Hamburger Ökonom

1000 Euro im Monat für jeden – geschenkt vom Staat

| Lesedauer: 9 Minuten
Oliver Schade
Der Ökonom Thomas Straubhaar in der Hamburger Universität, wo er auch lehrt

Der Ökonom Thomas Straubhaar in der Hamburger Universität, wo er auch lehrt

Foto: HA / Mark Sandten

Bedingungsloses Grundeinkommen findet immer mehr Befürworter. Ökonom Thomas Straubhaar sagt, warum es eingeführt werden muss.

Hamburg. Es ist fast wie eine Lebensaufgabe für den Hamburger Universitäts-Professor Thomas Straubhaar – das bedingungslose Grundeinkommen. Und es bewegt sich bei diesem Thema bereits einiges. In der Schweiz gab es dazu eine Volksabstimmung – wenn auch mit negativem Ausgang. In Finnland läuft ein offizieller Test. Und sogar in Deutschland gibt es erste private Initiativen und Versuche. Straubhaar hält über das bedingungslose Grundeinkommen nicht nur Vorträge und verfasst Artikel, er hat sogar ein spannendes, umfangreiches Buch (Radikal gerecht, edition Körber-stiftung, 248 Seiten, 17 Euro) geschrieben, in dem er detailliert erklärt, warum 1000 Euro im Monat für jeden – vom Staat geschenkt – eine sinnvolle Investition in die Zukunft sind. Das Abendblatt hakte bei Straubhaar nach.

Gut drei Jahre ist es nun her, dass Sie den Chefsessel beim Hamburger Wirtschaftsinstitut HWWI geräumt haben. Bereuen Sie im Nachhinein diesen Schritt?

Thomas Straubhaar: Nein, ich bereue diese Entscheidung nicht. Dadurch habe ich sehr viele Freiheiten zurückgewonnen und konnte wieder in Bereichen forschen, die mich persönlich besonders stark interessieren.

Haben Sie noch Kontakt zum HWWI?

Straubhaar: Ja. Und ich finde es großartig, dass es das HWWI nach einigen Irrungen und Wirrungen nun mit Henning Vöpel als Direktor geschafft hat, wieder auf seinen erfolgreichen Weg zurückzukommen.

In den vergangenen Jahren haben Sie neben Ihrer Tätigkeit an der Hamburger Universität beruflich viel im Ausland gemacht, haben an der Transatlantic Academy in Washington und in Mexiko geforscht und gelehrt. Was nehmen Sie persönlich aus dieser Zeit mit?

Straubhaar: Vor allem viele Alltagserlebnisse jenseits des theoretischen Lehrbuchs. Das betrifft zum Beispiel das Thema Einkommensungleichheit, das einem in Lateinamerika auf Schritt und Tritt begegnet. In den USA habe ich miterlebt, wie eine breite Mittelschicht immer stärker finanziell in Bedrängnis geriet und sich abgehängt fühlt.

So kommen wir nahtlos zum bedingungslosen Grundeinkommen, für das Sie vehement streiten. Jeder Bundesbürger soll – egal ob er arbeitet oder nicht – Ihrer Meinung nach einen festen Geldbetrag im Monat vom Staat bekommen. Ist das überhaupt zu finanzieren?

Straubhaar: Ja, auf jeden Fall. Allerdings sollte man die Ziele an den Anfang der Diskussion stellen, nicht die Finanzierung. Man muss sich darüber Gedanken machen, wie wir in Deutschland in zehn, 20 Jahren friedlich und glücklich zusammen leben wollen. Das kann gelingen, wenn wir die historischen Chancen der Digitalisierung nutzen – auch wenn sich unsere Arbeitswelt radikal verändern wird. Zudem sollten wir nicht die Fehler der Globalisierung wiederholen, die zu einer größeren Ungleichheit bei der Einkommensverteilung, und nicht zuletzt als Folge davon zu Protektionismus und Nationalismus geführt hat.

Letztlich wird die Digitalisierung – Chancen hin oder her – aber viele Arbeitsplätze kosten.

Straubhaar: Sie wird unsere Arbeitswelt verändern. Das muss nicht zwangsläufig zu einem massiven Abbau von Stellen führen. Es gibt Studien, die davon ausgehen, dass durch die Digitalisierung nicht im großen Stil Arbeitsplätze wegfallen, sondern sich stattdessen die Arbeitszeit dramatisch verringern wird. Das aber wäre doch wunderbar, wenn wir statt 40 nur noch 20 Stunden in der Woche arbeiten müssten, dafür nicht nur bis zum Alter 65, sondern bis 75. Zudem werden vor allem Jobs wegfallen, die ohnehin kaum jemand machen möchte – also körperlich anstrengende und monotone Tätigkeiten. Es ist doch positiv, wenn Menschen von Tätigkeiten befreit werden, die der Gesundheit schaden. Sicherlich wird sich die Arbeitswelt in den kommenden Jahren radikal verändern – und genau um diesen Wandel sozial aufzufangen, brauchen wir das bedingungslose Grundeinkommen.

Das Grundeinkommen soll also soziale Sicherheit in Zeiten des Wandels geben?

Straubhaar: Genau. Es soll den Menschen die Angst vor der Zukunft und deren Veränderungen nehmen. Schließlich haben sie dann eine finanzielle Grundversorgung, von der sie leben können.

