Prozessauftakt

Billstedt am Abgrund: Mann hortet 3,4 Tonnen Sprengstoff

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Daniel Herder

Ein 46-Jähriger lagerte riesige Mengen im Keller eines Wohnhauses – auch Waffen wurden bei dem Mann gefunden.

Hamburg.  Billstedt stand am Abgrund. Wochenlang lebten die Bewohner praktisch auf einem Pulverfass – und ahnten nichts. Allein in einem fünfgeschossigen Wohn- und Geschäftshaus an der Billstedter Hauptstraße hatte Oliver R., 46, mehr als 2,1 Tonnen illegale Feuerwerkskörper gelagert: Böller, Kracher und Raketen, die rund 450 Kilogramm Explosivsprengstoff enthielten. Eine Menge, die ausgereicht hätte, das Haus und andere Gebäude in Schutt und Asche zu legen. Glücklicherweise entdeckte der Zoll das Arsenal am 30. Dezember 2014.

Oliver R. ist der Mann, dem Billstedt den spektakulären Einsatz zu verdanken hat. Ein unscheinbarer Kerl mit schon etwas lichten blonden Haaren, zumindest auf den ersten Blick kein Hochkrimineller, auch kein Psychopath, der – ohne mit der Wimper zu zucken – einen ganzen Stadtteil in die Luft jagen würde. „Phlegmatisch“ trifft es da schon eher: Oliver R. sagt aus, er habe schlicht nicht darüber nachgedacht, wie gefährlich es sein könnte, ein Wohnhaus bis unter die Decke mit „Polenböllern“ vollzustopfen.

Der 46-Jährige steht seit Montag vor dem Landgericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm mehrere Verstöße gegen das Sprengstoff-, das Waffen- und das Kriegswaffenkontrollgesetz vor. In seiner Kfz-Werkstatt am Borstelmannsweg und dem Wohnhaus in Billstedt hortete er mehr als 65.000 illegale Feuerwerkskörper mit einem Gesamtgewicht von 3,4 Tonnen, Netto-Explosivstoffmenge: 864 Kilogramm.

Das war bei weitem nicht alles. Was den Ermittlern sonst noch in die Hände fiel, hätte ausgereicht, eine kleine Armee auszurüsten. Sie stießen auf Granaten aus Beständen der Nationalen Volksarmee (NVA), eine russische Splittergranate, eine Pumpgun, eine Glock- und eine Beretta-Pistole, Signalwaffen und Tausende Schuss Munition. Hinzu kamen exotische Waffen wie ein Schießhandy mit einem als Antenne getarnten Lauf – und bizarrerweise auch 2,5 Kilogramm Gesteinssprengstoff.

Als Waffennarr sieht sich Oliver R. jedoch nicht. Schießen? Sei nicht sein Ding, sagt er aus. Einen Teil des Equipments hätten ihm Bekannte nach einer Kellerentrümpelung überlassen. „Was zum Teufel wollten Sie mit all dem Zeug?“, fragt die Vorsitzende Richterin Astrid Roderjan. Oliver R. zögert. „Vielleicht wollte ich es, weil es verboten war.“ Es sei ihm um das „Sammeln und Haben“ gegangen. Vielleicht, aber nur vielleicht, auch um den Nervenkitzel.

So ausweichend, so vage, so durch und durch um Harmlosigkeit bemüht wurschtelt sich Oliver R. auch durch die anderen kritischen Punkte des Verfahrens. Beamten hatten in seiner Werkstatt eine Tasse mit dem Konterfei von Adolf Hitler gefunden. Was es damit auf sich habe, will die Richterin wissen. „Och, das war nur ein Geschenk, da habe ich Stifte drin aufbewahrt“, sagt Oliver R. Im Portemonnaie verwahrte er eine Kundenkarte der bei Rechtsradikalen beliebten Modekette „Thor Steinar“. Warum? „Die haben eben vernünftige Klamotten“, sagt Oliver R. Er sei politisch „nicht interessiert“.

Eine von den Beamten beschlagnahmte Liste des Angeklagten enthält Preisangaben der bei ihm sichergestellten Waffen. Ein Hinweis darauf, dass er im großen Stil damit dealte? Auch hier lässt sich der 46-Jährige nicht festnageln. Die Preise habe er übers Internet gesucht, nur um den Wert seiner Waffen mal zu taxieren. Die Richterin zweifelnd: „Wir können Ihnen nicht das Gegenteil beweisen.“

Oliver R. arbeitete als Heizungsbauer, bevor er 2009 ins illegale Feuerwerksgeschäft einstieg. Zunächst habe er die Pyrotechnik für sich und Kollegen in Polen, Tschechien und Italien bestellt. 16.000 Euro zahlte er damals – in bar – für eine Charge, die per Transporter angeliefert wurde. Das Feuerwerk habe er dann mit Bekannten auf einem Acker abgebrannt. Als die Nachfrage stieg, wurde aus dem Böller-Freak ein Böller-Dealer – der 46-Jährige witterte das ganz große Geschäft.

Auch ein Polizist hat mit Waffen gehandelt

Als Verkaufsstätte diente forthin seine Werkstatt am Borstelmannsweg. Kunden gaben meist per SMS eine Bestellung auf. Vor Silvester glich die Werkstatt regelmäßig einem Taubenschlag. „Die Kunden kamen aus allen Schichten“, sagt Oliver R., „darunter waren auch Polizisten und Feuerwehrleute“. Einmal hätten ihm zwei uniformierte Polizeibeamte Raketen abgekauft. Namen werde er nicht nennen, er wolle „ja niemanden reinreiten“.

Im Keller und in der Tiefgarage des Wohnhauses wurde die Ware zwischengelagert. Dass es diesmal so viel wurde, damit habe er nicht gerechnet, sagt Oliver R. Vermutlich wäre er auf einem Teil sitzengeblieben. „Normalerweise kommen nur 50 bis 60 Prozent der bestellten Ware an, diesmal kam aber fast alles“, sagt der Angeklagte. Die Polizei traf am 30. Dezember drastische Maßnahmen: Straßen wurden abgeriegelt, Wohnhäuser evakuiert, 200 Menschen durften ihre Wohnungen erst nach dem Abtransport der Waffen und Feuerwerkskörper wieder betreten. „Was wäre, wenn es in dem Haus gebrannt hätte?“, will Roderjan wissen. „Ehrlich gesagt habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht“, sagt Oliver R. Da schüttelt die Richterin nur den Kopf. „Du meine Güte“, entfährt es ihr gleich zweimal. Der Prozess wird fortgesetzt.

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