Hamburg. Statistiken sind nicht in jedem Fall vertrauenswürdig, aber diese eine trifft leider zu: Unser aller Mortalitätsrisiko liegt bei 100 Prozent. Das Leben hat also eine sehr schlechte Prognose, was wir gerne ziemlich lange ignorieren, bis wir irgendwann erschreckt feststellen: Huch! Die Hälfte meines Lebens könnte jetzt durchaus um sein. Ab nun passieren mir Dinge wahrscheinlich häufiger „zum letzten Mal“ als „zum ersten Mal.“ Leichte Panik. Werde ich alt? Und wenn ja: wann?
Vielleicht nie. Das Hamburger Modell Petra van Bremen feierte im März ihren 60. Geburtstag in der Brasserie des Tortue, sie trug das heißeste rote Beinschlitz-Abendkleid der Welt und tanzte mit ihrer Freundin Sylvie Meis zu „I am what i am“. Die Feier hatte ihr Mann Michael Kubenz als Überraschung organisiert; er bewies dabei so viel Aufmerksamkeit, dass das Geburtstagskind auch Tage später noch ganz ergriffen wirkt. „Was für ein Aufwand. Alles für mich. Wäre ich nicht schon so verliebt in ihn…“, sagt Petra van Bremen und weiß nicht so genau weiter. Kann einen ja durchaus sprachlos machen, mit Liebe überschüttet zu werden. Also erst mal ein Schluck Cola (nicht Zero).
Überall nur coole Rentnerinnen
Wir sitzen in der Wohnhalle des Hotels Vierjahreszeiten, hier hält sich die Hamburgerin gerne auf, denn es kommen häufig interessante Menschen mit neuen Looks vorbei. Mode ist die große Leidenschaft Petra van Bremens. Schon als Jugendliche jobbte sie in Boutiquen, heute trägt sie eine schwarze Lackhose von H&M. Sieht sexy aus. Es gibt eine Frage, die sich heutzutage keine moderne Frau mehr stellt: „Kann ich das in meinem Alter noch anziehen?“ Die Grenzen zwischen junger und reifer Mode sind verwischt worden, was daran liegt, dass die Generationengrenzen langsam aber sicher verschwinden. Das Bild der knitterigen Oma, die sich im Ohrensessel gemütlich zurücklehnt, wer will das bitteschön noch bedienen? Niemand. Schauen Sie sich mal in Hamburg um: Überall nur coole Rentnerinnen, die adrett gekleidet mit ihren Enkeln über Spielplätze klettern und per WhatsApp Fotos an den Rest der Familie schicken, gerne zuvor von ihnen professionell per App bearbeitet. „Nimm‘ da mal einen anderen Filter“, hörte die Autorin kürzlich eine geschätzt 70-Jährige zu ihrer Bekannten sagen.
Frauen haben kein Verfallsdatum
„Wir haben doch kein Verfallsdatum, wir können auch mit über 60 noch ordentlich mitmischen“, sagt Petra van Bremen, die auf Instagram fast 10.000 Follower hat. Die Influencerin würde anderen Frauen ihrer Generation gerne Mut machen, nicht unscheinbar zu werden: „Wir haben heute alle Möglichkeiten, uns lange, lange wohl zu fühlen.“ Dabei kommt es nicht darauf an, dem Jugendwahn zu verfallen. „Auf jung getrimmt macht nicht jung“, sagt Petra van Bremen, die in New York von der gleichen Agentur wie Jerry Hall betreut wird.
Sie selbst hat vor zwei Jahren bewusst darauf verzichtet, sich weiterhin ihre Haare zu färben. Sie sind nun Grau, was die Auftragslage des Models jedoch keineswegs verschlechterte, im Gegenteil. Blonde Mädels gibt es Millionen, ergraute Frauen sind eher eine Seltenheit. „Selbst graue Haare machen einen nicht mehr alt, ich bemerke doch die Aufmerksamkeit der Männer, da muss ich doch ab und zu wirklich schmunzeln“, sagt van Bremen. Auch bei den Modenschauen erhalte sie viel Applaus gerade von älteren Damen. „Die können sich mit mir doch viel besser identifizierten als mit einem jungen Mädchen. Und machen wir uns nichts vor: Die Kaufkraft liegt bei den Damen in meinem Alter.“
Zielgruppe der Best Ager wird wichtiger
Durch den demografischen Wandel wird diese Gruppe von Jahr zu Jahr größer und einflussreicher, was natürlich auch Unternehmen und Werbetreibende bemerken. Die angeblich Alten von heute, sie haben Kohle und sind im Ruhestand dynamischer denn je. Früher gab es diese Phase nicht, da lag man mit Mitte 60 von Arbeit zerschunden schon fast unter der Erde, während es heute in diesem Alter möglich wird, sein Tagwerk vom Büro auf den Golfplatz zu verlegen oder sich ausführlich mit Kreuzfahrt-Zeitschriften oder Enkelkindern beschäftigen zu dürfen.
