St. Pauli

Als ein Verwaltungsakt Hamburgs "Sex-Papst" stoppte

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Josef Nyary
Direktor Rene Durand und sein Ensemble demonstrieren auf der Großen Freiheit gegen die Schließung des Erotik-Theaters

Direktor Rene Durand und sein Ensemble demonstrieren auf der Großen Freiheit gegen die Schließung des Erotik-Theaters

Foto: dpa / ullstein bild

Vor 25 Jahren wurde das Salambo an der Großen Freiheit geschlossen. Für den Franzosen und "Aufklärer" René Durand eine Niederlage.

Hamburg. Die Szene ist eindeutig, das Personal einschlägig, die Einführung eher fragwürdig: „Fräulein Suzie Wong“, behauptet der Ansager, „hat vor drei Tagen noch auf den Reisfeldern gearbeitet!“

Die Skeptiker vor der Bühne des Nachtclubs Salambo an der Großen Freiheit grinsen, und sie behalten recht: Die nackten Wahrheiten sind gar keine. Die Tänzerin heißt Barbara, kommt aus Cuxhaven und ist ausgelernte Raumgestalterin, Prüfungsnote „befriedigend“. Sie hat sich wie jeden Abend in der Garderobe mit einem Leberwurstbrot gestärkt und hantiert auf einem Drehbett mit den fantasievollen Utensilien eines dänischen Möbeltischlers zu Geräuschen aus einem vier Quadratmeter winzigen Tonstudio.

Ähnlich prosaisch kommt vor 25 Jahren, am 3. Juli 1992, auch das vorläufige Ende für das deutsche Sodom auf der Großen Freiheit: Am frühen Abend betritt ein Vollstreckungsbeamter des Bezirksamts Hamburg-Mitte das Etablissement, versiegelt die Türen und untersagt den weiteren Betrieb.

Freisinniges Bürgertum

Das Ordnungsamt bestätigt der Presse, es handele sich um einen „ganz normalen Verwaltungsakt“. Es ist nicht der erste. Ein Vierteljahrhundert lang hat der Franzose René Durand mit den Behörden gerungen wie Laokoon mit den Schlangen, zum Vergnügen, wenn auch ohne die Unterstützung eines zunehmend freisinnigen Bürgertums.

Die Geschichte des Salambo ist mehr als nur eine amüsante Episode in der traditionsreichen Geschichte der Hamburger Nacht: Die unermüdlichen Grenzverletzungen des geschäftstüchtigen Franzosen stellen immer wieder das sittliche Empfinden einer Zeit auf den Prüfstand, in der die Sexwelle schon längst die Kinos erobert hat.

René Durand gründete eine „sexualliberale Aktion“

Die sogenannten Aufklärungsfilme der 1960er-Jahre füllen die Programme mit grenzwertiger Sexualkunde für Voyeure („Schulmädchen-Report“). Hamburgs Kripo hält Anschauungsmaterial in speziellen Räumen unter Verschluss, die nur von auf Moraldelikte spezialisierten Sachbearbeitern betreten werden dürfen. Und mancher renommierte Künstler macht damals mit ganz anderen Talenten Karriere. Der systemkritische Liedermacher Konstantin Wecker etwa startet als potenter Naturbursche in „Beim Jodeln juckt die Lederhose“ durch. Der Kabarettist Jürgen Busse tritt in seinem ersten Spielfilm ohne Hose vor die Kamera und erläutert: „Den Tee nehme ich immer nackt – altes Ritual!“

Auf diese Stimmung zielt auch der Pariser Gastronom Durand, als der durch die Beatles berühmte, dann aber heruntergewirtschaftete Star Club einen Pächter sucht. Der Franzose tauft die Mucke-Bude auf den Namen der legendären karthagischen Königin Salambo, die sein Landsmann Gustave Flaubert als antike Sexbombe beschrieb, und entwickelt ein passendes Showprogramm.

