31 Jahre nach dem Dioxin-Skandal in Moorfleet gibt es jetzt weitere Sanierungsmaßnahmen. Boehringer investiert Millionen – freiwillig

Moorfleet/Wilhelmsburg. Es war einer der größten Umweltskandale in der Geschichte der Bundesrepublik: Anfang der 1980er-Jahre wurden auf Hamburger Deponien mit Dioxin verseuchte Abfälle gefunden. Das tödliche Gift stammte vom Pflanzenschutzmittel-Produzenten Boehringer in Moorfleet. 1984 musste die Firma mit Sitz in Ingelheim auf Druck von Behörden und Öffentlichkeit ihren Hamburger Standort schließen. Zurück blieb ein mit gefährlichen Substanzen belastetes Areal rund um die Andreas-Meyer-Straße in Moorfleet. Zurück blieben auch rund 1600 Boehringer-Mitarbeiter, die mit dem Seveso-Gift Dioxin in Berührung gekommen und teilweise erkrankt waren.

Jetzt, 31 Jahre später, verkündeten Umweltsenatorin Jutta Blankau (SPD), die Firma Boehringer Ingelheim sowie der Bund für Naturschutz und Umwelt (BUND) einen seltenen Konsens: Mit einem Langzeitvertrag verpflichtet sich die Firma, das mit Chlorbenzol verseuchte Grundwasser in der Umgebung des früheren Industriegeländes zu reinigen und den Schadstoffabbau in den nächsten Jahrzehnten zu überwachen. Um die Sanierung zu beschleunigen, werden zusätzliche bis zu 25 Meter tiefe Brunnen gebaut. Einer davon soll auf einem Gelände der Hamburger Stadtreinigung in Moorfleet entstehen. Das Ziel: Innerhalb der nächsten 40 Jahre soll die gesamte Schadstoffmenge aus der sogenannten Fahne, dem Grundwasser in der Umgebung des Firmengeländes, entfernt werden. Es wird in einer Wasseraufbereitungsanlage gereinigt und danach in einen Kanal geleitet. Die Arbeiten sollen im Januar 2016 beginnen.

In den nächsten 40 Jahren soll die Schadstoffmenge reduziert werden

Wie die Umweltbehörde mitteilt, wäre Boehringer Ingelheim aufgrund eines Vertrages von 1990 nicht mehr verpflichtet gewesen, die Sanierung weiter zu betreiben. „Doch wir wollen auch in Zukunft Verantwortung übernehmen“, sagte der Hamburger Firmenrepräsentant Jörg Maier-Erbacher am Mittwoch in der Umweltbehörde. Umweltgruppen hatten sich nach Angaben von BUND-Sprecher Paul Schmid mit Nachdruck dafür eingesetzt, dass Boehringer erneut mit der Stadt einen Sanierungsvertrag abschließt.

In einer ersten Etappe stellt Boehringer 6,2 Millionen Euro zur Verfügung. Die Umweltbehörde beteiligt sich an der Sanierung einmalig mit 500.000 Euro. Senatorin Blankau würdigte den „Schulterschluss“ zwischen Behörde, Umweltverbänden und Chemieunternehmen. Das Engagement, erklärten BUND und Umweltinitiativen, sei ein „wichtiges Signal gegenüber der Hamburger Bevölkerung“.

Boehringer hat in Moorfleet nicht nur Dutzende von Tonnen Gift im Boden hinterlassen, sondern auch mit Chlorbenzolen verseuchtes Grundwasser. Während rund um das Betriebsgelände ein 1,5 Kilometer langer und bis zu 50 Meter tiefer Betonwall gebaut wurde, zielt die neue Maßnahme auf das Areal in der Umgebung (siehe Karte). In den nächsten 40 Jahren sollen Spezialunternehmen den Chlorbenzolgehalt im Grundwasser auf ein absolutes Minium senken. Chlorbenzole können Krebs auslösen. In weiteren 40 Jahren will Boehringer den Schadstoffabbau per Monitoring überwachen.

Von 1951 bis 1984 wurden auf dem Boehringer-Gelände Pflanzenschutzmittel hergestellt. Bei der Produktion entstand das schlimmste aller Dioxine – das Seveso-Dioxin. Dieses Gift wurde während des Vietnamkrieges als Bestandteil des Entlaubungsmittels Agent Orange eingesetzt. Nach dem Stopp der Hamburger Produktion stand zunächst die Sicherung des mit Dioxinen verseuchten Firmengeländes im Mittelpunkt der Sanierung. Zeitweise wurde der Versuch unternommen, die Böden des Werksgeländes zu verbrennen, doch das Projekt „Prometheus“ scheiterte.

Eine wissenschaftliche Auswertung des Hamburger Dioxin-Skandals dokumentiert, wie stark und gesundheitlich riskant die damals Beschäftigten durch ihre tägliche Arbeit mit Herbiziden und Insektiziden in Kontakt kamen. Die Ergebnisse der 2011 vorgelegten Studie belegen, dass die Boehringer-Mitarbeiter im Zeitraum von 1980 bis 2007 eine im Vergleich zum Hamburger Durchschnitt „signifikant erhöhte“ Sterblichkeitsrate hatten. „Ingesamt zeigt sich eine erhöhte Mortalität aufgrund von Krebserkrankungen bei den Beschäftigten des Hamburger Werkes der Firma C.H. Boehringer Sohn (Ingelheim)“, heißt es in der Studie.

Die Firma hat seit 1990 insgesamt rund 160 Millionen Euro in die Moorfleeter Bau- und Sanierungsmaßnahmen investiert. „Wir“, verspricht Unternehmensvertreter Maier-Erbacher, „werden auf freiwilliger Basis die Grundwasserfahne weiterhin, und zwar mit optimiertem und effizienterem Konzept, sichern und sanieren.“