Das Alter: im Grunde ein Geschenk. Die Phase, in der der schlimmste Stress endlich überstanden ist. Druck a.D. Doch die große Kunst des Alterns fordert auch persönlichen Einsatz. Von nichts kommt nichts. „Mit Mitte 40 macht sich bei jedem irgendwann die Schwerkraft bemerkbar“, sagt van Bremen, die zu dem Zeitpunkt anfing, auf ihre Ernährung zu achten und einen Fitnessraum in die Wohnung in Winterhude einbauen ließ. Dort joggt sie auf dem Laufband vor dem Fernseher und bemüht ihre Therabänder, die sie auch zu jeder Reise mitnimmt. Das Ergebnis: 67 Kilo bei einer Größe von 1,78 Metern. „Ich bin gar nicht so dünn, ich trage Kleidergröße 38, und ich bin fest davon überzeugt, dass die Attraktivität einer Frau nicht von ihrem Gewicht, sondern von ihrer Persönlichkeit bestimmt wird.“
60-Jährige zuverlässiger als junge Frau
Davon hat Petra van Bremen ausreichend. Sie kümmert sich nicht mehr um die Vorurteile, die einem Model oft entgegengebracht werden. „Soll doch ruhig jemand denken, ich hätte nichts im Kopf, ich muss niemandem etwas beweisen.“ Die geborene Holländerin führte in ihrer Heimat eine Agentur für Personalberatung, die sie von einem auf sechs Standorte ausweitete, bevor sie für ihren Mann nach Hamburg zog und im Alter von 48 Jahren eine zweite Karriere als Model startete. Ihren vorherigen Erfolg als Managerin verdankte sie ihrem guten Gespür.
Sie setzte voll auf die Frauen, die nach einer langen Berufspause wieder zurück in die Erwerbstätigkeit wollten. Sie förderte sie, bildete sie aus, erkannte ihre Ängste. Natürlich kann eine 60-Jährige, die sich viele Jahre nur um ihre Kinder gekümmert hat, nicht so fit am Computer sein wie eine 20-Jährige. „Dennoch war die ältere Generation besser. Auf die war Verlass, die wollten wirklich, und haben jeden Tag unglaublichen Einsatz gezeigt.“
Botox wird viel häufiger und früher benutzt
Erfahrung überhaupt sei der größte Vorteil im Alter. Erfahrung bringt Gelassenheit, Gelassenheit entspannt die Mimik. Und falls das nicht mehr reicht, dann kommen die Beauty-Docs ins Spiel. Die körperlichen Alterungsprozesse kann man so wenig verhindern wie den Hamburger Regen, aber es gibt verschiedene Formen von Regenschirmen, die die schlimmsten Verfallsprozesse abprallen lassen. Sport machen, auf die Ernährung achten, viel Neues erleben, weiter lernen, neugierig bleiben und natürlich Botox benutzen.
„Seit zehn Jahren nehmen Botulinumtoxin A und Fillerbehandlungen stetig zu“, sagt Prof. Dr. Martina Kerscher von der Universität Hamburg. Während in der Vergangenheit teilweise unschön und fratzenhaft geliftet wurde, arbeiten Schönheitschirurgen nun mit sensibleren Methoden. „Früher gab es nur das Skalpell, heute gibt es Laser, Ultraschall, Eigenfett-, Stammzellen- und Mesotherapien. Die Möglichkeiten, unauffällig Verjüngung zu erzeugen, sind vielfältig“, sagt Dr. Armin Rau, Spezialist für Plastische und Ästhetische Chirurgie. In den letzten Jahren sei viel geforscht worden, um dem Alterungsprozess immer effektiver entgegenwirken zu können, erklärt der Arzt.
Viele seiner Patienten hören nach einer Behandlung den Satz: „Mensch, siehst du frisch aus, warst du im Urlaub?“ Dies sei das anzustrebende Ergebnis, keine auffällige Künstlichkeit, wie sie bei einer gewissen Klientel vor allem in den USA favorisiert wird. „Manche verlieren den Bezug zur Realität, da kann ich dann nicht mehr helfen, denn meine Patienten sind auch meine Visitenkarten.“
Egoismus hilft beim entspannt älter werden
Vorausgesetzt, man verfügt über ein gewisses Budget, muss sich niemand mehr dem Altern hilflos ausgeliefert fühlen. Wichtig ist nur, sich nicht erst im Spätherbst des Lebens um sich zu kümmern, sondern am besten schon im Sommer, wenn nicht bereits im Frühjahr. „Wer als 30-Jährige mit Botox startet, der bekommt erst gar keine Falten. Das Einstiegsalter hat sich weiter nach vorne verlagert“, sagt Rau, der es schade findet, wie Eitelkeit in unserem Sprachgebrauch belegt ist, nämlich negativ. „Dabei heißt es doch nur, dass jemand auf sich Acht gibt.“
Petra van Bremen hält nichts von Botox, weil sie „nicht so experimentierfreudig“ ist, und es außerdem noch nicht braucht. Sie geht lieber alle sechs Wochen zur Kosmetikerin und plädiert für eine gesunde Portion Egoismus. „Wo steht denn, dass man immer nur für andere da sein muss? Ich gönne mir Pausen und habe mich von Menschen verabschiedet, die mir meine Energie rauben. Das finde ich eigentlich am besten am Älterwerden: Endlich weiß man, wer und was einem gut tut.“
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Hamburg