Abendblatt-Serie

Werner Marnette: Unternehmer, unbequem, unbeugsam

| Lesedauer: 11 Minuten
Daniela Stürmlinger
Kupfer ist seine Passion. Fast 30 Jahre arbeitete Werner Marnette bei der Norddeutschen Affinerie (heute Aurubis), zuletzt als Vorstandschef von 1994 bis 2007

Kupfer ist seine Passion. Fast 30 Jahre arbeitete Werner Marnette bei der Norddeutschen Affinerie (heute Aurubis), zuletzt als Vorstandschef von 1994 bis 2007

Foto: Bertold Fabricius/Pressebild.de

Wie Chef der Norddeutschen Affinerie, die Übernahme eines Wettbewerbers unter schweren Bedingungen schaffte und am Ende doch zurücktrat

Er sitzt allein in seinem Büro im Silo am Hamburger Binnenhafen. Früher schwärmte ein Heer von Zuträgern, Sekretärinnen und Einflüsterern um ihn herum. Dass er diese nicht mehr hat, stört Werner Marnette, den ehemaligen Chef der Hamburger Kupferhütte Norddeutsche Affinerie (NA), seit 2009 Aurubis, nicht. Er war fast 30 Jahre bei dem Unternehmen, davon seit 1994 bis 2007 Vorstandsvorsitzender. Damals nahm er nach einem heftigen Streit mit dem Aufsichtsrat seinen Hut.

Seit Jahren schreibt er an seinem Buch „Banklee(h)re“ und feilt längst am Schlusskapitel. Es geht um die nach seiner Meinung schweren Verfehlungen bei der HSH Nordbank. Er nennt es „Betrug am Bürger“. Danach soll ein weiteres Buch mit dem Titel „1083 Grad Celsius“ kommen. „Bei dieser Temperatur wird Kupfer flüssig“, sagt er. Es geht um die Norddeutsche Affinerie seit 1990. Mit vielen früheren Kolleginnen und Kollegen hält er regelmäßig Kontakt. Auch die Hüttenwerker kennen ihn noch. „Kürzlich an der Ostsee ist zufällig ein Ofenmann aus der Rohhütte auf mich zugekommen. Wir haben uns lange über alte Zeiten unterhalten, das hat Spaß gemacht“, sagt er. Die Kupferbranche lässt den promovierten Ingenieur nicht los – obwohl sein Abgang spektakulär war.

Der Mann ist streitbar, hat aber viel geleistet. Nach der Liberalisierung des deutschen Strommarktes 1989 hat er die vier größten Energiekonzerne Deutschlands als vier Besatzungszonen und als Oligopole mit zu hohen Energiepreisen beschimpft. „Das musste ich machen, um die Arbeitsplätze unserer damals mehr als 3000 Mitarbeiter zu sichern“, sagt er.

Die Fehde zwischen dem kleinen David aus Hamburg und den vier Strom-Goliaths hat sogar dazu geführt, dass Marnette beim Bundesverband der Deutschen Industrie den Vorsitz des Energieausschusses abgeben musste. Alles, was er geschäftlich unternahm, um die NA zu sichern, hat er nach eigenen Angaben nur gemacht, damit Europas größte Kupferhütte weiterhin gedeihen konnte. Die NA ist Tradition. Der früheste bekannte Vorläufer ist die Firma Beit, Marcus und Salomon, Gold- und Silberscheider, welche 1783 zum ersten Mal im Hamburger Kaufmanns-Almanach benannt wurde.

Marnette gab nicht auf. Heute hat Aurubis einen langfristigen Liefervertrag mit Vattenfall in der Tasche. Darauf ist er stolz. „Wir hatten zuvor ein eigenes Kraftwerk fast zu Ende geplant. Dann legte sich der Hamburger Senat quer, und Vattenfall ist in die Knie gegangen.“ Auch sein Ziel, die NA an die Börse zu bringen, hat er 1998 geschafft. „Es war eine Gemeinschaftsleistung aller Affi-Mitarbeiter.“

Als aus zwei deutschen Staaten einer wurde, war Marnette 45 Jahre alt. Die Wiedervereinigung hat er begrüßt, schließlich konnte die NA damit einen weiteren Markt besetzen und suchte auch sehr schnell den Kontakt zu dem DDR-Kupferproduzenten MKM in Hettstedt. Marnette stand seit den 1980er-Jahren vor einer großen Karriere bei dem Hamburger Unternehmen. Er arbeitete sich schnell hoch, erst zum Vorstandsassistenten und Umweltbeauftragten, dann zum Betriebsdirektor und Vorstandsmitglied. Neben seinem Hauptjob hatte er zahlreiche Nebenämter. So war er viele Jahre im Präsidium des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) und auch Vizepräses der Handelskammer Hamburg. Im Jahr 2002 wurde er zudem zum Vorsitzenden des Industrieverbands Hamburg (ivh) gewählt. Um die 100 Mitgliedsunternehmen standen hinter ihm.

