Rostock. Gesa Stückmann bietet Onlineseminare für den Umgang mit sozialen Medien an. Was Betroffene erleiden müssen.

Es ist alles an seinem Platz. Die beiden Scheinwerfer, der große Bildschirm mit der Webcam, der Laptop, die Karaffe mit Wasser. Gleich geht’s los. Gesa Stückmann schaut auf die Uhr: 7.59 Uhr. Die Rechtsanwältin aus Rostock ist Expertin für Cybermobbing und für das Thema Recht am eigenen Bild. Insbesondere im schulischen Bereich. Vor zwölf Jahren begann sie mit Vorträgen an Schulen, vor Eltern, Lehrern und Schülern, um über die Gefahren im Internet aufzuklären, weil die Schattenseiten der Internetwelt bedrohlicher wurden. Seit sieben Jahren kommt sie über Onlineseminare, sogenannte Webinare, deutschlandweit in die Schulen (Info: www.law4school.de). Auch Klassen aus Sofia, Warschau, Moskau und Belgrad waren schon dabei.

„Schönen guten Morgen aus Rostock“, begrüßt die Anwältin an diesem Morgen drei Schulklassen und zwei Berufsschulklassen gleichzeitig. Um sogleich zur Sache zu kommen. Es geht um Mobbing im Internet, darum wie junge Leute Mitschüler fertigmachen. Es geht um Gewalt- und Pornovideos, die gepostet werden. Es geht um Bilder mit unfassbar rassistischen und antisemitischen Inhalten, die immer mehr unter auch sehr jungen Schülern geteilt werden. Es sind alles Dinge, die da in Chatgruppen von Schülern verbreitet werden, deren Eltern meist keine Ahnung oder Vorstellung davon haben.

Übelste Beschimpfungen

Gesa Stückmann (51), gebürtige Düsseldorferin, Mutter von zwei Kindern, präsentiert konkrete Fälle. Da ist das Mädchen, das in einem Kanal der sozialen Medien übelst und hundertfach beschimpft wurde. Die „harmloseren“ Varianten klangen so: „Du bist hässlich, du stinkst! Schlampe, keiner mag dich!“ Die Juristin zitiert dann noch andere Ausdrücke, die schon beim Hören schmerzen. In einem anderen Fall behaupteten Schüler, dass ihr Lehrer kleine Kinder vergewaltige.

„Das ist nicht witzig, sondern strafbar“, sagt Anwältin Stückmann. Ohne die moralische Keule zu schwingen, zeigt sie beinahe beiläufig und vielleicht deshalb so eindrucksvoll die juristischen Konsequenzen solcher Äußerungen auf. „Nicht die Eltern der Kinder, sondern die Kinder, die sich derart äußern, werden zur Verantwortung gezogen“, sagt Gesa Stückmann. Zwar werden unter 14-Jährige nicht strafrechtlich belangt, aber zivilrechtlich. Ein paar Tausend Euro kommen da schnell auf die Täter zu, die sie später, wenn sie ihr erstes Geld verdienen, zahlen müssen.

Regelmäßige Webinare

Nach 45 Minuten Webinar gibt es für alle eine Pause von zehn Minuten. Eine der Lehrerinnen, die das Wissen und Engagement von Frau Stückmann seit Jahren zu schätzen weiß, ist Ute Schmidt, Leiterin des Schulzentrums Kühlungsborn. „Mit unseren fünften Klassen nehmen wir regelmäßig an den Webinaren teil“, sagt die Pädagogin. In der Altersklasse der Zehn- bis Elfjährigen sei ein Smartphone und der Umgang mit sozialen Medien meist schon normal. „Kinder denken meist nicht über die Konsequenzen nach, wenn sie etwa heimlich Mitschüler filmen oder fotografieren und die Ergebnisse ins Netz stellen, womöglich noch mit beleidigenden Kommentaren versehen.“ Gesa Stückmann mache mit ihrem Mix aus praktischem Beispiel und gesetzlichen Grundlagen deutlich, wie gefährlich so etwas sei.

Gut 10.000 Schüler erreicht die Juristin pro Jahr – bundesweit. Im vergangenen Oktober hatten 28 Klassen aus dem Bundesgebiet Webinartermine bei ihr gebucht. 200 Onlineseminare pro Jahr seien der Schnitt, meint Gesa Stückmann. Für die Webinare schreibt sie keine Rechnungen. Sie engagiert sich ehrenamtlich. Lediglich eine Aufwandsentschädigung erhält die Anwältin. Nach eigener Aussage ist sie die Einzige in der Branche, die solche Präventivseminare anbietet. „Weil ich das Gefühl habe, dass sie viel bringen.“ Schülern sei die strafrechtliche Dimension ihres Verhaltens in den Chats oft nicht bewusst. Und Eltern hätten oft keinen Überblick, was der Nachwuchs online treibt.

Unwissenheit schützt nicht vor Strafe

Nach der Halbzeit hört man Gesa Stückmann im Webinar weiter beinahe atemlos zu: Ein 13-Jähriger lästert und hetzt im Netz über Ausländer. Strafanzeige und Abmahnung sind die Folge. Ein 16-Jähriger bittet eine Elfjährige um ein Nacktfoto – der Jugendliche macht sich strafbar, weil er sich ein Kinderpornobild schicken lassen will. Ein Jugendlicher verschickt an seine Freunde das erotische Selfie einer 13-Jährigen – es hagelt 81 Abmahnungen, zudem ist auch das Verbreitung von Kinderpornografie. Ein Schüler setzt einen Like zu einem volksverhetzenden Spruch: „Dunkelhäutige sollen überfahren werden“. Die Folge: 3600 Euro Strafe. Für einen Like.

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Gesa Stückmann betont, dass Unwissenheit nicht vor Strafe schütze. Sie sagt, welche Folgen Cybermobbing für Opfer hat. Sie erläutert auch, was man nicht tun sollte, um möglichst gar nicht erst im Netz missbraucht, erpresst und beleidigt zu werden. „Sehr schnell macht man von sich ein Bild und stellt es ins Netz – schnell gelangt so ein Bild in falsche Hände.“ Die digitale Distanz und vermeintliche Anonymität mache nicht nur Jugendliche leichtfertig.

Das Abendblatt präsentiert die Aktion gemeinsam mit mehreren norddeutschen Zeitungen und NDR Info.
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