Hamburger Bürgerschaft

„Die Menschen brauchen eine Perspektive“

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Peter Ulrich Meyer und Marc Hasse
Abgeordnete verfolgen die Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft im Rathaus.

Abgeordnete verfolgen die Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft im Rathaus.

Foto: Daniel Reinhardt / dpa

Rufe nach einem Corona-Stufenplan für Lockerungsschritte werden lauter. Senatorin Leonhard (SPD) verteidigt strikten Senatskurs.

Hamburg.  Die Abgeordneten der Bürgerschaft werden die Frühjahrsferien unterbrechen, um zu einer Sondersitzung wegen der Corona-Pandemie zusammenzukommen. Das hat das Parlament am gestrigen Mittwochnachmittag auf Antrag von SPD, Grünen und CDU beschlossen. In der Sondersitzung will die Bürgerschaft zeitnah die Ergebnisse der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 3. März beraten. Regulär wäre das Parlament erst am 24. März wieder zusammengekommen.

Die Debatte über die aktuellen Änderungen in der Pandemie-Bekämpfung wie die Ausweitung der Maskenpflicht im öffentlichen Raum war von zwei Tendenzen gekennzeichnet: Zum einen äußerten alle Abgeordneten – abgesehen vom Sonderfall AfD-Fraktion – Verständnis für die bestehenden Beschränkungen. Zum anderen mehren sich die Stimmen derer, die die MPK auffordern, einen bundesweit einheitlichen Stufenplan für Lockerungen und Öffnungsschritte festzulegen.

Portugal als Negativbeispiel

„Wer jetzt weitreichende Lockerungen fordert, hat nicht verstanden, welche Gefahr von dem Virus weiterhin ausgeht“, sagte die SPD-Abgeordnete Claudia Loss. Die Inzidenzwerte stagnierten, der R-Wert liege oberhalb von 1, und vor allem die britische Mutation des Coronavirus breite sich immer weiter aus – auch in Hamburg.

Wozu zu frühzeitige Lockerungen führen können, habe das Beispiel Portugal mit Inzidenzwerten von bis zu 1200 gezeigt. „Die Ausweitung der Maskenpflicht ist eine notwendige Anpassung an den dynamischen Verlauf der Pandemie und nicht etwa ein Zeichen von Sprunghaftigkeit“, sagte Loss.

Überlastung des Gesundheitssystems verhindern

„Wir alle wünschen uns sehnsüchtig, dass dieser surreale Zustand endet“, sagte die Grünen-Fraktionschefin Jennifer Jasberg. Aber es bleibe das „Gebot der Stunde, vorsichtig zu sein und damit die Überlastung des Gesundheitssystems und das Sterben vieler weiterer Menschen zu verhindern“. Eine „bittere Tatsache“ bleibe, dass es immer noch zu wenig Impfstoff in der Hansestadt gebe, sagte Jasberg. Bund und Länder müssten endlich ihr Versprechen einlösen, „auch Hoffnung aufzuzeigen“.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Von der MPK erwarte sie einheitliche Lösungen. Der Sinn der MPK sei es, „im Föderalismus keinen Flickenteppich an Maßnahmen entstehen zu lassen und damit für Akzeptanz zu sorgen“, sagte Jasberg. „Dass nun beispielsweise ein Blümchentourismus in die Baumärkte der Nachbarländer stattfindet, während unsere hamburgischen Erzeugnisse verderben, ist nicht mehr vermittelbar.“ Jasberg forderte ein Ampelsystem zur Beurteilung der Corona-Lage, wie es das Robert-Koch-Institut empfohlen habe.

CDU: Wirtschaft braucht einen Stufenplan

Der CDU-Abgeordnete Stephan Gamm ging einen Schritt weiter. „Ich kann nicht nachvollziehen, dass der Senat noch keinen Stufenplan für die Öffnung der Schulen vorgelegt hat. Die Menschen brauchen Perspektive und Planungssicherheit“, sagte Gamm. Andererseits betonte der Oppositionspolitiker: „Der bis vor Kurzem positive Trend ist durchbrochen. Auch Hamburg kann sich davon nicht entkoppeln. Erst wenn die Infektionszahlen wieder sinken, sind Öffnungsschritte und Lockerungen vorzunehmen.“

Der CDU-Abgeordnete Prof. Götz Wiese sagte, der Lockdown bedeute „alles zu“ für die Wirtschaft. „Alles zu ist aber keine Dauerlösung. Die Wirtschaft braucht einen Stufenplan mit einem Öffnungsmechanismus.“

Besserer Datenaustausch gefordert

Auch ein Jahr nach dem Beginn der Pandemie fahre der Senat „immer noch auf Sicht“, sagte Deniz Celik (Linken-Fraktion). Es mangele an klaren Kriterien für das weitere Vorgehen. Nicht nachvollziehbar sei, warum der Senat immer noch keine Stufenpläne für die Schulen vorgelegt habe. „Die Frage nach der Perspektive stellt sich doch unabhängig davon, ob Lockerungen geboten sind oder schärfere Maßnahmen.“

Um die Ausbreitung des Virus über Ländergrenzen hinweg nachzuvollziehen, sei ein besserer Datenaustausch zwischen den Gesundheitsämtern nötig. Celik verwies auf die dafür entwickelte, in Hamburg nicht genutzte Software Sormas.

In die gleiche Kerbe wie Celik schlug die fraktionslose FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein. Hamburg lege als einziges Bundesland nicht mal ein Konzept für mögliche Lockerungen vor. „Geben Sie den Menschen endlich wieder Hoffnung und Perspektive“, sagte Treuenfels-Frowein. Sie forderte zudem einen eigenen Hamburger Härtefallfonds für Unternehmen, der über das hinausgehe, was in Berlin geplant werde.

„Die Zahl der Menschen, die wegen Corona intensivmedizinisch behandelt werden müssen, steigt wieder an. Da wundere ich mich schon über manche politische Debatte“, sagte Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD). Die von ihr vor zwei Wochen vorausgesagte Stagnation der Inzidenzzahlen habe sich „leider bewahrheitet“.

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Gegenwärtig bestehe nicht die Situation für Lockerungen, die sich alle wünschten. „Wir mussten die Maskenpflicht ausweiten, weil die Menschen pandemiemüde sind und die Abstände nicht mehr einhalten. Hoffen wir, dass der Frühling uns dabei hilft, die Pandemie in den Griff zu bekommen“, sagte Leonhard.

Die AfD verfolgt weiterhin einen zu allen anderen Fraktionen entgegengesetzten Kurs. „Der Senat entmündigt die Menschen. Jeder sollte selbst entscheiden dürfen, ob er das kalkulierte Risiko eingeht, ein Restaurant zu besuchen oder ins Kino zu gehen. Dass das nicht möglich ist, ist zutiefst freiheitsfeindlich“, sagte der AfD-Abgeordnete Krzysztof Walciak. Die Zwischenfrage, was mit den Menschen sei, die durch einen infizierten Kinobesucher angesteckt würden, ließ Walciak unbeantwortet.

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