Hamburg. Als Bernd Meyn um 7 Uhr morgens in seinem Großraumtaxi vor dem Barmbeker U-Bahnhof sitzt, fließt der Regen in dicken Strömen die Windschutzscheibe herunter. Auf der Straße: Pfützen. Auf der Innenverkleidung der Bullitür: Wassertropfen. „Taxiwetter“, sagt er. Meyn, in Hemd, Lederjacke und Jeans, sitzt am Steuer. Es kann losgehen. Er tippt auf einen Bildschirm schräg über dem Lenkrad. Wohin geht die erste Fahrt?
Noch weiß er nicht, dass er mittags eine Urinprobe von A nach B transportieren wird. Denn sein Job besteht nicht nur aus Lenken, Bremsen und Schnacken. Um am Ende des Tages genug zu verdienen, muss Meyn lauern. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Leerfahrten vermeiden. „So 25 bis 30 Euro in der Stunde möchte ich schon verdienen“, sagt Meyn.
Hansa vermittelt Kunden
Da ist die erste Route des Tages: Mundsburg–Flughafen. Meyn fährt los. Eine gute Tour? „Solange die Leute nicht im Taxi sitzen, darf man sich auch nicht freuen“, sagt Meyn. Wenig später sitzen sie aber da, Mutter mit Strohhut, Vater, eine junge Tochter und ein Baby. Als sie am ehemaligen Barmbeker Krankenhaus vorbeifahren, kommentiert Meyn: „Das ist vor einigen Jahren zum Wohngebiet umfunktioniert worden“, sagt er. „Stadtwohnungen. Das sind dann so zehn Meter breite Einheiten. Ist ganz schön!“
Als die Familie am Flughafen das Taxi verlässt, tippt Meyn wieder auf dem kleinen Bildschirm herum. Immer wieder blinkt eine Meldung auf. Sie kommen von Hansa-Taxi. Hansa ist eine Genossenschaft, die ihren Fahrern Kunden vermittelt. Meyn überweist monatlich dafür rund 600 Euro. 800 Taxis gehören zu Hansa, 3000 gibt es insgesamt in Hamburg. Meyn ist Unternehmer, ihm gehört der Bulli, in dem er sitzt. Dazu hat er zwei Angestellte, die von ihm Gehalt bekommen. Die drei teilen sich die Arbeitszeit.
Bald 1000 Taxen weniger?
Hamburgs Taxifahrer sind dieser Tage sauer. Vor Kurzem fuhren mehr als 300 Taxis bei einer Demo hupend durch die Straßen. Sie richtete sich gegen die VW-Tochter Moia, die bald schon 1000 Elektrobusse auf Hamburgs Straßen schicken möchte. Bis zu sechs Menschen haben Platz, die eine Fahrt im Internet buchen und sich den Fahrpreis mit den Mitreisenden teilen können. „Carpooling“ nennt sich das. Jetzt hat die Verkehrsbehörde zugestimmt: Moia darf fahren, zuerst aber nur testweise mit 500 Wagen. Sieht auch Meyn sich bedroht? „Wir machen uns Sorgen. Moia nimmt 30 Cent pro Kilometer, wir müssen mindestens 1,50 Euro nehmen“, sagt er. „Man muss schauen, wie es sich entwickelt. Wenn Moia in fünf Jahren komplett läuft, dann gibt es 1000 Taxen weniger. Da bin ich mir sicher.“
Auf dem Bildschirm vor Meyn steht an diesem Morgen auch eine grüne 17: Sie bedeutet, dass nahe dem Flughafen noch 16 weitere Hansa-Fahrer sind, die vor ihm dran sind. Hansa hat die Stadt in Gebiete eingeteilt, Fahrer müssen sich nicht in eine Schlange stellen, sondern werden benachrichtigt, wenn sie an der Reihe sind. Meyn werden aber auch Fahrten außerhalb seines Gebiets angezeigt – doch der Weg dahin wäre eine Leerfahrt. Das möchte er vermeiden. Meyn fährt zu seiner Stammbäckerei in der Nähe des Flughafens, Kaffee holen.
