Live-Blog zu Olympia

Hamburger Sportbundchef kritisiert Volksbefragungen

| Lesedauer: 8 Minuten

Nachdem die Mehrheit der Hamburger gegen die Olympia-Bewerbung gestimmt hat, sind viele Frage offen. Wie geht es jetzt weiter?

Hamburg. Am Tag nach dem Referendum muss sich Hamburg neu sortieren, neu ausrichten. Viele Fragen sind jetzt offen. Wie geht es mit dem Kleinen Grasbook weiter? Was passiert mit geplanten Stadtentwicklungsprojekten? Welche Schlüsse ziehen Politik, Wirtschaft und Sport? Und: Wie soll das Mittel des Referendums künftig genutzt werden.

Nach Auszählung aller 556 Abstimmungslokale stimmten 48,4 Prozent der Wähler für Olympische und Paralympische Spiele in Hamburg, 51,6 Prozent votierten dagegen. Kurz vor 22 Uhr gab Landeswahlleiter Willi Beiß das vorläufige Endergebnis bekannt. Danach hatten 314.468 Wähler ihr Kreuz beim Ja für Olympia gemacht, aber 335.638 beim Nein. Eine Wahlbeteiligung von rund 50 Prozent.

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Sportbundchef kritisiert Volksbefragungen

Der Präsident des Hamburger Sportbundes (HSB) Jürgen Mantell (SPD) hat nach dem Nein der Hamburger beim Olympia-Referendum die Frage nach Sinn und Unsinn von Volksbefragungen aufgeworfen. „Alle diejenigen, die dagegen sind, und die Fragen hatten, hätten sich ja informieren können“, sagte Mantell beim Fernsehsender Hamburg1. „Mein Eindruck ist: Sie haben sich nicht informiert. (...) Und dann muss man auch darüber nachdenken, was denn eigentlich das Verhältnis zwischen unserer parlamentarischen Demokratie ist und was Volksentscheide anbelangt.“ Und weiter: „Ich kann das sagen, auch wenn ich hier als Sportbundpräsident bin, aber ich habe früher gekämpft für direkte Demokratie. Ich habe das Gefühl, wir müssen darüber nachdenken, ob nicht der Eindruck entsteht, als ob die direkte Demokratie eine rationalere Entscheidung ermöglicht als der abwägende, transparente Prozess in den Parlamenten. Diese Entscheidung hier war eine, die war nicht rational geprägt, sondern sie war aus dem Bauch geprägt, aus einer Antihaltung gegenüber allem, was der Staat macht, und das macht mich traurig.“ Dem Abendblatt sagte Mantell, dass direkte Demokratie nur Korrektiv und Ergänzung der parlamentarischen sein solle. Es bestehe die Gefahr, dass irrationale Gefühle zu Entscheidungen führten, die weitreichende Folgen für das ganze Land hätten. Man müsse nun intensiv über das Thema „nachdenken“, so Mantell.

CDU-Fraktionschef André Trepoll dagegen sagte, es sei nicht die Zeit für Kritik am Wahlvolk, sondern für selbstkritische Analysen. Bürgermeister Olaf Scholz müsse sich fragen lassen, ob er die Kostenübernahme mit dem Bund nicht vorab hätte klären können. CDU-Landeschef Roland Heintze sagte, die Hamburger seien „plietscher als Dr. Mantell es suggeriert“. Man müsse nicht über jede Kleinigkeit abstimmen, „aber bei Legislatur übergreifenden Großprojekten macht das schon Sinn“.

Merkel bedauert Nein der Hamburger zu Olympia 2024

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bedauert das Nein der Hamburger zur Olympia-Bewerbung. Merkel habe das Votum „mit Bedauern zur Kenntnis genommen“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz am Montag in Berlin. „Aber natürlich ist es so (...), dass dieses Ergebnis zu respektieren ist.“ Die Kanzlerin erkenne selbstverständlich den Volkswillen an. „Dafür macht man ja Volksabstimmungen, damit man dann herausfindet, was das Volk gerne möchte“, sagte sie. „Und offenbar möchten die Hamburger keine Olympiade.“

Auch ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, Ressortchef Thomas de Maizière (CDU) respektiere die Entscheidung, auch wenn diese bedauerlich sei. „Sicherlich werden künftige Bewerbungen - jedenfalls in naher Zukunft - durch ein solches Votum wohl nicht einfacher“, erklärte der Sprecher. „Aber man muss jetzt erst mal in aller Ruhe auswerten, woran das gelegen hat, bevor man voreilige Schlüsse zieht für die nahe und mittelfristige Zukunft.“

BUND sieht jetzt Chancen für Neuausrichtung

Nach der klaren Entscheidung gegen eine Hamburger Olympia-Bewerbung sieht der BUND Hamburg die große Chance, "ernsthaft über eine Neuausrichtung der Stadtentwicklung" zu diskutieren und diese
voranzubringen. Es gebe erheblichen Klärungsbedarf, welche Mobilität, welche Quartiersentwicklung und welche Freiraumplanung Hamburg für seine Zukunftsfähigkeit braucht.


