Hamburg

Godeffroy-Schatz aus der Südsee soll ins Museum kommen

| Lesedauer: 7 Minuten
Matthias Schmoock
Der Direktor des CeNak, (Centrum für Naturkunde) Prof. Matthias Glaubrecht zeigt Exponate aus der Sammlung Godeffroy.

Der Direktor des CeNak, (Centrum für Naturkunde) Prof. Matthias Glaubrecht zeigt Exponate aus der Sammlung Godeffroy.

Foto: MICHAEL RAUHE

Die Reste der naturwissenschaftlichen Sammlung sind noch heute erhalten. Das Abendblatt durfte sie exklusiv anschauen.

Hamburg.  Behutsam nimmt Prof. Matthias Glaubrecht den Glaszylinder in beide Hände. „Was so lange Bestand hat, sollte jetzt möglichst nicht runterfallen“, scherzt der Direktor des Cen­trums für Naturkunde (CeNak). Im Glas befindet sich, eingetaucht in Alkohol, ein gefleckter Süßlippenfisch aus Tahiti. Noch bemerkenswerter sind zwei außen angebrachte Aufkleber. Der eine, mit zarter Feder beschrieben, auf 1877 datiert und kaum noch leserlich, weist das Exponat als Teil der Sammlung Godeffroy aus. Der andere belegt, dass es 1886 in den Besitz des Hamburgischen Naturkundemuseums kam, das sich damals noch am Speersort befand.

Glaubrecht steht vor einem Panzerschrank, an dem ein Schild mit der Aufschrift „Alte Sammlung“ klebt. Die beiden Flügeltüren, sonst aus Sicherheitsgründen fest verschlossen, sind ausnahmsweise geöffnet. Hier unten in einem der weitläufigen Keller des CeNak am Martin-Luther-King-Platz lagern Teile einer wissenschaftlichen Sammlung, die schon vor mehr als 140 Jahren zusammengestellt wurde.

Der Blick – exklusiv fürs Abendblatt – wird frei auf die Reste eines Schatzes, der einst weltweit seinesgleichen suchte. An ihm lässt sich auf faszinierende Weise das Auf und Ab eines bedeutenden Teils der hamburgischen Wissenschaftsgeschichte ablesen. Zugleich belegt er, wie schnell sich das Glück für erfolgreiche Menschen wandeln kann und wie der Ruhm einstmals großer Namen damit im Nu verblasst.

Diese Sammlung gehörte zu den ganz wenigen in Deutschland, die keinen höfischen Ursprung hatten. Vielmehr ist sie ein Beispiel für hanseatisches Unternehmer- und Mäzenatentum, wie es über Jahrhunderte praktiziert wurde.

Handel mit Perlen, Schildpatt und Perlmutt

Der Reeder und Kaufmann Johan Cesar VI Godeffroy (1813 bis 1885) führt die ererbte Firma Joh. Ces. Godeffroy & Sohn von 1845 an zu wahren Höhenflügen. Mit 25 Schiffen gilt er schließlich als Hamburgs größter Reeder seiner Zeit, in der Elbe baute er eine Werft, in Osnabrück besitzt er ein Stahlwerk. Auf dem Höhepunkt von Macht und Wohlstand ist Godeffroy der „König der Südsee“. Der Plantagenbesitzer gründet rund um den Pazifik 45 Niederlassungen. Auf vielen Inseln Mikronesiens betreibt die Firma Handel mit Perlen, Schildpatt und Perlmutt.

Doch Godeffroys Interessen gehen über das rein Merkantile weit hinaus. Von je her auch persönlich an Naturobjekten, Ethnographica und Kuriositäten aus aller Welt interessiert, beauftragt er seine Kapitäne, ihm möglichst viel von dem mitzubringen, was man in einem Privatmuseum zeigen könnte. Nach einigen Jahren lässt er gezielter sammeln, entsendet Naturforscher wie die Botanikerin Amalie Dietrich zu Reisen in die Südsee und nach Australien. Mit der Zeit quillt Godeffroys Kontor- und Speicherhaus am Alten Wandrahm geradezu über. „Das Haus war das reichste naturkundliche Privatmuseum der Welt“, so Matthias Glaubrecht.

