Hamburg. Schon vor Beginn der Lebensmittelausgabe ist eine lange Warteschlange an der Ausgabestelle des Arbeiter-Samariter-Bundes in der Schimmelmannstraße zu sehen. Bevor die Bedürftigen den Raum betreten dürfen, wird der 3G-Nachweis kontrolliert. Zudem besteht eine FFP2-Maskenpflicht. Obst, Gemüse, Brot, Kühlwaren – noch gibt es eine große Auswahl, doch das Angebot wird knapper.
Das spüren auch die Betroffenen selbst. Ein Bedürftiger sagt: „Diese Woche habe ich relativ viel bekommen, da ich zu Anfang der Ausgabezeit dort war. Letzte Woche musste ich mit deutlich weniger Lebensmitteln nach Hause gehen, da ich erst zum Ende bei der Ausgabe war.“ Die Lebensmittelausgabestelle versorge derzeit einmal wöchentlich rund 370 Bedürftige, sagt Mitarbeiter Horst Lantsch.
Lebensmittelausgabe: Tafel schon vor dem Ukraine-Krieg überlastet
Dabei habe sich die Nachfrage nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine erhöht. „Bereits vor dem Krieg haben noch mehr Menschen angerufen und gesagt, dass sie zwar immer mal wieder kurz davor waren, sich über das Angebot der Tafel zu erkundigen, es dann aber doch irgendwie geschafft haben. Durch die steigenden Energie- und Lebensmittelkosten sowie die Inflation wären sie aber an ihre Grenzen gestoßen“, sagte Jan Henrik Hellwege, Geschäftsführer der Hamburger Tafel, dem Abendblatt. „Daher waren unsere Ausgabestellen bereits vor dem Krieg überlastet.“
Das habe dazu geführt, dass den Hilfesuchenden nicht sofort eine Ausgabestelle genannt werden konnte, sondern sie zunächst auf eine Warteliste gesetzt wurden. Auch wegen der Corona-Krise hätten sich bereits mehr Menschen an die Tafel gewandt. „Wir fragen nicht nach den Gründen, aber viele rechtfertigen sich“, so Hellwege. „Man kann sagen, dass durch Corona und die steigenden Lebenshaltungskosten 40 Prozent der Ausgabestellen bereits vor dem Krieg am Limit waren.“
Viele Geflüchtete auf die Tafel angewiesen
Nun mache sich zudem bemerkbar, dass vermehrt auch Ukrainerinnen und Ukrainer, die nach Hamburg geflohen sind, an den Ausgabestellen um Hilfe bitten. „Die Ballung von neuen Kunden hat dazu geführt, dass wir die Ausgabe für Ukrainer nun bei unserer Zentrale auf dem Hof machen, um so vielen helfen zu können wie möglich, ohne das bestehende System weiter zu belasten“, sagt Hellwege. „Die Extra-Ausgabestation machen wir nur übergangsweise, bis sich die Situation verbessert hat und wir kleinere Kontingente über die bestehenden Stellen abwickeln können.“
Am Mittwoch seien 450 Geflüchtete aus der Ukraine vor Ort gewesen – ein größerer Andrang als erwartet. „350 Menschen konnten wir helfen. 100 mussten wieder weggeschickt werden. Das war schmerzlich und hat uns traurig gemacht, sie nicht auch noch versorgen zu können“, sagt Hellwege. Dennoch sei alles sehr geordnet abgelaufen. „Die ukrainischen Schutzsuchenden erleben wir als sehr diszipliniert und dankbar.“
"Wollen verhindern, dass Menschen zu mehreren Stellen gehen"
Die Geflüchteten, die zur Tafel kommen, stecken laut Hellwege in unterschiedlichen Situationen. Bei manchen habe die Familie, bei der sie untergekommen sind, selber nicht genügend Geld, um sie mit zu versorgen. Ein weiterer Grund: „Obwohl der Ablauf bis zur Registrierung, ab der man staatliche Leistungen erhält, von der Stadt sehr schnell und unbürokratisch erfolgt, entstehen bei vielen Menschen zeitliche Zwischenräume, in denen sie auf Lebensmittel angewiesen sind. Auch sie kommen dann zu uns.“
Weil seit der Gründung der Hamburger Tafel im Jahr 1994 immer mehr Menschen in Hamburg auf Hilfe angewiesen sind, werde versucht, die Hilfe gerecht zu verteilen. Dafür muss vor Ort ein gültiges Dokument wie ein Bescheid über Hartz IV, Grundsicherung oder Sozialhilfe vorgelegt werden, das die finanzielle Not beweist. Die Ausgabestellen werden zudem nicht öffentlich ausgewiesen.
„Wir wollen verhindern, dass Menschen zu mehreren Stellen gehen oder an einem Standort ein großes Aufkommen ohne Vorankündigung stattfindet“, sagt Tafel-Geschäftsführer Hellwege. „Wir steuern das zentral und nennen dem Anrufer die für ihn nächste Ausgabestelle. So bekommen wir auch ein gutes Bild davon, in welchen Stadtteilen eine große Bedürftigkeit herrscht.“
Hamburger Tafel fehlen die Spenden
Bei der Sonder-Ausgabe für Ukrainer werde ausschließlich der ukrainische Pass kontrolliert. Personell sei sie zunächst für vier Wochen aufgestellt. „Dann wird es aufgrund mangelnder Lebensmittel schon Schwierigkeiten geben. Zudem wird unser Hof für die Logistik gebraucht. Insgesamt fahren von dort 15 Kühltransporter durch die Stadt.“ Dass die Tafel derzeit zu wenige Lebensmittel hat, liege nicht daran, dass ukrainische Geflüchtete dazugekommen sind, betont Hellwege.
„Es liegt daran, dass der Spendenfluss unterbrochen wurde. Zum einen gehen viele Spenden direkt nach Polen oder in die Ukraine, wo sie auch gebraucht werden. Zum anderen werden lange haltbare Lebensmittel gehamstert. Und die hohen Rohstoffpreise sowie der Boykott auf russische Waren führen dazu, dass die Lebensmittelindustrie Lieferkettenprobleme hat.“
Über 50 Prozent der Spenden für die Tafel kämen aus Supermärkten. Weitere 50 Prozent von der Lebensmittellogistik. Das betrifft Produkte, die durch Überproduktion oder kurze Mindesthaltbarkeitsdaten nicht mehr in den Handel gehen. Die Auswirkungen des Krieges auf den Lebensmittelhandel führten dazu, dass weniger Ware vorhanden ist, die gespendet werden kann. „Der Nachschub stockt bei einer gleichzeitig erhöhten Bedarfssituation“, so Hellwege.
Lebensmittelausgabe: Angebot könnte sinken
Insgesamt habe die Tafel 30 große Lebensmittelausgabestellen und beliefere 65 kleinere Einrichtungen wie Seniorentreffs, Drogenhilfeeinrichtungen oder Obdachlosenunterkünfte. „Wir sind auf Lebensmittelspenden von Unternehmen angewiesen. Das ist unsere Achillessehne“, sagt Hellwege.
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Vier Wochen könne die Tafel ihr Angebot noch aufrechterhalten. „Ohne größeres Spendenaufkommen müssten wir beginnen, die Warenmengen zu rationieren. Schlimmstenfalls würden dann alle da draußen weniger bekommen.“
Die Ausgabe für ukrainische Geflüchtete findet jeden Mittwoch ab 10 Uhr in der Schimmelmannstraße 123 statt. Informationen zu Spenden an die Hamburger Tafel unter https://hamburger-tafel.de/wie-sie-helfen/spenden/ im Internet.
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