In Hamburgs verstecktester Einkaufsstraße ist es bedrohlich ruhig geworden. Manche kleine Läden müssen schließen, andere kämpfen ums Überleben.

Hamburg. Irgendwann war dann Schluss für Manfred Hüttenhofer. Elf Jahre lang hat er seinen Laden an der Erikastraße betrieben, er servierte Wurstsalat, Spätzle und Gaisburger Marsch, schwäbische Küche mit heimischem Biofleisch. Nun sind die Fenster seines Geschäfts dunkel. Dahinter steht noch die leere Theke. Dort, wo früher die Leute zum Mittagstisch saßen, liegen Kabel und schmutzige Lappen herum. Mittendrin steht Hüttenhofer, schwarzer Schnauzer, 62 Jahre alt, 44 davon lebt er schon in Hamburg, ein Schwabe mit noch immer unüberhörbarem Akzent. Er wischt die Hände an einem Tuch ab und schaut um sich her auf die Reste seines Geschäfts. "Wird Zeit", sagt er, "dass es vorbei ist."

Es ist die kleinste und versteckteste Einkaufsmeile Hamburgs, aus der er wegzieht. Vielleicht 200 Meter lang ist die Erikastraße zwischen Lokstedter Weg und Martinistraße, es ist das Promenadenstück, der schönste Abschnitt der Straße. Ein Laden reiht sich hier an den nächsten, Fisch, Käse, Wein, Friseur, dazu die zwei alten Kneipen Palette und Borchers. Früher einmal war die Gegend das, was heute für viele die Schanze ist: ein belebtes Ausgeh- und Bummelviertel mit vielen Geschäften. Inzwischen ist es ruhiger geworden. Aber in der Erikastraße, sagen die Anwohner, hat sich das alte Eppendorf bis heute erhalten.

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Auch Hüttenhofer schwärmt: von den Kastanienbäumen, dem Kopfsteinpflaster, der familiären Atmosphäre. Nur das Geschäft sei schon lange nicht mehr gut gelaufen. Früher habe es Stammgäste gegeben, auf die er sich verlassen konnte. "Heute sagen zwar alle: Wie schade, dass Sie schließen. Aber kaufen will keiner mehr." Ein bisschen wehmütig schaut er nach draußen. "Die Erikastraße stirbt", sagt er. Was früher zentral war, liegt heute abseits der großen Kundenströme. Am Anfang der Straße hat die Bäckerei geschlossen, statt einer warmen Eckkonditorei empfangen nun leere Fenster die Besucher. Die Eppendorfer Landstraße, die parallel verläuft, wird von Bussen befahren. Durch die Erikastraße fährt nichts. Seit Karstadt nebenan vor mehr als vier Jahren geschlossen hat, verschlägt es kaum noch Auswärtige in die Nähe. "Alle haben immer auf den Mühlenkamp geschaut", sagt Hüttenhofer. Für die Erikastraße habe sich irgendwann niemand mehr interessiert. Das Fischgeschäft Fische Hülsen gibt es schon seit mehr als einem halben Jahrhundert. Maria Lourenço, 37, hat es vor ein paar Jahren vom alten Inhaber übernommen, sie arbeitet seit 20 Jahren hier. "Viele der alten Stammkunden sind tot oder im Heim", sagt sie. Und jüngere Kunden kämen fast nicht - "die haben kein Geld, oder sie essen lieber Fast Food als frischen Fisch." Ein paar Meter weiter, schon über den Lokstedter Weg hinweg, wurden bisher Fahrräder repariert. Axel Brune bildet mit seinem Geschäft quasi den letzten Posten der kleinen Meile, selbst zur Mittagspause standen die Leute fast pausenlos vor seiner Tür. Zu Weihnachten musste er den Laden schließen, inzwischen hat er ihn geräumt. Nicht wegen sinkender Umsätze - "Fahrräder sind eine der letzten Branchen, die noch laufen", sagt er. Aber der Vermieter habe die Verträge nicht verlängert. Wo es im neuen Jahr hingeht mit ihm, weiß Brune noch nicht. Für die kleinen Geschäfte sieht er schwarz. Die Konkurrenz sei groß, die Mieten stiegen. In seinem Geschäft soll, hat er gehört, die Filiale eines Bodybuilding-Shops einziehen, der Eiweißdrinks und Diätprodukte verkauft. Andere sind trotzdem optimistisch. Uwe Quentmeier hat mit seiner Frau Andrea vor neun Jahren den Käseladen übernommen. Es riecht, wie seit nunmehr fast 100 Jahren, nach würzigem Berg- und Schimmelkäse. "Zufällig verirrt sich hier zwar keiner her", sagt auch er.

Aber noch immer wüssten zahlreiche Kunden die Besonderheiten eines kleinen, gut sortierten Ladens zu schätzen. Seine Frau pflegt Kontakte nach Frankreich und Spanien, zu jedem Käse kennt sie ein Rezept. Eigentlich laufe es, sagt sie, aber es sei für alle ein schweres Jahr gewesen. Man müsse die Straße wieder mehr beleben - zum Beispiel durch die Wiederauflage des Straßenfestes, das wegen Umbauten seit Jahren ausgesetzt ist.

Manfred Hüttenhofer glaubt nicht mehr an die Straße. Er hat lange gekämpft. Aber es gab auch Stress mit dem Vermieter, dann der Schlaganfall seiner Frau, eine volle Kraft im Zweimannbetrieb fiel aus, und das Geld fehlte, eine Aushilfe einzustellen. Was nach ihm mit seinem Geschäft passiert, interessiert ihn nicht mehr. Er muss jetzt für seine Frau da sein. Er hat schon einen neuen Job in Aussicht. In vier, fünf Jahren wird er in Rente gehen. Bis dahin, so seine Überzeugung, sind auch die meisten Läden der Straße tot. "Den Rest", sagt er, "kriegen wir auch noch rum."