Otto Group

"Der Chef der Zukunft muss mehr Coach als Vorgesetzter sein"

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Otto Konzernchef Hans-Otto Schrader

Otto Konzernchef Hans-Otto Schrader

Foto: Marcelo Hernandez

Mehr als den Chef duzen: Vorstandschef Schrader geht mit Otto Group ungewöhnliche Wege, um fit für die Zukunft zu sein.

Es war kein gutes Geschäftsjahr 2014/15. Einen dreistelligen Millionenverlust musste der Hamburger Handelskonzern Otto damals ausweisen. Vorstandschef Hans-Otto Schrader sah sich harter Kritik ausgesetzt. Ihm wurde eine zu weiche Linie, zu wenig Durchsetzungsvermögen vorgeworfen. Ein Jahr später hat der 59-jährige Top-Manager die Wende geschafft. Die Otto Gruppe schreibt wieder schwarze Zahlen, bis auf das Frankreich-Geschäft läuft es rund bei den Hamburgern.

Im Abendblatt-Interview erzählt Schrader, wie ihn das Krisenjahr verändert und welche Lehren er aus dieser ungemütlichen Zeit für sich als Vorstandschef gezogen hat. Intern hat er den Kulturwandel 4.0 eingeläutet. Ein Baustein dieses Programms: Der Vorstand bietet allen 54.000 Mitarbeitern das Du an. Eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Idee bei dem traditionsreichen Unternehmen, die aber offensichtlich gut bei den Beschäftigten ankommt.

Hamburger Abendblatt: Probleme im Ausland und bei einigen Einzelgesellschaften hatten der Otto Group im Geschäftsjahr 2014/15 einen Vorsteuerverlust von 125 Millionen Euro eingebrockt. Ist der Konzern 2015/16 wieder in die Gewinnzone zurückgekehrt?

Hans-Otto Schrader: Der Konzern ist gut unterwegs. Die Umsätze in unseren Kerngesellschaften und im Online-Geschäft brummen. Wir haben fast alle Probleme hinter uns lassen können. Und ich gehe davon aus, dass wir einen Umsatzzuwachs von mehr als vier Prozent auf dann rund 12,5 Milliarden Euro und unser Mindestziel, wieder schwarze Zahlen zu schreiben, auch erreichen werden.

Eine schwarze Null?

Schrader: Mehr als eine schwarze Null. Es wird ein positives EBT-Ergebnis sein – also vor Steuern.

Wie haben sich ihre Problemfelder entwickelt?

Schrader: In den USA, wo wir erhebliche Schwierigkeiten hatten, machen wir wieder mehr Umsatz. Und wir haben sogar die Verlustzone verlassen. 2014/15 haben wir in Amerika noch rund 50 Millionen Dollar Verlust geschrieben. Nun werden wir ein positives Ergebnis von deutlich mehr als zehn Millionen Dollar erwirtschaften. Wir haben also dort in kürzester Zeit die Wende geschafft. Dazu haben neue Sortimente, neue Konzepte und ein neues Management beigetragen. Auch bei unserem früheren Sorgenkind Sport-Scheck haben wir die durch eine umfangreiche IT-Umstellung und die Inbetriebnahme eines neuen Logistikcenters verursachten Probleme in den Griff bekommen. Bei unserem Onlineshop für junge Familien, der MyToys-Gruppe, sind wir ebenfalls einen großen Schritt vorangekommen. Das Unternehmen läuft mit einem Umsatzplus von 20 Prozent jetzt wieder richtig rund – unter anderem durch den Bau eines neuen Warenverteilzentrums. In Russland werden wir die operative Verlustzone verlassen und mit einem kleinen positiven Ergebnis abschließen. Allerdings verlieren wir dort weiter Umsätze. Das einzige Problemfeld, in dem wir den Turnaround nicht geschafft haben, ist unser Handelsgeschäft 3Suisses in Frankreich. Hier sind unsere Pläne nicht aufgegangen.

Warum?

Schrader: 3Suisses hat zu lange am Katalog festgehalten und zu spät – ganz anders als in Deutschland – auf online umgestellt. Es kann sein, dass wir den Zeitpunkt für die Transformation verpasst haben.

Werden Sie 3Suisses denn auf jeden Fall fortführen?

Schrader: Wir prüfen alle Optionen.

Also wäre auch ein Verkauf oder sogar eine Schließung denkbar?

Schrader: Bis zu den französischen Sommerferien werden wir entscheiden, welche Konsequenzen wir ziehen.

Was erwarten Sie für das kommende Geschäftsjahr im Konzern bei Umsatz und Gewinn?

