Hamburg/Gijon. Irgendwo zwischen Gijon und La Coruña in Nordspanien fährt in diesen Tagen ein umgebauter Kastenwagen mit Hamburger Kennzeichen mit drei jungen Weltenbummlern, die die europäische Idee und die Menschen in Europa besser verstehen wollen. Felix Otto Hartge, Tim Noetzel und Ina Bierfreund aus Hamburg sind seit September auf Tour. Innerhalb von acht Monaten wollen sie alle 28 EU-Länder bereisen, mit den Menschen über Politik sprechen und ihnen eine Stimme geben. Das Trio will herausfinden: Wie lebt es sich außerhalb der eigenen Blase?
In Zeiten, in denen die Menschen gern weit weg in die Ferne reisen, ist den WG-Bewohnern Ina, Felix und Tim aufgefallen, dass sie Europa kaum kennen. „Das wollten wir ändern und haben uns auf eine Reise durch unseren Heimatkontinent begeben“, sagen sie. Hinzu kommt der derzeitige Rechtsruck in vielen europäischen Staaten. „Das ist alarmierend“, sagen die Freunde und wollen wissen, was dahintersteckt.
Leben auf acht Quadratmetern
Wer über den eigenen Tellerrand hinausschauen und auch Menschen mit anderen Ansichten kennenlernen will, muss hinaus in die Welt. Also raus aus der engen WG in Winterhude, rein in den noch viel engeren Kastenwagen.
Auf acht Quadratmetern leben sie nun. Und es klappt erstaunlich gut. „Wir haben neben einer kleinen Küche Schrank und Lagerraum zum Glück genug Platz für zwei Betten, die genug Schlaffläche für vier Leute bieten“, sagt Tim. Sie stehen meistens inmitten der Natur, campen wild oder übernachten auf kostenlosen Stellplätzen. Sie wollen möglichst wenig Geld ausgeben.
Die bisherigen Stationen ihrer Tour: Luxemburg, Belgien, Niederlande, England, Wales, Schottland, Nordirland, Irland und Frankreich. 9200 Kilometer haben sie bis jetzt schon zurückgelegt. In der kommenden Woche wollen sie in Portugal sein. Dann folgen Italien, Griechenland, die östlichen EU-Länder und Skandinavien.
Ina reist allein unter Männern, eine ungewöhnliche Reisetruppe. „Tatsächlich wurden wir schon öfter auf diese Kombination angesprochen“, sagt sie. „Aber es funktioniert sehr gut.“ Und wenn es mal Meinungsverschiedenheiten gibt: Alle drei diskutieren gern, das hilft schon mal. „Und falls wir uns gar nicht einigen können, entscheidet die Zweidrittelmehrheit“, sagt Ina. Es funktioniert. Den Lagerkoller haben sie ganz gut im Griff. Was hilft, ist, dass sich jeder manchmal Zeit für sich nimmt. So spielt Tim Gitarre, Felix zieht mit der Kamera los, um Fotos zu machen, und Ina geht joggen. „Ob man am Ende mit Frauen oder Männern unterwegs ist, macht keinen Unterschied“, sagt Ina. Außerdem steht die gemeinsame Arbeit am Projekt im Mittelpunkt.
Das Trio arbeitet an einer Dokumentation
Die Journalistikstudentin Ina Bierfreund (24), Betriebswirt Tim Noetzel (23) und Wirtschaftsingenieur Felix Otto Hartge (23) sind schließlich nicht auf einer Urlaubsreise, sie arbeiten an einer Dokumentation über die Menschen der EU, die sie veröffentlichen wollen. 15 Interviews über die EU-Politik, über den Idealzustand einer europäischen Gemeinschaft haben sie bislang geführt – ob mit einem nordirischen Farmer, einer französischen Winzerin oder einem spanischen Polizisten.
Was sie bislang gelernt haben? Toleranter zu sein, die Menschen zu respektieren, auch wenn jemand eine andere politische Auffassung hat: „Wir haben vielleicht eine andere Meinung, aber wir nehmen die Ängste der Menschen wahr und respektieren sie“, sagt Tim. Es sei auf jeden Fall lehrreich, Andersdenkende zu treffen. „Es ist eben etwas anderes, wenn da jemand sitzt und schlechte Erfahrungen beispielsweise mit Flüchtlingen gemacht hat. Wir haben in Hamburg damit ja keine Probleme“, behauptet Tim.
Die Herzlichkeit fremder Menschen ist eine der vielen Überraschungen ihrer Reise. Zum Beispiel die französische Winzerin Isabelle: „In der Nähe von Bordeaux haben wir auf dem Weingut von Isabelle und ihrem Mann übernachtet. Sie haben ihren Parkplatz kostenlos für Camper geöffnet. Am Abend kam es zu einer spontanen Weinverkostung“, erzählt Tim. Thema des Gesprächs war natürlich Europa.
Beim Duschen wurden die Hamburger bestohlen
Was Isabelle davon hält? „Die EU ist eine gute Idee. Jedoch müssten sich die Mitgliedsländer besser abstimmen“, sagt sie. Es fehlen gleiche Regeln in der Agrarpolitik – Glyphosat soll in Frankreich verboten werden, in Deutschland nicht. Jeder, sagt Isabelle, müsse bei sich anfangen, den europäischen Gedanken zu leben. Die Macht aber, Dinge zu ändern, liege bei der Politik. „Derzeit fehlt die Gemeinschaftsdynamik in der EU“, so das Fazit der Französin.
Miguel, ein spanischer Polizist, hat sich auch zu Europa geäußert, nachdem die drei bei ihm auf der Wache waren, um einen Diebstahl anzuzeigen: Ein Handy und ein Portemonnaie waren aus dem Van gestohlen worden, während sie kurz unter der Stranddusche waren – auch das gehört zum Europatrip. Miguel hat zu den Deutschen, die er offenbar nicht als Ausländer wahrnimmt, gesagt: „Ich möchte nicht so klingen, als ob ich etwas gegen Ausländer habe, aber wenn du, Tim, nach Spanien kommst, bekommst du nichts. Wenn du Moslem bist, bekommst du alles. Meine Eltern dagegen haben hier ihr ganzes Leben gearbeitet und bekommen nichts.“
Viele fühlten sich ungerecht behandelt. Miguel: „Die Mutter meiner Frau bekommt nur 436 Euro im Monat. Die Flüchtlinge erhalten 700 Euro jeden Monat.“ Wie Miguel sich das perfekte Europa vorstellt? „Ein vereintes Europa. Ohne Innengrenzen, aber verschlossen gegen Illegale von außen.“ Nicht nur die Menschen beeindrucken die drei Hamburger, auch die Landschaften. „Wir sind fasziniert von der umwerfenden Natur. Wir haben schon in Nationalparks, inmitten von Wildpferden, Hochlandrindern und Schafen geschlafen und uns über wunderschöne Schlafspots direkt am Meer gefreut.“
Die einzelnen Reiseberichte im Internet:
https://drivingeurope.wordpress.com
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