Hamburg. Abendblatt-Redakteur Wolfgang Klietz hat ein Buch über seine Posttraumatische Belastungsstörung geschrieben. Welche Therapie half.

„Oh, mein Gott! Ich kann nicht mehr! Der Deckel ist wieder auf!“ Wolfgang Klietz sitzt in der Klinik auf dem Bett, sein ganzer Körper zittert, seine Augen sind weit aufgerissen. Er atmet hektisch. Seine Psychotherapeutin steht vor ihm und notiert später: „Er scheint gefangen in seiner eigenen Welt, nimmt nur manchmal Kontakt zu mir auf. Er stammelt: ,Hilfe ... Krieg ... Atompilz ... Was ist hier los?‘ Seine Panik erfüllt den Raum.“ Ihm fehlt die Sprache, das zu beschreiben, was er gerade erlebt. Der Patient ist entrückt aus dem Hier und Jetzt.

Wolfgang Klietz leidet an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Solche Panikattacken hat er unzählige Male erlebt. Mal gibt es Zeiten, in denen das Trauma zu ruhen scheint, doch dann kehrt es wie aus heiterem Himmel mit Flashbacks wieder zurück. Er zittert am ganzen Körper, kann nicht laufen. Das Leben gerät aus der Bahn. In Kliniken sucht er Hilfe. Wolfgang Klietz (59) hat über seine Krankheit ein Buch geschrieben. Es ist im renommierten Verlag W. Kohlhammer erschienen und trägt den Titel „Oben scheint das Licht. Ein Weg aus dem Trauma“ (120 Seiten, Preis: 29 Euro).

PTBS: Klietz berichtet von Traumata

Seine Schilderungen sind sprachlich dicht, stark emotional, sehr persönlich, für den Leser zuweilen schwer aushaltbar, weil sie tief die menschliche Seele betreffen und berühren. Wolfgang Klietz, Redakteur der Regionalausgabe Norderstedt des Hamburger Abendblatts, gelingt es, mit prägnanter Sprache und Dramaturgie subtile Einblicke in die beschädigte Seelenlandschaft zu geben und am Ende Hoffnung zu vermitteln. Das Buch gehört zu den wenigen auf dem Buchmarkt, in denen ein Autor autobiografisch von Traumata berichtet.

Das Buch von Wolfgang Klietz über seine  Traumata hat 120 Seiten und  kostet 29 Euro.
Das Buch von Wolfgang Klietz über seine Traumata hat 120 Seiten und kostet 29 Euro. © Kohlhammer Verlag

Nach einer Odyssee durch etliche Kliniken hat er nämlich eine Spur gefunden, die ihm helfen kann, die Traumata und ihre Symptome auszuhalten. „Mit diesem Buch habe ich mir die Krankheit buchstäblich von der Seele geschrieben. (...) Das Buch soll Menschen mit derselben Krankheit Mut machen, sich der Vergangenheit zu stellen, um die Gegenwart lieben zu können“, schreibt Klietz im Nachwort.

Wolfgang Klietz als Kind fast ertrunken

Für Traumaüberlebende, notiert die Psychotraumatherapeutin Maggie Schauer von der Universität Konstanz im Vorwort, ist die Erinnerung an die Ereignisse in der eigenen Lebensgeschichte undenkbar und unaussprechlich. Nach Angaben der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am UKE erleben rund 80 Prozent aller Menschen im Laufe ihres Lebens ein relevantes Trauma. Das können körperliche und seelische Gewalt sein, Unfälle, Krieg, Flucht und Vertreibung und weitere gravierende Lebensereignisse. Die Häufigkeit, darauf mit einer Posttraumatischen Belastungs­störung zu reagieren, liegt bei rund acht Prozent.

Auf Wolfgang Klietz’ Lebenslinie liegen mehrere Traumata. Dazu gehört ein Beinahe-Tod unter Wasser. Im Wahlstedter Freibad gerät der Vierjährige tief ins Wasser – ein Ereignis, das ihn später noch als Erwachsenen in Todesangst versetzen wird. Zum Glück rettete ihn ein größerer Junge aus dem Schwimmbecken. Dieses Ereignis gab dem Buch den Titel.

Eltern erlebten schwere Luftangriffe

Schließlich wird er als Kind Zeuge, wie ein Fallschirmspringer zu Tode kommt. Auch eine ruppige medizinische Behandlung und Erlebnisse als Reporter an Tatorten von Verbrechen, Unglücksfällen und im Kosovo haben sich in seine Seele gegraben. Der Journalist und Autor maritimer und geschichtlicher Bücher musste aber auch erkennen, dass bei ihm sogar die Traumata der Elterngeneration nach ihm greifen.

