Hamburg. Die Absicht des Hamburger Verkehrsverbundes (HVV), den Begriff „Schwarzfahren“ möglichst nicht mehr zu verwenden, schlägt hohe Wellen. Der HVV kündigte an, in Zukunft vielmehr von „Fahren ohne gültiges Ticket“ zu sprechen. Das Wort „Schwarzfahren“ sei nicht mehr zeitgemäß.
Die Reaktionen reichen von ausdrücklichem Wohlwollen für das Bemühen um einen sensiblen Sprachgebrauch bis hin zu Unverständnis. „Da wir sehen, dass sich vermehrt Menschen an dem Begriff stören, suchen wir nach Alternativen, um unsere Wortwahl anzupassen“, erklärt HVV-Sprecher Rainer Vohl gegenüber dem Abendblatt.
„Schwarzfahren“ tabu: HVV will auf Sprachwandel reagieren
Dieser Prozess laufe schon länger, um sensibel auf Veränderungen in der Sprache zu reagieren. „Wir beschäftigen uns fortlaufend mit dem aktuellen Sprachgebrauch und dem Wandel der Sprache – ein gutes Beispiel dafür ist die inklusive Ansprache“, erläutert Vohl. Eine Veränderung bei der Begrifflichkeit seitens des HVV würde er nicht als „Initiative“ oder „Rundumschlag“ bezeichnen, sondern als beständige Entwicklung.
Nachdem Verkehrsverbunde anderer Städte entsprechende Beschlüsse gefällt haben, habe es Anfragen gegeben, wie der HVV mit dem Thema umgehe. „Um zeitgemäß und vor allem auch eindeutig verständlich und präzise zu kommunizieren, wird im HVV schon jetzt in der Regel vom ,Fahren ohne gültiges Ticket‘ gesprochen. Dies ist eine Formulierung, die wir künftig ausschließlich verwenden wollen.“
Initiative begrüßt das Vorgehen des HVV
Aktuell finde sich der Begriff „Schwarzfahren“ noch vereinzelt auf der HVV-Website und in den Fahrzeugen, ergänzt der HVV-Sprecher. „Wie das Wording zukünftig vollständig abgelöst werden kann, schauen sich HVV und Verkehrsunternehmen derzeit an.“ Immer noch vorhandene Schilder beispielsweise in S-Bahn-Zügen und Bussen, auf denen es heißt: „Finstere Aussichten für Schwarzfahrer – 60 Euro Strafe“, würden ausgetauscht, kündigt Vohl an.
Die „Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland“ (ISD) findet es „gut, dass der HVV das Thema anpackt“, sagt Sprecher Tahir Della. „Wichtiger ist allerdings die Debatte, inwieweit Rassismus Teil unserer Gesellschaft ist – und einen Diskurs zu starten, wer sich diskriminiert fühlt.“ Es gelte zu schauen, welche „Stereotypen und Zuschreibungen“ in unserer Sprache vorkommen „und was wir dagegen tun können“. Das Problem sei nicht das Wort „schwarz“ an sich, „sondern die Verbindung zu einem negativen Kontext wie beispielsweise ,schwarzsehen‘“, so Della. „Es ist Zeit, dass wir unsere Sprache überprüfen und mehr Sensibilität walten lassen.“
Unterschiedliche Reaktionen aus der Politik
Unterschiedliche Reaktionen kommen vonseiten der Politiker. „Sprache verändert sich. Doch hier wird wieder etwas zu einem Problem erklärt, das keines ist“, sagt der verkehrspolitische Sprecher der CDU, Richard Seelmaecker. „Der Begriff ,Schwarzfahrer‘ geht nicht auf Menschen mit dunkler Hautfarbe zurück. Er steht vielmehr umgangssprachlich für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne gültigen Fahrschein.