Marnette hatte damit das, was er am liebsten macht. Er verlieh der Hamburger Industrie mehr Bedeutung und nutzte sein Amt auch für den Kampf gegen die großen Energiekonzerne in Hamburg. Denn die Strompreise explodierten und lösten sogar die Schließung des Hamburger Aluminiumwerks aus. Doch dann gab es Krach, weil einige Verbandsmitglieder ihm bei der Energiepolitik und bei der geplanten engeren Zusammenarbeit mit der schleswig-holsteinischen Industrie nicht folgen wollten. Einem Mitarbeiter hat er zudem gekündigt. Das fanden viele Mitglieder nicht gut.

Am Ende trat Marnette zurück. Er konnte sich bei der NA nicht über zu wenig Arbeit beklagen. Auch engagierte er sich weiter stark für die Ausbildung junger Menschen und die Integration von Ausländern, insbesondere auf der Elbinsel Wilhelmsburg. Die Schule Slomanstieg auf der Veddel lag ihm besonders am Herzen. Für sein Engagement erhielt er 2005 das Bundesverdienstkreuz.

Werner Marnette feierte mit seiner Frau Angela in der Firma ins Jahr 2000

Der Mann war verheiratet mit seinem Job. Aus der Furcht vor Computerfehlern feierte er ins Jahr 2000 mit seiner Frau Angela im Werk. Sie machte freiwillig mit. Schließlich unterstützt sie ihren Mann auch heute noch gern. Für die Mitarbeiter gab es Berliner. „Wir mussten da sein, keiner wusste, ob die Technik nach Mitternacht noch funktioniert“, sagt er. Seine Frau hat der Arbeitersohn übrigens während des Studiums kennengelernt, als er als Taxifahrer jobbte. „Als sie sich in meinen Wagen setzte, war es um mich geschehen.“ Seine künftige Gattin hingegen hielt erst mal Abstand. Marnette, der Kämpfer, bewies Ausdauer. Noch heute sind die beiden – seit 43 Jahren – verheiratet und haben zwei längst erwachsene Kinder.

Ausdauer musste Marnette im neuen Jahrtausend wirklich haben. In der NA spielte sich ein Wirtschaftskrimi ab. Das Jahr 2007 war für den Manager das schlimmste. „Ich habe noch niemals jemanden betrogen“, sagt er heute. „Aber wir wurden betrogen.“

Nach mehreren Zukäufen in Deutschland sollte ab Ende 2006 als internationaler Wachstumsschritt die freundliche Übernahme des belgischen Wettbewerbers Cumerio folgen. Mitte 2007 stand das Projekt kurz vor dem Abschluss. Es war die größte Investition in der Geschichte der NA. Da verkaufte die Lübecker Possehl-Gruppe überraschend ihr Zehn-Prozent-Aktienpaket an den österreichischen Investor Mirco Kovats. „Das war Verrat, an dem auch eine für die NA beteiligte Bank beteiligt war“, so Marnette. Doch es kam noch schlimmer: Kovats stieg ebenfalls bei der Cumerio ein und übernahm dort bis zu 25 Prozent der Aktien. Die Cumerio-Aktie kletterte hierdurch zwischenzeitlich auf 30 Euro. Vor der Übernahmeschlacht kostete sie nur 22 Euro. Die NA musste bei dem Zukauf daher kräftig drauflegen.

Marnette drohten die Felle fortzuschwimmen, der Deal mit Cumerio hätte platzen können. Der Manager holte sich grünes Licht vom Aufsichtsrat, um mit Kovats zu verhandeln. Der Österreicher hatte sich den ehemaligen „Bild“-Mann Hans-Hermann Tiedje als Berater ins Haus geholt. Und der kannte das Unternehmen gut, weil er bis 2005 die NA beraten hatte und damit viele Interna über die Kupferhütte kannte. Das fand Marnette unfair. Er verhandelte, unterstützt von namhaften Gesellschaftsrechtlern mit Kovats und erzielte eine Einigung. Der NA-Aufsichtsratsvorsitzende Ernst J. Wortberg war stets informiert und stimmte der Einigung zu.

