Hamburg. Die ersten Besucherinnen und Besucher hatten bereits seit der Morgendämmerung vor den Eingängen gewartet. Die Zeitungen schrieben später auffallend allgemein von „frühlingshaftem Wetter“ – und das aus gutem Grund: An diesem 1. Mai 1897 nieselte es pausenlos. Als die Tore um Punkt 10 Uhr geöffnet wurden, strömten Tausende auf das 200.000 Quadratmeter große Gelände zwischen Millern- und Holstentor – magisch angezogen von einer wahren Wunderwelt.
Hamburgs Internationale Gartenbauausstellung, die zweite nach 1869, war damit vor genau 125 Jahren in den Wallanlagen eröffnet – allerdings noch nicht offiziell. Das dauerte noch bis halb zwölf, als die Vereinigten Hamburger Gesangsvereine Beethovens „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“ schmetterten und Bürgermeister Mönckeberg eine lange Rede hielt.
Gartenbauausstellung in Hamburg als frühes Disneyland
Vor mehr als 1500 Gästen, darunter – so vermerkte es eine Zeitung – „Senta, Vorstand der Bürgerschaft und Spitzen der Militär- und Zivilbehörden“, hob Mönckeberg vor allem den belehrenden Charakter der Ausstellung hervor. Schließlich sei es eine bekannte Tatsache, so der Bürgermeister, „dass die große Menge der Menschen der Natur weit mehr als in früheren Zeiten entfremdet ist. Wie viele Tausende von Kindern wachsen in den Städten heran, ohne jemals ein wogendes Kornfeld geschweige denn einen Wald gesehen zu haben?“.
Mönckebergs Zuhörer fanden übrigens genug Platz: Die extra für die Ausstellung erbaute Haupthalle, in welcher der Festakt abgehalten wurde, hatte eine Grundfläche von 7600 Quadratmetern, alleine die Kuppel eine Spannweite von 45 Metern.
Die Hamburgerinnen und Hamburger, die unterdessen draußen schon fasziniert und ungläubig durch die Anlagen spazierten, erlebten eine Art frühes Disneyland, das die Vorstellungskraft der meisten bei Weitem überstieg. Vor Ort gab es Cafés, Restaurants, eine Weinschenke und mehrere grandiose Ausstellung- und Pflanzenhäuser, die – von verschiedenen Architekten entworfen – der Anlage ein exotisches Aussehen verliehen.
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Die Bauten gruppierten sich um den ehemaligen Wallgraben, ohne die frei gelassene Mitte zu blockieren. Ein Infoblatt schwelgte: „Mächtige Palmen- und Blattpflanzengruppen bilden den ruhigen Hintergrund für das Farbenmeer der roten, weißen und gelben Azaleen oder Rhododendren und Frühblüher, und in den heizbaren Räumen der Musterhallen prangen die rätselhaften Blüten schönfarbiger Orchideen.“
Ausstellung in den Wallanlagen mit 40.000 Tulpen
Auf einem 180 mal 60 Meter großem Beet waren 40.000 Tulpen gepflanzt, für Spaß und Abwechslung sorgten Verlosungen, Wettbewerbe und das Union-Restaurant im Stil eines oberbayerischen Hauses. Clou war eine Wasserrutsche, über die kleine Boote mit ihren Passagieren über eine schräge Holzrampe abwärts düsten und dann in den Stadtgraben glitten. Praktischerweise endete die feucht-fröhliche Fahrt direkt an einem Steg vor der Bierhalle der Elbschlossbrauerei. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie lange eine solche Anlage heutzutage an diversen „Runden Tischen“ diskutiert werden würde, um dann letztlich an irgendwelchen Bedenken zu scheitern.
Den Haupt-Anziehungspunkt bildete die sogenannte Vegetationsgalerie, die verschiedene Landschaften aus aller Welt zeigte. In einem Ausstellungsgebäude gab es plastische künstliche Pflanzen und Blüten vor zehn mal 22 Meter großen Wandgemälden aus den fünf Erdteilen zu sehen. Dargestellt waren unter anderem eine brasilianische Urwaldlichtung und eine norwegische Gebirgsschlucht mit echtem Wasserfall.
16 Nationen stellten im kleinen Garten Eden aus
Der Name „Allgemeine Gartenbau-Ausstellung Hamburg“ war für diesen kleinen Garten Eden eigentlich viel zu langweilig, aber er sollte den Besuchern vermitteln, dass es neben der Unterhaltung eben auch um Information ging. Denn immerhin stellten insgesamt 16 Nationen ihre Produkte aus, darunter die USA und die Azoren. Auch das täglich auf dem Gelände verteilte „offizielle Tagesprogramm“ sollte die Ernsthaftigkeit des Spektakels unterstreichen und brachte nach eigenem Bekunden „Artikel historischer, aesthetischer und beschreibender Art von allen möglichen Gebieten des Gartenbaues und der Blumencultur“.
Fraglich, ob dieser Anspruch von allen Besucherinnen und Besuchern verinnerlicht wurde. Fachleute kritisierten jedenfalls, dass auf dem Gelände mindestens so viel Wert auf geistige Getränke wie auf geistige Erbauung gelegt wurde, und das Schlagwort von der „Zwölf-Kneipen-Ausstellung“ machte bald überall die Runde. Doch spotten ließ und lässt es sich leicht darüber. Fakt ist, dass sich die Ausstellung rechnen musste, zumal sie ohne staatliche Hilfe organisiert worden war. Schwofen konnten die Hamburgerinnen und Hamburger diesmal sogar bis spät abends, was daran lag, dass die Anlage, anders als noch 1869, auch nach Einbruch der Dunkelheit erleuchtet werden konnte: Inzwischen war auch Hamburg „electrificiert“.
Ausstellung in Hamburg lief fünf Monate
Und weil alles so gut lief, wurde das Volksfest gleich auf erfolgreiche fünf Monate ausgedehnt, während die 1869er-Gartenschau, übrigens die erste auf deutschem Boden, nur müde zehn Tage gedauert hatte. Am 4. Oktober 1897 schlossen sich die verschnörkelten Tore mit den burgartigen Aufbauten dann wieder, nachdem mit zahlreichen „Concerten“ Kehraus gefeiert worden war. Das Ausstellungsgelände wurde „zurückgebaut“, die schöne Ausstellungshalle ganz pragmatisch an das Komitee für das Deutsche Turnfest 1898 verkauft.
Wenig bekannt: Die jahrhundertealte, 1897 extra restaurierte „Waldschänke“ überstand (fast) alle Stürme der Zeit. Sie wurde erst unnötigerweise abgerissen, als Hamburg den Weg für eine neue Gartenbauausstellung ebnete: die IGA im Jahr 1953.
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