Einweihung: Energie-Campus bis Mitte 2016 noch ohne Windpark - Stromnetz im Fokus

Gestern ist in Bergedorf ein neues Zeitalter angebrochen: "Wir weihen hier den zentralen Forschungsstandort für Windkraft und intelligente Energienetze für Hamburg und vielleicht auch ganz Deutschland ein", sagte Bürgermeister Olaf Scholz im Neubau des 7,4 Millionen Euro teuren Energie-Campus' der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) am Schleusengraben. "Hier wird ab sofort ein wesentlicher Beitrag zur Energiewende geleistet. Das stößt die Tür auf zu umfangreichen Projektmitteln aus deutschen und europäischen Fördertöpfen, die unserer Stadt dauerhaft die Spitzenstellung als Windenergie-Standort sichern."

Wie schon bei der Grundsteinlegung im Februar versprühte der Bürgermeister zur Einweihung gestern großen Optimismus. Trotz Protesten der Bergedorfer Anti-Windkraft-Initiative vor der Tür, ließ Scholz gegenüber den gut 250 geladenen Gästen drinnen keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit: Bergedorf werde mit aller Macht zum voll funktionsfähigen Hamburger "Silicon Valley Energiewende" ausgebaut. Dazu gehöre neben der Nutzung des Geesthachter Pumpspeicherbeckens als Energiepuffer auch "die Forschung am lebenden Objekt in fußläufiger Entfernung", also der Bau der umstrittenen 180-Meter-Windriesen im benachbarten Windpark Curslack.

Warum der Bürgermeister derart entschlossen zur Sache geht, war unter den versammelten Fachleuten der Branche kein Geheimnis: Hamburg will sich mit Schleswig-Holstein als "Schaufenster intelligente Energie - Modellregion Wind" bewerben. Die Auslobung des zentralen Windkraft-Projektes der Energiewende, dotiert mit 40 Millionen Euro Fördergeld, wird kurzfristig erwartet.

Bei einem Zuschlag würde Bergedorf das Forschungszentrum für die Versorgung großer Teile Hamburgs mit dem Strom der Windkraftanlagen an Schleswig-Holsteins Küsten.

Wann die 180-Meter-Riesen jenseits der A 25 gebaut werden, ist noch unklar. Bisher wurde nicht mal der Genehmigungsantrag gestellt, bestätigte Energie-Campus-Chef Prof. Dr. Werner Beba unserer Zeitung. Das solle aber nun geschehen. Mit einer Genehmigung rechnet Beba "frühestens im dritten Quartal", mit der Inbetriebnahme nach acht bis neun Monaten Bauzeit "erst Mitte 2016".

So bleibt das Erdgeschoss des Energie-Campus', wo die Windkraft-Forscher angesiedelt sind, noch gut ein Jahr ohne die Möglichkeit, Lärm, Standfestigkeit, Effektivität oder auch den Vogel- und Fledermausschutz der Riesen gleich nebenan zu testen. Viel zu tun ist dafür schon im Obergeschoss des Neubaus, wo sich die Forscher mit intelligenten Energienetzen befassen. Dafür ist das Gebäude wie eine Stadt der Zukunft mit drei Arten der Energieversorgung ausgestattet: Auf dem Dach stehen Sonnenkollektoren, von unten kommt Erdwärme, und im Haus steht ein Blockheizkraftwerk, das unter anderem mit Erdgas betrieben wird. Der Ertrag aller drei Quellen kann in sechs multifunktionalen Warmwasserspeichern zwischengelagert werden. Weitere Energiereserve: Über Elektrolyse wird ihr Inhalt in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten, wobei der Wasserstoff gespeichert und bei Bedarf wieder dem Kraftwerk zugeführt wird.

Zudem verfügt der Energie-Campus über eine Art "Bioreaktor", der den Wasserstoff mit Kohlendioxid zu Methan verbindet. Dieses typische Produkt der Biogasanlagen kann im öffentlichen Erdgasnetz gelagert werden. Zudem wird mit Akkus aller Art wie auch mit kompletten Elektro-Autos als Energiespeicher experimentiert.

Komplett wird der Energie-Campus aber erst mit dem Windpark Curslack. Das unterstrich Werner Beba gestern bei der Einweihung: "Windenergie ist das Rückgrat der Energiewende und Hamburg die Hauptstadt der Branche in Deutschland. Unser Job ist es, diesen Vorsprung zu erhalten - und möglichst auszubauen."