Hamburg. Im Prozess gegen den Flughafen-Geiselnehmer wird eines deutlich: Polizisten haben durch ihr besonnenes Vorgehen Schlimmeres verhindert.

Die Taten des Hamburger Flughafen-Geiselnehmers am Abend des 4. November 2023 sind zumindest in Teilen minutiös von Videokameras aufgezeichnet worden. Aufnahmen, die am Donnerstag in dem Prozess gegen den 35-Jährigen gezeigt wurden, belegen, wie problemlos er auf das Flughafengelände fahren konnte. In nur wenigen Sekunden durchbrach er drei Schranken am Nordtor.

Auf mehreren Videos aus unterschiedlicher Perspektive ist zu sehen, wie sein schwarzer Wagen entgegen der Fahrtrichtung auf die Ausfahrt am Nordtor zurollt, kurz langsamer wird und durch die erste Schranke bricht, dann mit mehr Tempo durch die zweite und die dritte. Die Barrieren bestehen jeweils aus zwei, in der Mitte zusammentreffenden Teilen. Hinter der Frontscheibe auf der Beifahrerseite liegt die rosa Kita-Tasche der vierjährigen Tochter des Mannes, wie der Angeklagte bestätigt. Für das Eindringen braucht der Wagen nur Sekunden.

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    Ein Flughafenpolizist, der als Erster zu dem Einsatz gerufen wurde, erklärte als Zeuge vor der Strafkammer am Landgericht, dass die Barrieren nicht sichtbare Sollbruchstellen und Induktionsschleifen hatten. Bei größeren Unfällen auf dem Flughafengelände sollten Rettungsfahrzeuge schnell durch Schranken der Ausfahrt in den Sicherheitsbereich gelangen können.

    „Er hat sich für die einfachste Variante entschieden“, sagte der 47-Jährige. „Das ging leichter als gedacht.“ Inzwischen sei der Eingang durch ein Stahltor gesichert. „Da kommt man nicht mal mehr mit dem Panzer durch“, meinte der Polizist. Für die Feuerwehr und Rettungskräfte werde es aber eine Notöffnung geben, vermutete der Beamte.

    Eine beschädigte Schranke, durch die ein Mann am Flughafen mit seinem Auto gerast sein soll.
    Eine beschädigte Schranke, durch die ein Mann am Flughafen mit seinem Auto gerast sein soll. © Jonas Walzberg/dpa

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    Laut Anklage und nach eigenen Angaben vor Gericht hatte der Türke zunächst seine damals vierjährige Tochter mit Gewalt aus der Wohnung seiner Ex-Frau im niedersächsischen Stade geholt. Dann war er auf das Flughafengelände gefahren. Über den Polizeinotruf forderte er, dass ein Flugzeug ihn und seine Tochter in die Türkei bringen solle.

    Er schoss dreimal in die Luft und drohte, sich und das Kind mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft zu sprengen. Erst nach 18 Stunden gab der 35-Jährige auf. Die Sprengsätze erwiesen sich als Attrappen. Hintergrund der Tat war ein jahrelanger Sorgerechtsstreit.

    Brandsätze zwingen Flugzeug zum Halten

    Weitere im Prozess präsentierte Videos zeigten die hochdramatische Situation auf dem Vorfeld des Flughafens. Zwei Brandherde sind rechts und links vor einem dunklen Wagen zu sehen. Eine Lufthansa-Maschine mit Blinklicht - nach Angaben des Polizisten also auf dem Weg zur Startposition - muss stoppen. Feuerwehrfahrzeuge nähern sich und bekämpfen aus Löschkanonen die Flammen. Plötzlich fährt das dunkle Auto mit hohem Tempo davon. Der Polizeiwagen des Zeugen steht im Hintergrund. Zwei Beamte gehen zum Kofferraum des Wagens. Nach Angaben einer Beamtin der Spurensicherung, die ebenfalls am Donnerstag aussagte, hatte der Täter Brandsätze geworfen.

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      Geiselnehmer schießt in die Luft

      Der Polizist erklärte, dass ihnen der Mann auf dem Vorfeld mit einer Waffe in der Hand gegenüberstand. Sie seien mit gezogenen, aber abgesenkten Pistolen auf ihn zugegangen. Der Täter habe wenigstens einmal in die Luft geschossen. „Wir konnten nicht schießen, aufgrund dessen, dass die Feuerwehr hinter ihn kam und eine Maschine zur Startposition rollte“, sagte der Zeuge. Der Flugverkehr sei noch nicht eingestellt gewesen.

      Schussabgabe direkt neben Flugzeug mit Passagieren

      Um treffsicherer schießen zu können, hätten sie ihre Maschinenpistolen aus dem Kofferraum geholt. Unterdessen sei der Tatverdächtige 200 Meter weiter unter die Tragfläche einer Maschine der Turkish Airlines gefahren. Als die Beamten mit Maschinenpistolen sich ihm näherten, habe er direkt an dem Flugzeug erneut in die Luft geschossen. „Er stand zwischen Cockpit und linker Tragfläche, aber er stand nicht direkt unter der Tragfläche.“ Die Maschine sei seines Wissens aus Antalya gekommen. Ein Teil der Passagiere und die Besatzung seien noch an Bord gewesen.

      Eine eingetroffene Festnahmeeinheit der Bundespolizei habe zu ihm und seinem Kollegen gesagt: „Geht mal in Deckung, jetzt sind wir erstmal dran.“ Der Zeuge bezeichnete sein eigenes Verhalten als besonnen: „Sicherlich hätte es Polizisten in Deutschland gegeben, die geschossen hätten. Ich bin froh, dass wir es nicht getan haben.“

      Der Geiselnehmer habe sich nach seinem Eindruck „ausweglos“ gefühlt. Die Schussabgabe sei wie ein Hilfeschrei gewesen: „Helft mir, aber kommt mir nicht zu nahe!“

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