„Aufgrund der Olympia-Bewerbung wissen wir, dass in den nächsten neun Jahren 1,2 Milliarden Euro für die Stadtentwicklung zur Verfügung stehen. Es ist gut, dass nun nicht sämtliche Ressourcen in ein einziges Mega-Sport-Event fließen müssen. Nachhaltige Stadtentwicklung ist viel mehr als eine Bebauung des Kleinen Grasbrooks“, so Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des BUND Hamburg.

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Bewerbergesellschaft stellt ihre Aktivitäten ein

Die Hamburger Bewerbungsgesellschaft wird nach dem Nein der Hamburger zu Olympischen Spielen 2024 ihre Aktivitäten einstellen. Die Verträge der 25 Mitarbeiter laufen zum Jahresende aus. „Die Gesellschaft werden wir jetzt abwickeln müssen, das ist menschlich schon bitter. Viele haben 14, 15 Stunden am Tag gearbeitet“, sagte der Hamburger Staatsrat Christoph Holstein am Sonntagabend in der Barclaycard-Arena am Volkspark. Einige Mitarbeiter hätten sichere Arbeitsplätze für die Olympia-Idee aufgegeben, in einem Monat seien sie arbeitslos.

Auf der anderen Seite sei es wichtig, die Bedeutung des Sports hochzuhalten. „Sport in Hamburg muss wichtig bleiben, daran müssen wir arbeiten“, sagte Holstein. Der Stellenwert des Sports sei schon durch die Olympia-Pläne ein ganz anderer geworden. Dazu zähle auch der integrative Gedanke. Die Pläne zum barrierefreien Ausbau der Infrastruktur in der Hansestadt hätten durch den Olympia-Stopp einen Rückschlag erlitten.

Italienische Presse: Rom verliert Rivalin

Die Zeitung „La Stampa“ schreibt zum Hamburger Referendum: „Rom verliert eine Rivalin für die Spiele 2024. Und es gibt da nichts zu feiern. (...) Nach dem Aus in Hamburg bleiben vier Städte im Rennen: Rom, Paris, Los Angeles und Budapest. Und es bleibt die Gewissheit, dass Olympische Spiele im Augenblick nicht all zu sehr geschätzt werden.“ Die„La Repubblica“ fasst zusammen: „Hamburg 2024 ist bei den Bürgern durchgefallen. Es bleiben noch drei Gegner für Rom im Rennen um die Olympischen Spiele 2024.“Die Zeitung „Corriere della Sera“: „Für Deutschland ist es der zweite ins Leere laufende Olympiaversuch der letzten zwei Jahre.“

Wirtschaftsrat: 1,2 Milliarden Euro sollten trotzdem investiert werden

Der Wirtschaftsrat der CDU bedauert den negativen Ausgang des Referendums und fordert den Senat auf, die für Olympia ohnehin vorgesehenen 1,2 Milliarden Euro in die Stadtentwicklung zu investieren. Landesvorsitzende des Wirtschaftsrates Hamburg, Gunnar Uldall: „Olympia wäre ein wichtiger Katalysator für das Wachstum und die Modernisierung Hamburgs gewesen. Die Wirtschaft hätte enorme Impulse bekommen. Diese einmalige Chance ist heute verspielt worden.“


Das vorzeitige Scheitern der Bewerbung dürfe nicht dazu führen, dass dringend notwendige Investitionen – jetzt ohne den Druck von Olympia – auf die lange Bank geschoben werden.

Hamburger Wohnungswirtschaft bedauert Entscheidung

„Die norddeutsche Wohnungswirtschaft bedauert die mehrheitliche Entscheidung der Hamburgerinnen und Hamburger gegen Olympischen Spiele in ihrer Stadt. Aus unserer Sicht eine vertane Chance für ein Mehr an Stadtentwicklung und Infrastruktur. Die Wohnungswirtschaft hätte das Olympische Dorf gern nachhaltig und mit bezahlbarem Wohnraum bebaut. Schade. Der Senat sollte die Bebauung des Kleinen Grasbrooks nicht mit Olympia beerdigen, sondern als Teil einer behutsamen und nachhaltigen Stadterweiterung weiter planen.“

Steinle befürchtet Stimmungswechsel im Sport

Der Präsident des Deutschen Ski-Verbandes, Franz Steinle, befürchtet nach dem negativen Olympia-Entscheid in Hamburg einen Stimmungswechsel im Sport. „Leider zeigt das Abstimmungsergebnis, dass die aktuellen Diskussionen um sportliche Großereignisse die lange Zeit sehr positive Stimmung in der Bevölkerung zu Olympia gekippt haben“, meinte der DSV-Chef.

„Mit dem vorliegenden nachhaltigen Bewerbungskonzept hätten der DOSB und die Organisatoren beweisen können, dass Olympische Spiele auch im 21. Jahrhundert ohne Gigantismus auskommen können“, betonte Steinle. Es sei mehr als bedauerlich, „dass diese Kernbotschaft und die zahlreichen Argumente pro Olympia trotz der vielfältigen und hervorragenden Kommunikation in den vergangenen Monaten nicht bei allen Bürgern


( HA )

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