Bei der Wahlparty der Christdemokraten werden erste Rufe nach einem Wechsel laut. Auf dem Parteitag am Donnerstag könnten „Köpfe rollen“.

Hamburg. „Betrüblich.“ So beschreiben viele Teilnehmer der CDU-Wahlparty in der Speicherstadt die Stimmung bei den Hamburger Christdemokraten zu Beginn der Veranstaltung. Noch länger werden die Gesichter im historischen Speicherboden, als um 18 Uhr die erste Prognose über die Bildschirme flattert: 16 Prozent – ein so tiefer Sturz wurde hier nicht erwartet. Kurzes, entsetztes Schweigen: Dann ruft jemand „Scheiße“, als die 7,5 Prozent für FDP genannt werden. Viele Christdemokraten gehen davon aus, dass die Liberalen ihnen mit ihrer peppig-unpolitischen Katja-Suding-Kampagne Wähler abgejagt haben.

„16 Prozent – das ist ein Drama“, sagt etwa Bernd Hauschild vom CDU-Ortsverband Othmarschen. Tatsächlich wurde der historische Tiefstand von 2011 – damals holte Christoph Ahlhaus 21,9 Prozent – am Ende noch einmal um sechs Prozentpunkte unterboten.

Auch Spitzenkandidat Dietrich Wersich spricht, als er um kurz nach 18 Uhr kommt, von einer „herben Niederlage“. Es habe keine Wechselstimmung gegeben, und die Wähler in Hamburg wollten wohl Olaf Scholz (SPD) als Bürgermeister behalten, sagt Wersich – eine deprimierende Einschätzung für einen Politiker, der sich im Sommer 2014 selbstbewusst zum „Bürgermeisterkandidaten“ wählen ließ. Davon, die Brocken hinzuwerfen, will der frühere Sozialsenator dennoch den ganzen Abend nichts wissen. Stattdessen ruft der 50-Jährige seine Partei zu Geschlossenheit auf und bedankt sich bei seinen Wahlkämpfern. Es gibt lauten Beifall für ihn, aber auch ein Rufer ist herauszuhören, der „neue Leute“ fordert.

Die Gespräche darüber, ob Wersich und/oder Parteichef Marcus Weinberg abtreten müssen und wer es an ihrer Stelle machen sollte, bestimmen den Sonntagabend. Noch am Montagabend trifft sich der Landesvorstand der Partei, und am Donnerstag ist Parteitag. „Dann werden Köpfe rollen“, sagt ein Parteimitglied.

Aber eine offene Rücktrittsforderung mag niemand formulieren. Das hat mehrere Gründe. Einer ist, dass sich keine Nachfolger aufdrängen. „Dietrich Wersich ist mit Abstand unser bester Mann“, sagt ein Bürgerschaftsabgeordneter. „Auf der anderen Seite müsste er fünf Jahre lang mit dieser 16-Prozent-Hypothek leben. Das ist echt ein Dilemma.“

Einige Parteimitglieder wünschen sich einen radikalen Wechsel an der Spitze und hoffen, dass der konservative Bürgerschaftsabgeordnete Christoph de Vries neuer Fraktionschef wird und stärker auf Themen wie Innere Sicherheit und Wirtschaft gesetzt wird. Das wäre eine Abkehr vom Profil der „liberalen Großstadtpartei“, das unter Ole von Beust geprägt und an dem auch nach seinem Abgang festgehalten wurde.

Allerdings bedingt das personalisierte Wahlrecht in Hamburg, das am Sonntagabend noch völlig unklar ist, wer überhaupt Abgeordneter wird. De Vries selbst rechnet nicht damit, dass Platz fünf der Landesliste – früher ein sicherer Platz – für den Einzug ins Parlament reichen wird. Die neue Fraktion müsse sich einen anderen Chef suchen. Nur wen, das ist derzeit völlig offen. De Vries: „Wenn man vom historisch schlechtesten Ergebnis noch sechs Punkte herunterrutscht, dann muss man Konsequenzen ziehen.“

Auch Roland Heintze wird als neuer starker Mann gehandelt. Der bisherige Haushaltsexperte der CDU-Bürgerschaftsfraktion ist mit Abstand der angriffslustigste Abgeordnete. Allerdings ist er kein Generalist wie Wersich, und die staatstragende Rolle als Bürgermeisterkandidat trauen ihm die wenigsten Parteifreunde zu. Im übrigen gilt auch für Heintze: Obwohl auf Platz zwei der Landesliste angetreten, ist dem 41-Jährigen der Einzug ins Parlament keineswegs sicher. Heintze selbst vermeidet es am Sonntag aber, irgendwelche Ambitionen anzumelden. „Es wird kein Schlachtfest in der CDU geben“, sagt er auf Fragen nach personellen Konsequenzen. Dietrich Wersich habe einen sehr guten Job gemacht, alles weitere müsse man jetzt analysieren. Die CDU brauche ein Konzept, auf welche Themen sie künftig setzen wolle und müsse dann die passenden Personen dazu suchen, glaubt Heintze.

Der Bürgerschaftsabgeordnete André Trepoll hatte hingegen den Eindruck, dass in diesem Wahlkampf „unsere gute Arbeit im Parlament niemanden interessiert hat. Leider.“ Mit anderen Worten: Die Führungsfigur wird wichtiger sein als die Inhalte. Einem anderen führenden Fraktionsmitglied rutscht gar das Wort „Trümmertruppe“ heraus bei dem Gedanken, wer künftig überhaupt für die CDU im Parlament sitzen wird. Denn fest steht bereits, dass ein halbes Dutzend versierter Fachpolitiker nicht mehr dabei sein wird.

Parteichef Marcus Weinberg warnt hingegen davor, jetzt alles über den Haufen zu werfen. „Ich bin Vertreter der liberalen Großstadtpartei, und Dietrich Wersich auch. Und das ist auch gut so.“ Die CDU habe aber drei Strömungen – das Konservative, das Christlich-Soziale und das Konservative. „Diese drei Strömungen müssen abgebildet werden.“ Dass es dafür zwingend neues Personal brauche, will Weinberg nicht behaupten. „Aber wir müssen diese Positionen etwas pointierter abbilden.“ Was immer das bedeutet – die Zukunft der CDU bleibt an diesem Abend offen. Um nicht zu sagen: im Dunkeln.