe. Fürs Einkaufen, Kochen, jeglichen Schriftverkehr, sogar die Schritte vor die Tür war Dieter Nolte verantwortlich. Denn Marcel ist seit seiner Geburt blind und lernbehindert. Er wurde immer vom Vater umsorgt, betreut und bis zuletzt stets begleitet.

Doch dann starb der Vater, wachte mit 74 Jahren morgens einfach nicht mehr auf. Marcel verbrachte noch Tage in der Wohnung, bis Nachbarn stutzig wurden und den Notarzt alarmierten. Marcel kam vorübergehend ins Bethesda Krankenhaus. Doch wohin mit jemandem, der erwachsen ist und mündig, aber nie gelernt hat, selbstständig zu leben?

"Zurück nach Hause ging es jedenfalls auf gar keinen Fall", sagt Jürgen Wolf, der nach einigen Tagen der völligen Ungewissheit endlich vom Amtsgericht als gesetzlicher Betreuer bestellt wurde. Und dem es nach kurzer Anlaufzeit gelang, Marcels Vertrauen zu gewinnen - keine leichte Aufgabe, weil sein Schützling sehr kritisch gegenüber jeglicher Veränderung seines Lebensumfelds eingestellt und als Blinder ohnehin sehr misstrauisch ist.

"Eigentlich musste alles geregelt werden", sagt Wolf, der als professioneller Betreuer rund 50 Menschen unter seinen Fittichen hat. Die meisten sind schon seit Jahren bei ihm, vielfach Senioren mit Demenz oder psychischen Leiden.

"Marcel Nolte ist schon ein besonderer Fall, jemand, der mit 30 Jahren plötzlich ohne alles dasteht. Das bedeutet einen Haufen Arbeit mit Sozialamt, Jobcenter, Pflegekasse."

So ist bisher nur ein erster kleiner Erfolg zu verbuchen: Marcel wohnt vorübergehend im Senator-Ernst-Weiß-Haus, einem Pflegeheim der Hamburger Blindenstiftung in Wandsbek. Wann per Eingliederungshilfe der Versuch eines angepassten Berufsstarts anlaufen kann, steht ebenso in den Sternen, wie die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches: "Ich möchte nicht ewig zwischen all diesen alten Menschen leben", träumt Marcel Nolte von einer Wohngemeinschaft mit behinderten und nicht behinderten Menschen in seinem Alter - gern im Bezirk Bergedorf. "Hier in Wandsbek gibt es nicht mal jemanden, mit dem ich nach draußen gehen kann. Immerhin habe ich ein Einzelzimmer, jetzt auch mit Fernseher, und ich darf auf meinem Keyboard und E-Piano spielen. Doch ich würde so gern mal raus zum Döneressen oder auf den Hamburger Dom."

Beruflich will Marcel Nolte, der die Hamburger Blindenschule besuchte, "auf keinen Fall in einer Behindertenwerkstatt enden". Sein Ziel: das Hobby Musik zum Beruf machen - wenigstens als Fortsetzung der unregelmäßigen Auftritte als Tanzmusiker in Seniorenheimen, die sein Vater noch organisierte.

Ob das eine ernsthafte Perspektive ist, mag Jürgen Wolf derzeit nicht beurteilen. "Jetzt geht es erst mal darum, ihn in einer adäquaten Wohngemeinschaft unterzubringen." Und es stehe noch eine weitere wichtige wie schmerzliche Pflicht an: Dieter Nolte ist noch immer nicht beerdigt, zu vordringlich war die neue Ordnung für das Leben seines Sohnes. Kommende Woche soll der Vater auf dem Bergedorfer Friedhof nun endlich seine letzte Ruhe finden.