Neue Tier- und Pflanzenarten

Neue Tier- und Pflanzenarten lässt Godeffroy zu Forschungszwecken an Wissenschaftler in ganz Deutschland senden. „So begründet er die systematische Erforschung und Erschließung der südpazifischen Inselwelt“, erläutert Prof. Glaubrecht. „Zugleich wird er, das ist der dunkle Teil seines Erbes, zum Wegbereiter der kolonialen Expansion des Deutschen Reiches in der Südsee.“

Das Glück bleibt Godeffroy, der zuletzt nicht nur wagemutig, sondern auch immer waghalsiger agierte, nicht treu. Das Unternehmen muss 1879 Konkurs anmelden. In dieser Phase beginnt der Ausverkauf der einzigartigen Sammlung. Ein Großteil geht an das neu gegründete Museum für Völkerkunde nach Leipzig, doch Hamburgs Senat lässt sich lange bitten. Erst nach massivem öffentlichen Druck werden Sammlungsteile gekauft, die später in dem 1891 eröffneten Naturhistorischen Museum am Steintorwall unterkommen.

Doch das Drama ist noch nicht zu Ende: Am Morgen des 30 Juli 1943 treffen Bomben dieses Museum. Tausende Trophäenpräparate werden vernichtet, darunter viele des Museums Godeffroy. Und: Wenige Monate später verbrennen dann auch die nach Leipzig verkauften Teile der Godeffroy’schen Sammlung bei einem Luftangriff auf die Stadt. Was über viele Jahrzehnte unter Lebensgefahr eingesammelt und nicht selten unter größten logistischen Schwierigkeiten nach Hamburg geschafft worden war, wird so binnen weniger Tage, ja Stunden, vernichtet.

In U-Bahn-Schacht deponiert

Dass überhaupt etwas erhalten bleibt, ist vorausschauender Planung und einem Quäntchen Glück zu verdanken. Die in Alkohol eingelegten Stücke waren rechtzeitig in einem U-Bahn-Schacht deponiert worden. Und die kostbare Vogelsammlung überstand den Krieg auf einer Burg in Sachsen. Erhalten ist auch das Herbarium des Museums Godeffroy, darunter alleine 20.000 sogenannte „Pflanzenbelege“, die Amalie Dietrich in Australien gesammelt hatte.

Ein anderer Raum in den Katakomben des CeNak. Nadine Duperre, Managerin der Spinnensammlung, hat weitere Schauobjekte bereitgestellt. Was sie hier präsentiert, ist sonst nur Forschern zugänglich – viel zu wertvoll und empfindlich wäre dies alles für die schnelle Nutzung durch Unbefugte. Noch faszinierender als die Krabbeltiere unterschiedlicher Größe sind die kunstvollen, mit Alkohol gefüllten Glasfläschchen, die sie umschließen. Unglaublich: Es sind immer noch die Original-Flakons aus dem Godeffroy-Museum.

Ein neues Museum für Hamburgs Schätze

An die Godeffroys erinnert heute in Blankenese eine Straße, ihr Stammsitz an der Elbchaussee ist erhalten. Und auch die verbliebenen Exponate aus dem Museum haben nichts von ihrer Faszinationskraft eingebüßt – erst recht nicht, wenn man sich die Geschichte von Entstehung, Niedergang und teilweiser Rettung vor Augen führt. Sie sind heute Teil der zoologischen Sammlung Hamburgs, die mit mehr als zehn Millionen Objekten nach wie vor eine der größten Deutschlands ist. Doch das meiste davon lagert verstreut in Depots, die so gut wie nicht zugänglich sind. Dass es in der Weltstadt Hamburg immer noch keinen angemessenen Raum für die Präsentation dieser Schätze gibt, ist nicht nur ein Jammer, sondern eigentlich eine Schande.

CeNak-Direktor Glaubrecht träumt nicht von einem neuen Naturkundemuseum für Hamburg, sondern er kämpft dafür. Erst kürzlich schmiedete er, wie berichtet, eine Allianz mit dem Direktor des Zoologischen Forschungsmuseums Koenig in Bonn. Ziel ist die Fusion zu einem Leibniz-Institut und die Aufnahme in die Leibnitz-Gemeinschaft. Dieser Status würde erhebliche Bundesmittel bringen, was für Bau und Betrieb des neuen Hauses enorm wichtig wäre.

Antworten auf wichtige Zukunftsfragen

Ein Kerngebiet wäre die Erforschung des Biodiversitätswandels, also die Frage, wie sich die Vielfalt des Lebens durch die Evolution und durch den Einfluss des Menschen verändert. In diesem Zusammenhang ließen sich auch alte Sammlungsteile wie die Bestände aus dem Godeffroy-Museum „befragen“, wie es Prof. Glaubrecht nennt. So könnte, um nur ein Beispiel zu nennen, eine 200 Jahre alte DNA Aufschluss darüber geben, wie stark eine bestimmte Spezies im Laufe der Zeit „verarmte“. Dabei ließen sich Antworten auf wichtige Zukunftsfragen finden.

Auch der Schatz des Johan Cesar VI Godeffroy, auf den Hamburg einst stolz war, würde dann endlich wieder ins Blickfeld rücken – und neue Bedeutung erlangen.

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