Den Kaffee trinkt Meyn im Auto, denn mittlerweile ist aus der 17 schon eine Sechs geworden. Als er gerade seinen Pappbecher ansetzen möchte, geht eine Frau mit Locken auf sein Taxi zu und klopft an seine Scheibe. „Ach, Sie sind das!“, sagt Meyn. „Ich komme nicht durch zur Zentrale“, sagt die Frau und wedelt mit ihrem Handy. „Sind sie frei?“ Ist er. Meyn fährt los, erklärt: „Die Dame ist eine Stammkundin. Also ich kenne die Dame jetzt nicht mit Namen, aber ich kenne sie.“
Als sie aussteigt, ist Meyn euphorisch. „Na, dann hat ja alles wieder gepasst. Am Ende ergibt alles wieder Sinn“, sagt er. „Wenn man einfach irgendwo rumsteht, und jemand kommt – das ist am besten.“ Danach ein weiterer Jackpot: Das System vermittelt ihm einen Gast, der aus dem nahe gelegenen Niendorf zur Rothenbaumchaussee möchte. Es ist jetzt 10 Uhr, Meyn hat 105 Euro verdient. Er ist im Soll.
Die längste Tour war 1500 Kilometer lang
Der Zufall war es auch, der ihm seine bisher längste Fahrt bescherte – im Jahr 2013 fuhr er fünf indische Männer 1500 Kilometer durch Europa. Er habe sie zuerst aus Hamburg nach Hannover gefahren, sie hätten nett geplaudert. Am Ende der Fahrt fragten Sie, ob sie ihn buchen können für eine Tour von Berlin nach Brüssel, über Prag, Budapest, Wien und Regensburg. Kurz darauf saßen sie wieder in seinem Taxi, zahlten Meyn pro Person 700 Euro und die Hotels.
Und überhaupt: „Man hofft immer auf große Touren“, sagt Meyn. „Auf der Autobahn läuft der Kilometerzähler schneller.“ Gestern habe sein Fahrer jemanden nach Braunschweig bringen sollen, dafür saß er extra um ein Uhr nachts im Taxi. Die Tour sei dann abgesagt worden. „Er hatte sich schon so gefreut“, sagt Meyn.
Auch die kleinen Touren gehören zu seinem Job. In der Innenstadt hält Meyn auf einem Seitenstreifen, schwingt sich heraus, fährt mit dem Fahrstuhl in den vierten Stock zu einem Urologen und kommt mit einem braunen Umschlag zurück. Er soll ihn zu Beiersdorf bringen. Wahrscheinlich eine Urinprobe. „Oft fahre ich auch tiefgekühltes Sperma“, sagt Meyn. Kurz darauf macht er noch eine Kurierfahrt. Die geschäftigen Morgenstunden sind vorbei. „Zu den Spitzenzeiten fängt man an, rumzupicken. Jetzt wird gefahren, was kommt.“
Um 13 Uhr ist Feierabend
Meyn machte seinen Taxischein im Jahr 1990. Er hatte damals gerade begonnen, an der Uni Hamburg Erziehungswissenschaften zu studieren, nebenbei fuhr er Taxi. In die Stadt gekommen war er wegen seiner damaligen Freundin. Die beiden bekamen ein Kind, Meyn war mit 22 Vater. Die Beziehung ging schnell in die Brüche, auch mit dem Studium war er unzufrieden, brach ab. Er ließ sich psychologisch behandeln. Der Taxijob sei gut gewesen. „Da konnte ich einfach weiterarbeiten“, sagt Meyn. 2005 machte er sich selbstständig, lebt mit seiner zweiten Tochter und deren Mutter in Barmbek.
Um 13 Uhr will Meyn an diesem Tag Feierabend machen. Sein Fahrer möchte arbeiten und seiner Tochter beim Girl’s Day seinen Job zeigen. Es ist auch diese Flexibilität, die Meyn an seinem Job mag.
Um halb eins mittags steht er neben einer Aral-Tankstelle und beißt in ein Ei-Brötchen. Draußen schüttet es immer noch, Meyn scrollt sich auf seinem Handy durch die Ankunftszeiten der Flugzeuge. „11.40 Uhr aus München … Hm, schon zu lange her“, sagt Meyn. „Hier fehlen jetzt die Maschinen!“ Als Meyn gerade den Motor anmacht, piept es doch noch aus dem System: Jemand möchte am Flughafen abgeholt werden. Das Warten hat sich gelohnt.
Um kurz nach eins hat Bernd Meyn 154,42 Euro verdient. Sein Urteil? „Das war okay.“
Doch auch nach Feierabend jagt Meyn noch den Zufall. Am Abend des Recherchetags sendet er um 21 Uhr eine SMS: „Hallo, Yannick, der Fahrer, dem gestern die Tour nach Braunschweig storniert wurde, hat gerade eben eine Fahrt nach Frankfurt bekommen. Der Taxi-Gott ist doch ein lustiger Vogel.“
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