Harvestehude

Vorbild Instagram – Frauen lassen sich Lippen aufspritzen

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Wenige Milliliter Hyaluron reichen aus, damit eine Lippe für drei bis sechs Monate voller ist.

Wenige Milliliter Hyaluron reichen aus, damit eine Lippe für drei bis sechs Monate voller ist.

Foto: Imago

Die Dermatologin Anna Brandenburg erlebt, dass immer mehr junge Frauen Vorbildern aus dem Internet nacheifern.

Hamburg.  Die Jüngste, die sich von ihr die Lippen vergrößern lassen wollte, war 17 Jahre alt und kam mit ihrer Mutter in die Praxis. Die Dermatologin Anna Brandenburg aus Harvestehude erlebt, dass die Frauen, die mit ihrem Aussehen unzufrieden sind, immer jünger werden. „Da gibt es einen exponentiellen Zuwachs, das ist Wahnsinn“, sagt sie. Den Grund dafür sieht die Ärztin in den sozialen Medien. „Die wollen so aussehen, wie ihre Vorbilder bei Instagram.“

Vollere Lippen stehen bei Hamburgs Frauen an oberster Stelle, gefolgt vom Aufspritzen der Tränenrinne unter den Augen, hat Anna Brandenburg beobachtet. Die meisten sind Anfang, Mitte 20, wenn sie ihre Lippen mit Hyaluron aufspritzen lassen wollen. Kosten: um die 400 Euro. „Die zeigen mir Bilder auf Instagram oder Pinterest und wollen dann genauso aussehen“, so Anna Brandenburg. In den sozialen Netzwerken finden viele ihre Vorbilder. Es kommen junge makellose Frauen zu Anna Brandenburg, die sich eine Botox-Behandlung wünschen – obwohl sie keine Falten haben.

Beratung in den Arztpraxen bei Selfie-Boom wichtig

„Das eigene Ich, das in den sozialen Medien möglichst perfekt inszeniert wird, und das eigene Aussehen, das mittels Software optimiert wird, stellen sich immer mehr dem direkten Vergleich. Diese Entwicklung wird zu uns in die Praxen getragen“, schreibt Alexander Hilpert, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie in der Jahresstatistik. „Wir sind in der Verantwortung, unseren Patientinnen eine realistische Vorstellung des Machbaren zu vermitteln. Eine ganzheitliche und vorausschauende Beratung in den Arztpraxen ist beim Thema „Selfie-Boom“ besonders wichtig, das vor allem junge Patientinnen betrifft.“

Sind die Frauen unter 18 Jahren und kommen ohne Eltern, führt Anna Brandenburg keine Behandlungen durch, bei anderen versucht die Dermatologin, einen Kompromiss zu finden und macht dann lediglich eine minimale Behandlung mit sehr wenig Hyaluron. Überhaupt gehe es bei den Hamburgerinnen im Vergleich zum Ausland oder Modestädten wie Düsseldorf dezent zu. Dennoch sind die Vorstellungen einiger extrem. Selfie-Schmollmund im Schlauchboot-Format, das wünschen sich manche. „Wer sich die Lippen spritzen lässt, kann damit sein ganzes Gesicht verändern“, so die Ärztin. „Vielen ist das überhaupt nicht klar.“

Frauen vor sich selber schützen

Sie muss manche Frauen vor sich selber schützen und legt Wert auf eine ausführliche Beratung. „Viele junge Frauen finden alles gut, was ihre Vorbilder auf Instagram machen.“ Und gelangen sie an unseriöse Kollegen, Kosmetiker oder Heilpraktiker, die ebenfalls solche Behandlungen durchführen dürfen, muss sie häufig deren Fehler ausbessern, erzählt die Dermatologin.

Die Generation Schnabel könnte man die jungen Frauen mit den dicken Lippen nennen. „Das soll eben alles makellos sein“, sagt Anna Brandenburg. Dahinter steckt auch der allgemeine Drang in der Gesellschaft, alles zu perfektionieren, sagt Zukunftswissenschaftler Ulrich Reinhardt von der Stiftung für Zukunftsfragen. „Derzeit wird fast alles versucht zu optimieren – die Arbeit, die Gesundheit, die Freizeit, der Urlaub und das Aussehen.“ Aus seiner Sicht ist es in Deutschland bislang so, dass viele eher den Wunsch haben sich zu verändern, als dass sie sich tatsächlich operieren lassen.„Instagramvorbilder zeigen sich oftmals perfekt gestylt, geschminkt, inszeniert.

Jugendliche mit ihren Wünschen ernst nehmen

Diesen Idealen wird entsprechend nachgeeifert. Wenn eine Nasen-OP, Brustvergrößerung oder dickere Lippen helfen, wird dieses in Betracht gezogen. Die Zahlen von Schönheits-OPs sind nach wie vor gering, nehmen aber kontinuierlich zu“, so der Wissenschaftler. Zwar geht es bei den jungen Hamburgerinnen weniger um Schönheits-OPs, aber das Nachbearbeiten und die Inszenierung von Fotos auf Instagram, sagt Professor Reinhardt, ist „eine Schönheits-OP light. Und dieses macht eigentlich jeder junge Hamburger.“

Zu einem gewissen Grad, sagt der Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort, ist das auch Mode. „Mal sind es Tätowierungen und Piercings, jetzt ist es das Aufspritzen der Lippen“, sagt er. Gerade in der Pubertät hätten viele Jugendliche das Gefühl, nicht im richtigen Körper zu sein und dass ihr Aussehen verbesserungswürdig sei.

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Sein Rat an Eltern, wenn das Kind sich unzulänglich fühlt und sich eine Behandlung wünscht: „Zeigen Sie Verständnis und beschwichtigen Sie nicht. Zu sagen: Du bist schön, wie du bist, kommt bei Teenagern nicht an.“ Auch das Kind zu trösten, könne richtig sein. „Sie können dem Jugendlichen sagen, dass dieses Gefühl vorübergehen wird. Mit 25 Jahren kannst du das machen, dann ist es deine Entscheidung.“ Dieses normale pubertäre Phänomen kann sich steigern. „Wenn das Dauerthema ist, kann der Gang zum Experten sinnvoll sein.“

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