Als "Papa Dudu" verehrt

Die Vorschrift, dass öffentliche Nacktheit spätestens fünf Zentimeter über dem Schamhaar zu enden habe, ist bald vergessen. Der Mann mit dem Musketierbart, in der Szene rasch als „Papa Dudu“ verehrt, nutzt den Reformwillen progressiver Politiker, gründet eine „Sexualliberale Aktion“ und lässt seine Artistinnen mit Kerzen, Flaschen oder Gummigliedern masturbieren. Bald auch partnerschaftlich: Schon 1970 melden Kontrolleure des für Konzessionen auf St. Pauli zuständigen Oberamtsrats Kurt Falck eine Darbietung, „bei der auf der Bühne auf einer flachen Bank zu gleicher Zeit von zwei völlig nackten Paaren der Geschlechtsakt in verschiedenen Varianten vollzogen wurde“.

„Das Ganze wurde von aus einem Lautsprecher dringenden Stöhnen untermalt“, geben Falcks Fleischbeschauer zu Protokoll. Die Preise wirken eher harmlos: Mindestverzehr 18,50 D-Mark. Bei 24 Auftritten pro Woche läppert sich das, doch die Polizei vermutet schon lange, dass sich Zuschauer nach der Show illegal vergnügen dürfen. Oder wozu sonst sind die 13 Separees mit den herzförmigen Badewannen gedacht?

Alles nur Verdacht

Auf der Bühne zeittypische Erotik-Fantasie in Rokokokostümen, Trachten oder Weltraumanzügen, mit Dracula und „Biene Maja“, garniert mit Texten wie „Auch edle Rittersleut’ haben ihr Ding nicht nur zum Strullen“. Hinter einer Spiegeltür aber, was der Gesetzgeber „Förderung der Prostitution“ nennt? Als Indizien gelten Kondome, Papiertaschentücher und die bedarfsgerechte Beleuchtung. Doch nicht immer hält das rote Licht, was es dem Ordnungsmann verspricht: Beweise sind nur in flagranti möglich, aber kein einzige Freier lässt sich in Aktion ertappen. „Es ist alles nur Verdacht, Verdacht, Verdacht“, ruft der schlaue Impresario.

Mit allerlei Tricks wurden die Behörden getäuscht

Für die Presse ist Durand bald der „Sex-Papst von Hamburg“. Die „Zeit“ konstatiert listig einen „ganz normalen Akt“ und stellt sich doof: „Spielen die Damen im Salambo wirklich nur Theater?“ Der damals progressive „Stern“ dagegen klassifiziert das Salambo-Spektakel ohne Umschweife als „Fick-Show“. Die Tourismuszentrale nimmt das lose Treiben trotzdem auf den Titel einer Broschüre, mit der sie „Hamburg erleben – Kontraste live“ in Aussicht stellt.

Oberamtsrat Falck, inzwischen wenig schmeichelhaft als „Saubermann von St. Pauli“ durch die Presse gezogen, erhöht den Druck und brummt dem mephistotelischen Musketier satte Geldbußen auf. Durand wehrt sich mit Tricks: Mal lässt er einen Kellner für seinen Laden haften, dann holt er sich Unterpächter, reicht eine alte Kabaretterlaubnis ein oder wechselt einfach mal die Adresse. Das Salambo wird Kult. Der Liedermacher Klaus Hoffmann widmet dem „tollen Schuppen“ zwölf schräge Strophen.

Als Durand das Spiel trotzdem verloren hat, zieht er sich vorübergehend nach Paris in einen Wohnwagen zurück. Seine Konzession gibt er an Tochter Yvonne weiter, die das Salambo erst einmal weiterbetreiben darf, weil der Vorwurf der Zuhälterei und der Prostitution nicht bewiesen werden kann.

Im Januar 2013 stirbt Durand, 85 Jahre alt, nach mehreren Herzinfarkten als Alzheimer-Patient im UKE. 50 Tänzerinnen, Travestiekünstler und Dragqueens geben ihm in Ohlsdorf das letzte Geleit. In der einstigen Kopulierklitsche aber bietet heute eine Tabledance-Bar gesetzestreue Freikörperkultur.

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