Schrader: 2015 war für uns ein Jahr der Neuausrichtung. Unser Kerngeschäft brummte dennoch, die Einzelgesellschaft Otto erwirtschaftete den höchsten Umsatzzuwachs seit der Wiedervereinigung. Unsere Modeanbieter wie Bonprix und Witt liefen genauso wie unsere Logistiktochter Hermes oder unser Finanzdienstleister EOS ausgesprochen gut. Das heißt: Unser Kerngeschäft war im Jahr des Umbruchs besonders stark. Das stimmt mich auch für das nächste Geschäftsjahr zuversichtlich. Ich gehe davon aus, dass wir den Umsatz 2016/17 um rund vier Prozent steigern können und einen ordentlichen Vorsteuergewinn erwirtschaften.

Wie wird sich die Mitarbeiterzahl entwickeln?

Schrader: Wir haben keine Planungen für den Gesamtkonzern, sondern schauen uns immer die Einzelgesellschaften an. Derzeit haben wir insgesamt rund 54.000 Kollegen. Wo es erfolgreich läuft, stellen wir ein. Wir haben nach wie vor viele offene Stellen, auch in Hamburg. Gerade im Bereich IT. So suchen wir zum Beispiel Software-Entwickler. Zum Teil ist es wirklich schwierig, gutes Personal zu finden.

Können Sie als Konzern in diesem Punkt von dem Flüchtlingszustrom profitieren?

Schrader: So weit ist die Otto Group noch nicht, dass wir feste Anstellungen von Flüchtlingen vornehmen. Aber ich denke schon darüber nach. Wir müssen insgesamt zwischen dem Zustrom und der Integration von Flüchtlingen unterscheiden. Als politisch denkender Mensch glaube ich, dass es uns nicht hilft, wenn wir die Grenzen schließen. Menschen in Not werden andere Wege finden, um zu uns zu kommen. Da braucht man intelligentere Lösungen. Bei der Integration sind dann Politik und vor allem Unternehmen gefragt – auch die Otto Group. Hier sollten wir möglichst viele Menschen in Arbeit – und zwar in sinnvolle Arbeit – bringen. Da prüfen wir, wie wir als Konzern mit Praktika, Ausbildungs- und Arbeitsplätzen unseren Beitrag leisten können.

Welche Produktgruppen werden derzeit besonders stark nachgefragt?

Schrader: Weltweit läuft das Segment Möbel, Heimtextilien und Elektrogeräte sehr gut. In diesem Bereich haben wir eine richtige Erfolgsstory in den USA, aber auch in Deutschland. Zudem verkaufen wir hierzulande weiterhin sehr gut Bekleidung.

Otto galt lange Zeit als besonders gut im Service, aber vergleichsweise eher teuer. Haben Sie daran etwas geändert?

Schrader: Wir haben uns in den vergangenen Jahren in diesem Punkt massiv geändert. Wir sind heute absolut konkurrenzfähig, was das Preis-Leistungs-Verhältnis angeht. Wer sich dem Preiskampf im Internet nicht stellt, hat verloren. Denn viele Konsumenten gehen über Preissuchmaschinen und treffen danach ihre Kaufentscheidung.

Otto trennt sich vermehrt von Randaktivitäten. Erst jüngst wurde der mobile Bezahldienst Yapital für Endkunden vom Markt genommen. Wird es weitere Verkäufe oder Trennungen geben?

Schrader: Die Otto Gruppe hat im jetzt zu Ende gehenden Geschäftsjahr wie angekündigt acht maßgebliche Desinvestments vorgenommen. So viele werden es im kommenden Jahr nicht mehr sein, vielleicht zwei oder drei. Auch hier haben wir den größten Veränderungsbedarf hinter uns.

Planen Sie Zukäufe?

Schrader: Wir investieren über unsere Venture-Gesellschaften weiter in rund 130 Start-up-Unternehmen. Innerhalb der Otto Group konzentrieren wir uns bei Zukunftsprojekten derzeit komplett auf unseren E-Commerce-Modeanbieter Projekt Collins. Wir sehen viele Möglichkeiten, das Unternehmen weiter auszubauen und konzentrieren deshalb unsere Zeit und unser Geld darauf.

Wie zufrieden sind Sie mit dem E-Commerce-Projekt Collins, das einst vom Enkel des Konzerngründers, Benjamin Otto, mit ins Leben gerufen wurde?

Schrader: Sehr zufrieden. Collins wird bald über 100 Millionen Euro Umsatz machen und hat alle maßgeblichen Vorgaben im Business-Plan übertroffen. Das betrifft den Umsatz, die Kundenzahl, aber auch die Höhe des Durchschnittsbons …

… und Collins schreibt bereits schwarze Zahlen?

