Hamburg. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts könnte massive Auswirkungen auf die Arbeit von Industrie-, Handels- und Handwerkskammern haben. Besonders stark betroffen könnten die Handelskammer und Handwerkskammer in Hamburg sein. Bei dem Urteil geht es um die Wahlordnungen, nach denen die Kammern ihre Parlamente wählen. Dabei ist es üblich, dass das von den Mitgliedern gewählte Kammerparlament einige zusätzliche Vertreter hinzuwählt („kooptiert“). Damit soll zum Beispiel sichergestellt werden, dass alle Branchen im Parlament vertreten sind. In der Praxis werden häufig Vertreter bedeutender Firmen hinzugewählt.
Die Leipziger Richter aber haben nun entschieden, dass die Zuwahl (Kooptation) engeren Grenzen unterliegt, als bisher praktiziert (Az.: BVerwG 10 C 14.14). Die Zuwahl dürfe sich allein nach der Gewichtung von Wahlgruppen (Branchen) richten, entschied das Gericht in einem Fall, bei dem es um eine Duisburger Kammerwahl ging. „Eine Kooptation von Mitgliedern der Vollversammlung allein aus Gründen, die in der Person der Hinzugewählten liegen, sei es deren Reputation oder ihre Tätigkeit für ein Unternehmen von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung, wäre deshalb mit § 5 Abs. 3 Satz 2 IHK-Gesetz nicht vereinbar“, so die Richter.
Das Problem in Hamburg: Nicht nur zahlreiche prominente Wirtschaftsvertreter wie Flughafenchef Michael Eggenschwiler, E.on-Hanse-Chef Mathias Boxberger oder Vertreter von anderen großen Unternehmen wie Otto, Helios oder der Hochbahn wurden wohl auch wegen der Bedeutung der Firmen, die sie vertreten, hinzugewählt. Auch Handelskammer-Präses Fritz Horst Melsheimer und Handwerkskammer-Präsident Josef Katzer sind nicht von den Mitgliedern ihrer Kammern gewählt, sondern lediglich kooptiert, also von den Kammermitgliedern hinzugewählt worden.
Wie genau sich das Urteil auswirkt, ist zwar noch nicht abzusehen, da die schriftliche Urteilsbegründung bisher nicht vorliegt. Für den Handelskammer-Plenarier Tobias Bergmann vom Bündnis „Die Kammer sind wir“ aber ist jetzt schon klar: „Die Kooptation von Herrn Melsheimer und damit auch seine Wahl zum Präses war nicht gesetzeskonform. Das kann schon heute zweifelsfrei aus der Presseerklärung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig abgeleitet werden.“ Melsheimers Aufnahme in das Plenum entspreche auch nicht dem Geist der Kooptation. „Das Gegenteil ist der Fall“, so Bergmann. „Die Mitgliedschaft von Herrn Melsheimer als Geschäftsführer der SONORA Vermögens- und Grundstücksverwaltungs GmbH verzerrt das Spiegelbild der Wirtschaft im Plenum.“
Der Präses habe die wichtige Aufgabe, die Kammer und das Gesamtinteresse der Wirtschaft nach außen zu vertreten, so Bergmann. „Im Interesse der Hamburger Unternehmerinnen und Unternehmer sollte Präses Melsheimer ernsthaft darüber nachdenken, ob er dazu nach dem Leipziger Urteil noch die notwendige Autorität hat.“ Gregor Hackmack, einer von Bergmanns Mitstreitern bei den „Kammer-Rebellen“ im Plenum, ergänzt: „Schon die Umstände seiner Wahl waren dubios, doch seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist Präses Melsheimer endgültig ein Präses auf Abruf.“
Die Handelskammer-Führung sieht das anders: „Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Kooptation betrifft die IHK Duisburg“, betont ihr Kommunikationschef Jörn Arfs. „Es stellt die Kooptation nicht grundsätzlich infrage, legt jedoch Modifikationen der entsprechenden Rechtsgrundlage nahe.“ Die Handelskammer weise in ihrem 66-köpfigen Plenum zehn kooptierte Mitglieder auf, zwei davon seien auch Mitglieder des Präsidiums, so Arfs. „Wir gehen von der Rechtmäßigkeit dieser Kooptationen aus, da der Zuwahlvorgang über ein Jahr zurückliegt und nicht angefochten wurde. Sofern es die Urteilsbegründung erfordert, werden wir für die Zukunft unsere Regularien selbstverständlich entsprechend anpassen.“ Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz habe das Plenum bereits informiert.
Auch bei der Handwerkskammer sieht man (noch) keinen Handlungsbedarf. „Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts tastet die Möglichkeit der Zuwahl grundsätzlich nicht an“, so der Leiter ihrer Rechtsabteilung, Dietmar Buchholz. Ob das Urteil Auswirkungen auf die Handwerksordnung habe, bleibe abzuwarten. Eine Änderung sei gegebenenfalls Sache des Bundes.
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