Hamburg. Gewerkschaft kritisiert die Corona-Politik des Hamburger Schulsenators deutlich – vor allem das lange Festhalten an der Präsenzpflicht.

Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) stellt der Hamburger Schulpolitik in Corona-Zeiten ein miserables Zeugnis aus. Zahlreiche GEW-Betriebsgruppen in Hamburger Schulen gehen auf die Barrikaden und haben bislang rund 20 Briefe und Stellungnahmen veröffentlicht.

Das lange Festhalten von Schulsenator Ties Rabe (SPD) am Präsenzunterricht nannte Ole Waldmann von der GEW-Betriebsgruppe an der Gretel-Bergmann-Schule am Montag auf einer Online-Pressekonferenz der GEW Hamburg „einen absoluter Skandal“. Die Gewerkschaftler fordern, angesichts der pandemischen Lagen derzeit, unbedingt den Distanzunterricht fortzusetzen.

„Erst wenn die Sieben-Tage-Inzidenz bei 50 Fällen pro 100.000 Einwohner liegt, sollte der Wechselunterricht beginnen“, sagte Anja Bensinger-Stolze, Vorsitzende der GEW in Hamburg, mit Hinweis auf die Expertise des Robert-Koch-Instituts. Sie verlangt, dass die Schulbehörde jetzt den Wechselbetrieb vorbereitet, um Eltern, Schülern und Lehrern eine Perspektive zu geben.

GEW kritisiert Missstände – Rabe "verbietet Maßnahmen"

Scharf kritisieren zahlreiche GEW-Betriebsgruppen die Missstände an den Schulen. Bereits im November 2020 hatten GEW-Vertrauensleute der Ida-Ehre-Schule mit Karen Ehlers an der Spitze der Behauptung von Politikern widersprochen, die Schulen seien ein sicherer Ort vor Ansteckung.

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

Als Alternative wurde darüber nachgedacht, wie mit kleinen Gruppen gearbeitet werden kann, damit alle Kinder und Jugendliche weiter am Bildungsprozess teilnehmen können. Doch der Schulsenator „verbietet alle diese Maßnahmen“, heißt es in der Stellungnahme. Wie unzureichend die Ausstattung an den Schulen ist, machten GEW-Vertreter an der Grund- und Stadtteilschule Eppendorf, der Gretel-Bergmann-Schule und der Schule Weidemoor (Förderschwerpunkt geistige Entwicklung) deutlich.

Es fehlt an Masken, Laptops, Hard- und Software

Gelieferte FFP2-Masken hätten nicht dem Standard entsprochen. Acht Einwegmasken pro Lehrkraft sollten für fünf Schulwochen reichen – aus hygienischer Sicht nicht akzeptabel. Es fehle an Dienstlaptops, an funktionierender Hard- und Software. Die Lehrkräfte seien am Limit. Als Konsequenz ist in der Gretel-Bergmann-Schule nunmehr vom „Dienst nach Vorschrift“ die Rede.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Besonders gravierend sind die Folgen der Corona-Schulpolitik für die Sonderschulen, wie GEW-Vertreter Dirk Pallas beklagt. Die Einhaltung der AHA-Regeln sei da praktisch unmöglich; Schüler hätten keine Kontrolle über Husten und Niesen, heißt es in dem Brief. Dazu kommen häufig überfüllte HVV-Busse, mit denen die Schüler anreisen müssten. Die Gewerkschaft fordert auch hier täglich neue FFP2-Masken und vor allem, dass die Schulbehörde die Sonderschulen mehr berücksichtige.

Digitaler Unterricht: Rabe sieht "dramatische Fortschritte"

Kurz vor Weihnachten hatte Hamburg die Präsenzpflicht an den Schulen aufgehoben. Der Distanzunterricht wurde inzwischen bis zum 14. Februar verlängert. Nach Möglichkeit sollen die Kinder und Jugendlichen zu Hause digital unterrichtet werden. Nur in Ausnahmefällen haben Eltern die Möglichkeit, ihre Kinder weiterhin zur Schule zu schicken. Dort werden sie unter pädagogischer Anleitung professionell betreut.

Nach Ansicht von Schulsenator Ties Rabe (SPD) gibt es „dramatische Fortschritte“ bei der Digitalisierung der Hamburger Schulen. Schwachpunkte seien allerdings unter anderem die veralteten Server, die in einzelnen Schulen statt einer Cloud-basierten Lernsoftware zur Anwendung kämen, sowie die Kapazitäten im Glasfasernetz der Stadt.

Fast drei Viertel der Hamburger Schulen haben jetzt WLAN

Einige Zahlen sprechen freilich dafür, dass der Digitalisierungsgrad zugenommen hat: Während vor der Pandemie nur 61 der 371 staatlichen Schulen über einen WLAN-Anschluss verfügten, sind es inzwischen 266. Das entspricht einem Sprung von 16 auf nunmehr 72 Prozent der Schulen. Störungen bei den Videokonferenzen des Homeschoolings seien auf Probleme des Schulplattform-Anbieters IServ zurückzuführen, heißt es in der Schulbehörde.

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Senator Rabe gilt als Verfechter des Präsenzunterrichts. Er plädiert vor allem bei den Grundschulen für eine frühzeitige Rückkehr zu dieser Form. Rabe beruft sich dabei auf Wissenschaftler, die belegen wollen, dass Grundschüler eine untergeordnete Rolle bei der Ausbreitung des Virus spielen. Eine Studie des Heinrich-Pette-Instituts und des Universitätsklinikums Eppendorf hatte bereits im September den Corona-Ausbruch in der Heinrich-Hertz-Schule mit rund 40 Infizierten untersucht. Das Ergebnis: Die Möglichkeit, dass der Ausbruch aus unabhängigen Einträgen resultierte, schlossen die Forscher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus.

GEW plädiert für Wechselunterricht an Hamburgs Schulen

Die GEW plädiert nun für den Wechselunterricht als nächst mögliche Stufe. „Je nach Situation sollen die einzelnen Schulen selbst über die Organisation dieser Unterrichtsform entscheiden“, schlägt GEW-Chefin Bensinger-Stolze vor. Es gibt verschiedene Modelle, beispielsweise der Wechsel von Vormittags- und Nachmittagsunterricht. Wegen der erhöhten Anforderungen verlangt die Gewerkschaft, die „Bildungspläne zu verschlanken“ – bis wieder normale Zeiten herrschen.