Inklusion: Einen Tag nach Schulbeginn fehlen noch Betreuer

Bei vielen Kindern war die Freude groß, als in Hamburg gestern wieder die Schule angefangen hat. Doch nicht bei Tim (Name geändert), Schüler der Stadtteilschule Kirchwerder. Der zwölfjährige Junge hat das Asperger-Syndrom, eine Form des Autismus, und ist auf einen Schulbegleiter angewiesen. Doch der kam gestern nicht - und Tim musste zu Hause bleiben.

Viereinhalb Jahre lang wurde der Junge von einer Fachkraft des Rauhen Hauses begleitet. "Das hat super funktioniert. Die beiden hatten ein enges Vertrauensverhältnis", sagt Tims Mutter, die namentlich nicht genannt werden möchte, um ihren Jungen zu schützen. Doch Ende des vergangenen Schuljahres habe das Regionale Bildungs- und Beratungszentrum (ReBBZ) in Bergedorf ihr mitgeteilt, dass der Begleiter dieses Trägers zu teuer sei, vermutlich aufgrund der weiten Anfahrt. Ein Ersatz sollte umgehend gesucht werden, versprach das Zentrum.

Doch am Mittwoch - einen Tag vor Schulbeginn - bat die Stadtteilschule Tims Mutter zu einem Gespräch und teilte ihr mit, dass kein Begleiter gefunden worden sei. "Das ist ein Desaster. Es kann doch nicht sein, dass das ReBBZ es nicht schafft, innerhalb von knapp zwei Monaten einen geeigneten Begleiter zu finden", prangert die Mutter an. Zumal sie schon geahnt habe, dass es so kommen würde, und deswegen rechtzeitig auf die Beratungsstelle zugegangen sei.

Während die Schule gestern zu keiner Stellungnahme bereit war und sich auch das ReBBZ in Schweigen hüllt, versucht Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde, die Situation zu beschwichtigen. Die Behörde setze derzeit ein "neues, für Familien vereinfachtes Verfahren um". Während früher die Eltern einen Schulbegleiter suchen mussten und oft keinen finden konnten, sei dafür nun ein "Pool von Profis" zuständig - das ReBBZ. Aber: "Die Sommerzeit ist auch Urlaubszeit für Träger, daher ist es zu gewissen Verzögerungen gekommen", gesteht er.

Tim ist in Hamburg kein Einzelfall. In allen Bezirken stehen derzeit Eltern mit behinderten oder auffälligen Kindern vor einem ähnlichen Problem. Das hängt nicht nur mit der Umstrukturierung des Verfahrens zusammen, sondern auch mit dem Anstieg der Anträge insgesamt. Während es 2011 noch 123 Schulbegleiter gab, waren es 2012 schon 305 und im vergangenen Jahr sogar 488.

Auch an der Stadtteilschule Kirchwerder gibt es neben Tim noch vier weitere Kinder, die auf einen Schulbegleiter angewiesen sind, aber keinen haben. Dass diese nun alle nicht zur Schule gehen könnten, dafür sieht Albrecht aber keinen Grund. Die Schule habe "sonderpädagogische Ressourcen", die Kinder könnten daher durchaus zur Schule gehen und würden dort entsprechend betreut.

Sonderpädagogische Ressourcen? Bei dieser Aussage kann Tims Mutter nur mit dem Kopf schütteln. Zwar gibt es in der Klasse neben der Klassenlehrerin einen Sonderpädagogen. Dieser kümmert sich jedoch um die Förderung der Lerninhalte aller Schüler. "Mein Sohn braucht aber einen Schulbegleiter, der ausschließlich für ihn da ist", betont sie. Bis auf Weiteres wird ihr Sohn deshalb zu Hause bleiben - trotz Schulpflicht.