Wie hoch soll das Grundeinkommen sein – und soll es auch Kindern zustehen?

Straubhaar: Das ist am Ende eine politische und keine ökonomische Entscheidung. Ich schlage 1000 Euro im Monat für jeden Bundesbürger vor – auch für jedes Kind – ein ganzes Leben lang von Geburt an. Diese Zahl kommt zustande, wenn man die fast eine Billion Euro, die in Deutschland derzeit pro Jahr für den Sozialstaat ausgegeben werden, durch die Einwohnerzahl von rund 80 Millionen teilt. Das wären etwa 12.000 Euro im Jahr, also 1000 Euro im Monat.

Dann bekäme eine vierköpfige Familie zusammen 4000 Euro netto. Da ist doch die Gefahr groß, dass kaum noch jemand arbeiten geht.

Straubhaar: Das sehe ich nicht. Schon heute bekommen Menschen, die nicht arbeiten, beachtliche Sozialleistungen vom Staat. Hartz IV, Wohngeld, Krankenkassenbeiträge, Zuschüsse für Schulausflüge, Kindergeld – all das würde es ja dann nach meinem Modell in der Zukunft nicht mehr geben. Heute besteht doch bereits das große Problem, dass die Differenz zwischen staatlichen Leistungen für Personen, die nicht arbeiten, und den Gehältern für einfache Jobs minimal sind. So stellt sich jetzt schon die Frage: Warum gehen die Menschen trotzdem arbeiten? Denn sie tun es millionenfach. Bei Umfragen ist übrigens herausgekommen, dass die meisten gesagt haben, sie selbst würden auch bei einem bedingungslosen Grundeinkommen weiterarbeiten. Allerdings glauben sie zugleich, dass die anderen dies nicht machen würden.

Wenn Arbeitslosengeld, Wohngeld, Hartz IV und die vielen anderen staatlichen Leistungen wegfielen, würden ja auch unzählige Jobs von Menschen verschwinden, die diese Leistungen bisher prüfen, bewilligen und auszahlen.

Straubhaar: Das ist für mich sogar ein Grund mehr, das Grundeinkommen möglichst schnell einzuführen. Denn eine ausufernde Sozialbürokratie ist doch weder sinnvoll noch effizient. Eher wirkt sie wie eine staatliche Beschäftigungsmaßnahme. Das ist deshalb unnötig, weil die Bürokraten mit Blick auf den von vielen beklagten Fachkräftemangel in anderen Jobs bundesweit gut gebraucht werden könnten.

Kommen wir nun noch mal auf die Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens zurück. Wie lautet ihre Rechnung?

Straubhaar: Auf jeden Euro, den man zusätzlich zum steuerfreien Grundeinkommen verdient, muss eine direkte Steuer von 50 Prozent gezahlt werden. Und das betrifft alle Einkommen – unabhängig davon, ob es sich um Arbeitseinkommen, Zinsen, Pachten, Gewinne oder andere Einnahmequellen handelt. Dies gilt übrigens auch für Beamte und Selbstständige. Zudem könnte man eventuell die Mehrwertsteuer um wenige Punkte anheben – falls dies zur Finanzierung notwendig sein sollte.

Wenn nun alle Deutschen ein Grundeinkommen bekämen, würde dann nicht wegen der größeren Kaufkraft die Inflation deutlich steigen?

Straubhaar: Inflation gibt es dann, wenn die Geldmenge stärker steigt als die Gütermenge. Bei meinem Modell findet aber letztlich nur eine Umverteilung der indirekten Auszahlungen des Sozialstaates über eine Bürokratie zu direkten Zahlungen an Personen und von den sehr gut zu den weniger gut Verdienenden statt. Und deshalb sehe ich kein Inflationsproblem. Vielleicht würden einige Konsumgüter teurer, die von den breiten Schichten stärker nachgefragt werden. Mehr aber nicht.

Sollen auch Zuwanderer das bedingungslose Grundeinkommen erhalten?

Straubhaar: Hier gibt es verschiedene Modelle. So könnten neu Zugewanderte nur schrittweise in den Genuss des Grundeinkommens kommen. Sie erhielten im ersten Jahr zum Beispiel zehn Prozent, im zweiten 20 Prozent und so weiter. Oder Deutschland müsste darauf hinwirken, dass die Zugewanderten – auch die EU-Angehörigen – weiterhin dem sozialen Sicherungssystem ihrer Herkunftsländer angehören und erst nach zehnjährigem Aufenthalt dann ins deutsche System wechseln können.

Halten Sie den radikalen Wandel zum bedingungslosen Grundeinkommen in einem wichtigen Industrieland wie Deutschland tatsächlich für durchsetzbar?

Straubhaar: In einem Schwung wird es sicherlich nicht kommen. Aber ich bin davon überzeugt, dass man sich hierzulande schrittweise in diese Richtung bewegen wird. Das beginnt mit der Rente. Dort erwarte ich mittelfristig für eine wachsende Anzahl Älterer ohnehin eine Art Grundrente. Dann gehe ich davon aus, dass das Sozialsystem stärker als heute über Steuern finanzieren werden wird, weil es als Folge der demografischen Alterung und des arbeitssparenden Fortschritts durch die Digitalisierung anders gar nicht mehr funktionieren kann.

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