Wortberg bestritt aber später nach dem Widerstand einiger Aufsichtsratsmitglieder seine Zustimmung, weil Kovats nach dem Aktienrecht mindestens ein Aufsichtsratsmandat zugestanden werden musste. Der Aufsichtsrat zog nicht mit. Kovats, der schillernde Unternehmer, war dem Gremium nicht seriös genug.

„Alle Aufsichtsräte sagten Nein, auch die Vorstände standen bis auf Peter Willbrandt nicht mehr hinter mir, weil sie dem Aufsichtsrat nicht widersprechen wollten.“ Marnette durchschaute das Spiel. Am 25. September verlangte er auf einer Sitzung in Stolberg eine endgültige und protokollierte Entscheidung vom Aufsichtsrat über den Umgang mit Kovats. Dies lehnte der Aufsichtsrat ab. „Wortberg setzte mich massiv unter Druck. Ich fragte ihn deshalb, ob er die NA kaputt machen will. Er sagte, wenn dies dann so sein sollte, dann ist es so.“

Am 9. November kündigte er bei der Norddeutschen Affinerie

Marnette erlitt danach eine Herzattacke, die ihn auf die Intensivstation des Stolberger Krankenhauses brachte. Ein interner Machtkampf begann. Wortberg und einige Vertreter des Aufsichtsrats lehnten Verhandlungen mit Kovats ab und setzten weiter auf Kampf. Als sie Marnette zu einer Kapitalerhöhung als Abwehrmaßnahme zwingen wollten, zog dieser die Reißleine und legte am 9. November sein Amt als Vorstandsvorsitzender nieder. „Statt eines zugesagten Aufhebungsvertrags legte mir das Gremium ein Eckpunktepapier vor, das ich unterschreiben müsse. Ansonsten würde ich fristlos entlassen, drohte mir Wortberg.“ Marnette unterschrieb. „Bis heute habe ich von der NA allerdings keinen Aufhebungsvertrag erhalten. Man behandelte mich wie einen Straftäter.“

Wortberg sitzt heute immer noch im Aufsichtsrat. „Mein Fall ist typisch für das deutsche Aufsichtsratssystem. Selbst bei Fehlleistungen und schlimmen Verfehlungen droht nur in den seltensten Fälle eine Abberufung. Hier ist dringender Reformbedarf gegeben“, sagt der Unternehmer, der immer noch Kontakt zur NA hat.

Auch nach seinem Ausscheiden bei der NA blieb Marnette beruflich aktiv und gründete eine Beratungsfirma. Natürlich mit den Schwerpunkten Energie, Industrie und Rohstoffe. Im Juli 2008 wurde das CDU-Mitglied zum Wissenschafts-, Wirtschafts- und Verkehrsminister von Schleswig-Holstein berufen. Auch hier kämpfte der Mann um die Wahrheit, seine Wahrheit. Es ging um die HSH Nordbank, in deren Beirat er bis zu seiner Berufung zum Minister saß. Er kannte die Bank aus seiner Tätigkeit dort. „Die Bank zählte zum Ressort des Finanzministeriums. Ich habe mich aber trotzdem eingemischt. Denn mir war klar, dass dort über Jahre vieles schief gelaufen war.“

Als die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein zur Rettung der Bank eine milliardenschwere Kapitalerhöhung tätigen mussten, verweigerte Marnette als einziger im Kabinett die Unterschrift. „Da ich gravierende Mängel im Rettungspaket festgestellt hatte, konnte ich nicht unterschreiben.“ Marnette trat am 29. März zurück. Das verursachte der Kieler Landesregierung sehr viel Ärger. Trotzdem bestätigte Ministerpräsident Carstensen damals: „Marnette war ein exzellenter Wirtschaftsminister.“

Heute ist Marnette weiterhin Unternehmensberater. „Ich bin in der Kupferbranche aktiv, sitze in mehreren Beiräten von Unternehmen und im Aufsichtsrat eines Produzenten von Bau-Chemikalien“, sagt der Kenner der Kupferbranche. Neben dem chemischen Element gilt sein Interesse immer noch dem Thema Energie. „Die Energiewende, wie sie in Deutschland gemacht wird, ist unverantwortlich“, sagt der Kenner der Branche. „Erst werden die Kernkraftwerke stillgelegt, danach die Kohlekraftwerke. So kann man keine Industrienation erhalten.“

Marnette beklagt, dass die wichtigsten Voraussetzungen wie etwa Speicher für Energie noch nicht vorhanden sind und der Bund dennoch mit der Energiewende vorprescht. Der Mann kämpft unermüdlich für seine Visionen. Im September 2015 wurde er 70. Ob er dennoch weiter arbeiten will? „Sie glauben doch nicht, dass ich den ganzen Tag stillsitzen kann.“

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