Hamburg. Amtsrichterin Monika Schorn kennt beide Seiten: Jugendliche, die kriminell werden, und Jungen und Mädchen, die selbst Opfer von Gewalt und Missbrauch werden. Die Juristin war jahrzehntelang Jugendrichterin in Hamburg und seit 2004 zudem als Amtsrichterin für Jugendschutzsachen zuständig.
Jugendliche also als Täter, Jugendliche als Opfer – und manchmal Täter und Opfer in einer Person: So war es im Fall eines Gymnasiasten, der seinen Vater getötet hat, wie Schorn im Abendblatt-Podcast „Morgens Zirkus, abends Theater“ erzählt. „Das war ein intelligenter junger Mann, der sich letztlich nicht anders zu helfen gewusst hat, wie er sagte. Die ganze Akte schrie danach, dass in der Familie sexueller Missbrauch stattgefunden haben muss.
Gericht Hamburg: Jugendrichterin Monika Schorn über ihre Arbeit
In der Zuführsituation hat er berichtet, dass sein Vater über Jahre hinweg seine Schwester und ihn sexuell missbraucht hat.“ Im Hinausgehen auf dem Weg in die Haft sagte er zu Schorn, die als Ermittlungsrichterin mit dem Fall befasst war: „Ich habe gedacht, wenn ich das mache, dann bin ich frei, aber es fühlt sich gar nicht so an.“ Solche Geschichten nehmen auch die Richter emotional mit. „Viele Fälle haben betroffen gemacht, manchmal auch verzweifelt, weil man nichts erreichen konnte“, sagt Schorn. Immer wieder hatte sie Jugendliche vor sich, bei denen sie das Gefühl hatte: Da ist nichts mehr zu machen.
Das betraf besonders jugendliche Intensivtäter, die aus außerordentlich verwahrlosten Familien stammten und deshalb perspektiv- sowie letztlich auch völlig bindungslos waren. „Wir versuchen, jeden auf den richtigen Weg zurückzuführen, das ist unsere Aufgabe als Jugendrichter, aber man muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass man wirklich jeden erreichen kann.“ Die Rückfallquote sei hoch, wenn man es nicht schaffe, die Verhältnisse zu ändern, in denen die Jugendlichen leben, und das gelingt häufig nicht – besonders bei den Intensivtätern.
„Schulschwänzen ist meist ein Warnzeichen“
„Es gibt sogar Kinder, die schon im Kindergarten auffällig werden – sie schreien, beißen und hauen, verhalten sich aggressiv, beachten Regeln nicht und sind schwer integrierbar.“ So geht es oftmals in diesen Fällen in der Schule weiter. „Wenn diese Jugendlichen dann erstmals vor dem Jugendgericht stehen, sind meist bereits viele Korrekturversuche gescheitert“, sagt Monika Schorn. „Für uns als Jugendrichter ist es schwer, da etwas hinzubekommen, was andere über einen sehr langen Zeitraum nicht geschafft haben.“
Aus ihrer jahrzehntelangen beruflichen Praxis kennt sie Anzeichen, die dafürsprechen, dass ein Jugendlicher auf die schiefe Bahn zu geraten droht. „Schulschwänzen ist meist ein Warnzeichen. Wenn Kinder anfangen zu rauchen, zu kiffen, zu lügen, da müssen bei den Eltern die Alarmglocken läuten. Bei den meisten Jugendlichen, die in einer intakten Familie leben mit Eltern, die konsistent erziehen, verwächst sich das wieder. Eltern sollten aber in jedem Fall im Gespräch bleiben und den Jugendlichen zeigen, dass man sie lieb hat, aber derlei eben nicht akzeptiert.“
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Eine Angeklagte sagte: „Oh Frau Schorn, ich liebe Sie!“
Es gebe jedoch auch Jugendliche, die weder durch Eltern noch Sozialarbeiter erreichbar sind. „Wenn sich Eltern überfordert und hilflos fühlt, dann sollten sie nicht einfach nur brüllen, sondern sich fachkundige Hilfe holen.“ Manches ist wohl auch Glückssache: Viele Jugendliche werden in der Pubertät auffällig, bei den meisten von ihnen gibt sich das wieder. „Die Jugendlichen, die das Glück haben, in eine vernünftige Peergroup, also Freundesgruppe hineinzuwachsen, werden seltener straffällig.“
Zu 90 Prozent waren es männliche Jugendliche, die vor Jugendrichterin Monika Schorn standen. Aber auch Mädchen klauen, rauben, stehlen, verletzen und handeln mit Drogen. „Ein Mädchen, das ich über Jahre hinweg begleitet habe, war sehr sprunghaft. Teils hat sie mich im Gerichtssaal wüst beschimpft, dann wieder, als sie eine Maßnahme bekam, die ihr gefiel, sprang sie auf und rief ,Oh Frau Schorn, ich liebe Sie!‘“, erzählt die Jugendrichterin.
Kinderpornografie und Missbrauch: Fälle, die besonders belasten
Mittlerweile sei die junge Frau Mutter und halbwegs gut integriert. „Als sie 24 Jahre alt war, hatte ich sie das letzte Mal in einer Anhörung. Da sagte sie: ,Ich war ja manchmal sauer auf Sie, Frau Schorn, aber es war trotzdem gut, dass Sie drangeblieben sind. Es war wohl auch gut, dass Sie mich dann so lange eingesperrt haben.‘“ So ein Feedback bekommen Richter allerdings selten.
Als Amtsrichterin für Jugendschutzsachen hat Monika Schorn aber auch die andere Seite kennengelernt. Besonders belastend waren die Fälle von Kinderpornografie, wenn sich die Juristin beispielsweise Filme vom Missbrauch der Kinder – teilweise von Säuglingen – ansehen musste. Oder der Fall eines Säuglings, der gewissermaßen an der Mutterbrust verhungert ist. Seine Mutter hatte bereits sechs Kinder, stillte das Neugeborene und ging auch nicht zum Arzt, als der kleine Junge immer dünner wurde. Der Gerichtsmediziner sagte aus, er habe noch nie einen so abgemagerten Säugling gesehen.
Jugendrichterin Schorn: „Einer muss den Job ja machen“
Oder der Fall einer Prostituierten, die vor 20 Jahren selbst ihre Kinder an ihre Freier verkauft hat. „Wir haben da in Abgründe menschlicher Existenz geschaut“, erinnert sich Schorn. Die Kinder hatten erst spät Anzeige erstattet, im Prozess traten sie als Zeugen und Nebenkläger auf. „Ihnen war es gar nicht so wichtig, welche Strafe am Ende des Verfahrens steht, sondern dass amtlich festgestellt wird, was damals passiert ist, und die Mutter begreift, was sie ihnen angetan hat.“ Für Opfer ist wichtig, dass sie gehört werden und dass Reaktionen erfolgen.
Auch wenn es belastend ist: „Um es mit Udo Lindenberg zu sagen: Einer muss den Job ja machen“, sagt die Jugendrichterin und lacht. Monika Schorn hatte im Laufe ihrer Karriere immer wieder das Gefühl, dass sie etwas erreichen und Kinder schützen kann. „Das wiegt es dann auf.“
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