Von Olaf Scholz geht das Gerücht, er pflege ein geheimes Hobby: Wenn die Autobahn frei sei und er selbst am Steuer seines BMW sitze, dann gebe es für den sonst so kontrollierten Bürgermeister kein Halten mehr und er trete das Gaspedal gern mal voll durch. Angeblich würden viele seiner SPD-Genossen deswegen nicht so gerne bei Scholz einsteigen, kolportierte kürzlich die „Zeit“. Die private Lust an der Raserei dürfte zwar kaum der zentrale Grund dafür sein, dass der Bürgermeister so vehement gegen Einschränkungen für den motorisierten Individualverkehr kämpft. Das tut er gleichwohl energisch – trotz der auch in Hamburg zu hohen Belastung der Luft mit aus Dieselmotoren stammenden giftigen Stickoxiden.
Während in Metropolen wie Paris oder Barcelona das Autofahren wegen der Luftbelastung immer stärker begrenzt wird und EU und Gerichte immer härter gegen untätige Regierungen durchgreifen, will Scholz weiter auch die größten Diesel-Stinker in die City lassen. Deswegen ließ er das Aus für die blaue Plakette, das das Bundesumweltministerium in dieser Woche verkündete, auch gleich von der Wirtschaftsbehörde bejubeln. Man sei gegen die Plakette gewesen, die ältere Diesel von der Fahrt in die Stadt ausgeschlossen hätte, hieß es. Fahrverbote seien unsozial.
Damit rief er den rauflustigen grünen Umweltsenator Jens Kerstan aus dem Mallorca-Urlaub auf den Plan. Das Aus für die Plakette sei eine „schlechte Nachricht für viele Menschen, deren Gesundheit durch Dieselabgase gefährdet wird“, mailte er von der Insel. Unsozial sei es, wenn Menschen mit wenig Einkommen gezwungen würden, Gifte einzuatmen, weil günstige Wohnungen oft an großen Straßen lägen.
Da war er wieder: der öffentlich zelebrierte Dauerzoff zwischen Bürgermeister und Umweltsenator. Schon vor seiner Abreise in den Urlaub hatte Kerstan Scholz mit der Interview-Aussage getriezt, man komme womöglich nicht um Fahrverbote herum. Der chronische Konflikt fußt auf unterschiedlichen Konzepten der Stadtentwicklung. Während die SPD Individualverkehr in der Stadt halten will, ist die Stadt der Zukunft für die Grünen weitgehend autofrei.
Ausnahmsweise einmal richtig sauer sei Scholz vor Pfingsten bei einem anderen Thema geworden, heißt es. Damals hatte Kerstan im Abendblatt sein Veto gegen das Bündnis für das Wohnen verkündet, falls in Sachen Naturschutz nicht nachgebessert werde. Er fühlte sich von der SPD durch eine Pressemitteilung provoziert, die das Bündnis voreilig bejubelte – obwohl Kerstan noch keine Zusage für zusätzliche Stadtgrün-Mittel hatte. Für Scholz, der viel Wert auf Eintracht nach außen legt, sei Kerstans öffentliche Widerborstigkeit eine mentale Herausforderung, heißt es. Eine seiner Maximen laute nämlich: Niemals einen Senator öffentlich kritisieren! Also kann er auch nicht hart kontern. Schließlich hält Scholz die Geschlossenheit des Senats für eines der wichtigsten politischen Erfolgsrezepte. Das hat zu Zeiten der SPD-Alleinregierung bestens geklappt. Da hätte kein Genosse gewagt, Scholz (öffentlich) zu widersprechen – was dem Bürgermeister den Beinamen König Olaf einbrachte. In einer Koalition funktioniert das naturgemäß weniger gut. Schließlich wollen die Grünen nicht als Fassaden-Zierrat am Schloss des Königs enden und müssen gelegentlich das eigene Profil zeigen. Wo sollte das besser gehen als in der Umweltpolitik?
Dass Kerstan auch in den Senatsvorbesprechungen vor den stets sehr formalen Senatssitzungen derjenige ist, der Scholz am deutlichsten widerspricht, hängt aber auch mit seinem Naturell zusammen. Der 50-jährige Sohn des Gründers der TT-Fährlinie Travemünde–Trelleborg hat noch nie wie einer geredet, der die Diplomatenschule ab-solviert hat. Wenn ein Genosse in Haushaltsberatungen betont, dies und das habe man seit 2011 immer so gemacht, kontert Kerstan gern mal flapsig, das sei ihm völlig egal. Jetzt gelte das, was man 2015 mit den Grünen vereinbart habe. Wer sich nicht bemerkbar macht, setzt auch nichts durch, so das Motto des Whisky-Liebhabers. Während Fraktionschef Anjes Tjarks den lieben Grünen gibt und unentwegt mit SPD-Fraktionschef Andreas Dressel Konflikte abräumt, spielt Kerstan mit Vergnügen den grünen Bad Boy.
Als er kürzlich in einer Sitzung ankündigte, er fahre in den Urlaub, soll Scholz gesagt haben: „Ein Glück.“ Wirklich schlecht bestellt sei es um das persönliche Verhältnis der Duzfreunde Olaf und Jens aber nicht, heißt es. Am Ende wisse man sich doch zu nehmen – und Scholz sei sowieso niemand, der poltere. Deswegen sei die Stimmung nach wie vor gut. Ob sie bald so gut ist, dass König Olaf den grünen Jens zu einer Spritztour über die nächtliche Autobahn einlädt? Das wohl eher nicht. Vermutlich wäre Kerstan das auch zu gefährlich.
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