Die Fachwelt spricht von der transgenerationalen Weitergabe kindlicher Traumatisierung und sogenannter Epigenetik. Inzwischen sind sich Spezialisten wie Maggie Schauer sicher, dass zum Beispiel Erlebnisse der Eltern und Großeltern in den beiden Weltkriegen die Sensibilität für Gefahren bei den Kindern und Enkeln deutlich erhöhen. Vater und Mutter erlebten als Kinder schwere Luftangriffe, der Großvater mütterlicherseits kämpfte in der Hölle der Schützengräben in Verdun und kehrte schwer verwundet zurück – Ereignisse, die über die Generation hinweg die Nachfahren prägen.

„Ich keuche und schwitze und öffne die Augen"

Bei einem Besuch in Dresden, das im Zweiten Weltkrieg durch anglo-amerikanische Bomber schwer zerstört wurde, hört Klietz plötzlich das Heulen der Sirenen, das Pfeifen der herabstürzenden Bomben und das Krachen der Einschläge. Er sitzt in der wieder aufgebauten Frauenkirche, und plötzlich wirkt selbst das prachtvolle Gotteshaus bedrohlich. „Ich keuche und schwitze und öffne die Augen, um zu realisieren, dass kein Feuer brennt, keine Bomben fallen und die großen Glasfenster nicht unter einer infernalischen Hitze bersten“, schreibt er in seinem Buch und fügt hinzu: „In mir war der Krieg.“

Der Leser wird mitgenommen in seine Klinikaufenthalte und zu den Begegnungen mit Menschen, die ihm Mut gemacht haben. Er schildert damit das Leben mit seinen Bruchstellen, Abgründen und dem Kampf um ein Stück Lebensqualität – ein Fundament, das trägt. Wenigstens für die nächste Nacht. In den Fokus gerät damit eine Alltagswelt, die fernab von Instagram- und Tiktok-Filtern das wahre Leben ist.

Das Konzept der narrativen Therapie wurde für Kriegsopfer entwickelt

Dass Wolfgang Klietz Mut fasst, ein Buch über seine Krankheit zu schreiben, ist wohl der glücklichen Fügung zu verdanken, dass er auf eine Ärztin und Therapeutin traf, die auf der Grundlage der Narrativen Expositionstherapie (NET) arbeitet. Seitdem sieht er deutliche Wege aus seinem Trauma. Die Ärztin, deren Namen er auf deren Wunsch nicht publiziert, wurde von Maggie Schauer und Thomas Elbert an der Uni Konstanz ausgebildet. Das Konzept wurde ursprünglich für den Einsatz in Kriegsgebieten entwickelt. Dabei regt der Therapeut den Patienten an, das jeweilige Ereignis präzise zu erzählen, was für den Kranken eine schwere Aufgabe bedeutet.

So entsteht eine Geschichte über das Ereignis, die Narration – mit dem Ergebnis, dass das Trauma ausgesprochen, erlebt und in die Biografie integriert werden kann. Aus dem diffusen Horror entsteht ein Kapitel in der Lebensgeschichte mit der überwältigenden Erkenntnis: Es ist vorbei und nicht mehr durch sich aufdrängende Flashbacks und Albträume aktuell.

PTBS: Wolfgang Klietz möchte wieder reisen

Am Ende der Therapie werden die Wünsche für die Zukunft fokussiert. Wolfgang Klietz möchte nach Jerusalem, Rom und in die Arktis reisen. „Inzwischen bin ich sicher, dass die Panik in mir nie ganz verschwinden wird. Aber ich kann ihr mein Leben entgegensetzen mit der Freude an der Sonne und dem Glück, eine Familie zu haben, mit der Begeisterung für ein gutes Buch und eine erfolgreiche Arbeit, für einen Wein und einen Abend mit Freunden.“

Vom Verkaufspreis geht 1 Euro an die Organisation „vivo international – victim’svoice“, in der Maggie Schauer und andere Traumatherapeuten seit Jahren ehrenamtlich arbeiten. Sie behandeln Kindersoldaten, traumatisierte Kämpfer und Zeugen von Massakern mit der von Schauer entwickelten Narrativen Expositionstherapie.

https://www.vivo.org