Schrader: Schwarze Zahlen sind planmäßig in ein paar Jahren zu erwarten. Collins befindet sich noch in der Investmentphase.

Benjamin Otto ist mittlerweile gestaltender Gesellschafter der Otto Group. Wie sehr gestaltet er denn mit? Wie oft sehen Sie ihn?

Schrader: Ich sehe Benjamin Otto einmal im Monat. Ich kann ihm viel mitgeben aus meiner Erfahrung, schließlich bin ich schon mehr als 37 Jahre im Konzern. Es macht großen Spaß und ist für beide Seiten befruchtend, sich auszutauschen.

Der Vorstand hat vor wenigen Wochen allen Mitarbeitern des Konzerns das Du angeboten. Was versprechen Sie sich davon?

Schrader: Wir haben im Moment einen sehr guten Lauf und haben alle unsere Probleme – bis auf Frankreich – gelöst. Diesen Rückenwind wollten wir nutzen und haben einen Prozess unter dem Namen „Kulturwandel 4.0“ aufgelegt. Ein wichtiger Aspekt dabei war der Wunsch, weg vom „ihr“ und hin zum „wir“ zu kommen. Und als wir das für uns entschieden haben, war klar, wir müssen im Konzern vom Sie aufs Du wechseln. Das Du wurde aber nicht angeordnet, sondern ist ein freiwilliges Angebot des Vorstands.

Wie war denn die Reaktion der Beschäftigten auf das Angebot?

Schrader: Überwältigend positiv. Vor wenigen Tagen hat sich die komplette Bonprix-Gruppe entschieden, auf das Du umzustellen. Und sogar unsere eher konservativ geprägte Witt-Gruppe macht mit. Das schwappt wie eine Welle durch den ganzen Konzern.

Und wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen als Konzernchef?

Schrader: Sehr positiv. Nur eine Anekdote: Kürzlich als ich hier im Haus aus dem Fahrstuhl ausstieg, kam mir ein jüngerer Kollege entgegen – Anfang 30, Jeans, Sneakers, Parka – und sagt zu mir: „Hey, ich kann jetzt Hos (Abkürzung für Hans-Otto Schrader; Anmerkung der Redaktion) zu Dir sagen.“ Und sofort sind wir ins Gespräch gekommen. Das wäre früher so nicht passiert.

Aber Kulturwandel 4.0 beinhaltet mehr als das Du?

Schrader: Selbstverständlich, es ist nur ein äußeres Zeichen für einen grundlegenden Wandel im Konzern. Wir haben sechs Themengruppen gebildet. Ziel ist es, alte Führungsprinzipien zu verändern. Der Chef gibt die Ziele vor, dann wird kontrolliert – und am Ende folgt Belohnung oder Sanktionierung. Dieses Denken gehört bei der Otto Group der Vergangenheit an. Der Chef der Zukunft muss mehr Coach als Vorgesetzter sein.

Ein großes deutsches Wirtschaftsmagazin hat Ihnen vor rund zwei Jahren einen Kuschelkurs vorgeworfen: Es werde in der Chefetage bei Otto unendlich lange debattiert, ohne letztlich notwendige Entscheidungen zu treffen. Trifft Sie so ein Vorwurf?

Schrader: Mir hat der Begriff nicht gefallen, aber die Kritik an zu langen Entscheidungswegen ist durchaus berechtigt. Sicherlich habe auch ich in der Vergangenheit Fehler gemacht, war vielleicht nicht immer konsequent und klar genug. Das Krisenjahr 2014 hat mich sehr beschäftigt und auch verändert. So bin ich weiterhin der Meinung, dass jeder, der einen Fehler macht, eine zweite Chance verdient. Aber keine dritte und keine vierte mehr. Das soll aber nicht heißen, dass ich und alle Führungskräfte zu Ellenbogen-Managern geworden sind. Ein faires Mit­einander ist uns weiterhin sehr wichtig. Denn nur über eine tolle Zusammenarbeit aller Mitarbeiter haben wir schließlich wieder den positiven Dreh geschafft.

Ihr Vertrag läuft noch bis Ende des Jahres. Sie haben dann die Otto-Altersgrenze für Vorstände von 60 Jahren erreicht. Wie sind Ihre beruflichen Pläne über das Jahr 2016 hinaus?

Schrader: Ich mache meine konkreten Pläne im Mai, wenn der Aufsichtsrat und der Gesellschafterkreis von der Otto Group entscheiden, wie es an der Spitze des Konzerns weitergeht.

Aber Sie machen schon den Eindruck, als ob sie noch Lust hätten, etwas länger an der Spitze der Otto Group zu bleiben.

Schrader: Ich arbeite gern. Und die Otto Group ist ein wichtiger Teil meines Lebens.

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