Erst die Herstellung eines künstlichen rassistischen Bezugs soll das Wort jetzt zu einem Problem der selbst ernannten Sprachpolizei machen.“ Er wünsche sich, so Seelmaecker, „dass wir uns in Hamburg um die Lösung der wahren Probleme der Menschen kümmern und gerade auch unsere schöne deutsche Sprache mit gesundem Menschenverstand nutzen“.
Lob von der Linken
Zaklin Nastic, Landessprecherin der Linken Hamburg, sagt: „Wir begrüßen diese Initiative – und zwar allein schon deshalb, weil der Begriff für viele Schwarze in Deutschland beleidigend ist, sie ihn als rassistisch erleben.“ Ähnlich sieht es die grüne Landesvorsitzende Maryam Blumenthal: „Wir begrüßen die Entscheidung des HVV, zukünftig auf den Begriff ,Schwarzfahren‘ zu verzichten. Die Variante ,Fahren ohne gültiges Ticket‘ ist ohnehin überall üblich und auch viel leichter zu übersetzen. Es freut mich, dass der HVV auf diskriminierungsfreie Sprache achtet.“
Ole Thorben Buschhüter, verkehrspolitischer Sprecher der SPD, meint: „Auf den Begriff des Schwarzfahrens kann man von mir aus gut verzichten. Wie auch immer man das Kind aber nennt: Das Erschleichen einer Beförderungsleistung bleibt Unrecht. Eine neue HVV-Kampagne ist deshalb zu begrüßen.
Dass der Begriff des Schwarzfahrens aus der Umgangssprache verschwindet, kann ich mir allerdings nicht vorstellen. Anders als andere Begriffe hat er ja bei genauerer Betrachtung keinen rassistischen Hintergrund. Im Kampf gegen Rassismus bedarf es anderer, wirksamerer Maßnahmen.“
AfD: HVV spielt Sprachpolizei im Sinne der Cancel Culture
Die fraktionslose FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein sagt: „Auch wenn eine gut gemeinte Absicht dahintersteckt, bezweifele ich dennoch, dass die Maßnahme, das Wort ,Schwarzfahren‘ nicht mehr zu verwenden, etwas wirklich Relevantes gegen Rassismus bewirken kann. Sprache bildet sich unter den Menschen täglich neu heraus und lässt sich durch Institutionsentscheidungen nicht lenken.“
Begriffsherkunft
- Der Begriff „Schwarzfahren“ ist wahrscheinlich eine Ableitung des Begriffs „schwärzen“, mit dem zunächst der Schmuggel, später dann alle möglichen Arten von illegalen Aktivitäten wie etwa Schwarzbrennerei bezeichnet wurden. Die Bezeichnung „schwarz“ stammt entweder von der Tatsache, dass solche Tätigkeiten meist in der Nacht durchgeführt wurden, oder von der Gewohnheit der Schmuggler, die Gesichter zu schwärzen, um sich unkenntlich zu machen.
- Eine andere Erklärung liefert der Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Eric Fuß: Demnach stamme der Begriff „Schwarzfahren“ vom jiddischen Wort „shvarts“ (Armut) und bezeichne Menschen, die zu arm waren, um sich ein Ticket zu kaufen. In der Justiz und im Strafgesetzbuch ist von „Erschleichen von Leistungen“ die Rede.
Und der Fraktionschef und verkehrspolitische Sprecher der AfD, Dirk Nockemann, meint: „Manch einer mag sich bei diesem Irrsinn schwarzärgern oder gar schwarzsehen! Selbst Begrifflichkeiten, die überhaupt keinen Bezug zu schwarzen Menschen aufweisen, werden ausgelöscht. Der Hamburger Verkehrsverbund wäre besser beraten, Schwarzfahrer effektiver zu bekämpfen, anstatt Sprachpolizei im Sinne der Cancel Culture zu spielen. Die Zahl der Schwarzfahrer ist trotz geringeren Verkehrsaufkommens im Corona-Jahr gestiegen!“
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