„Mit der Stadt vereinbarte Verbesserungen für Kitas kommen zu spät.“ Heutige Krippenkinder profitierten nicht davon

Hamburg. Das Rathaus kennen die Kinder schon. Sie haben sich hier schon mal umgeguckt und nach dem König erkundigt, der in diesem Schloss regiert. Am Mittwochvormittag werden die Kinder wiederkommen und erneut nach dem König fragen. Ob Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sie empfängt, ist allerdings noch unklar.

Inge Schrader vom Kinderhaus Rotznasen e.V. und ihre Kollegin Doris Noack von der Kita Die Schatztruhe e.V. aus Ottensen werden da sein, um zu protestieren, weil sie ihren Bildungsauftrag nicht erfüllen könnten. Sie haben alle Hamburger Kitas eingeladen, sich ihnen anzuschließen, um Scholz demonstrativ die Hamburger Bildungsempfehlungen zu treuen Händen zurückzugeben. Und zwar, bis Hamburg die Rahmenbedingungen schaffe, die notwendig seien, um diese umzusetzen. Zwei SPD-Abgeordnete, Melanie Leonhard und Andreas Dressel, werden die Protestgruppe empfangen.

Die „Eckpunktevereinbarung zu Qualitätsverbesserungen in Krippe und Kita“ vom Dezember 2014, die in einem Stufenplan bis 2019 die Erzieher-Kind-Relation in Krippen auf eins zu vier und bis 2015 auch für ältere Kinder verbessern soll, wirke zu spät. „Stellen Sie sich vor, Ihr Haus brennt und Sie wählen 112. Und sie bekommen dann zu hören, dass die Feuerwehr natürlich vorbeikommt. Allerdings erst nächsten Sonnabend. Man werde aber heute schon mal einen Eimer Wasser vorbeischicken. Klasse, oder?“, sagt Inge Schrader, die die Kita seit 18 Jahren leitet.

Auf gute Qualität könnten die Kinder nicht bis 2019 warten. „Alle Kinder in den Kitas, die jetzt groß werden, werden von den Verbesserungen nichts haben.“ Und die Erzieher würden ihren Aufgaben schon jetzt nicht mehr gerecht. Angesichts der tagtäglichen Überlastungssituation in vielen Einrichtungen brauche man deutlich schneller größere Entlastungsschritte.

Der Rechnungshof hatte jüngst ebenfalls den Betreuungsschlüssel moniert. Die „Anzahl der betreuten Krippenkinder pro Erziehungskraft“ sei teilweise zu hoch, heißt es im aktuellen Bericht. In 30 Prozent der Krippen würden durchschnittlich rund acht Kinder im Alter von bis zu drei Jahren von nur einer Person betreut. Im Elementarbereich, also bei Kindern von drei bis sechs Jahren, sei in einem Viertel aller Kitas das Verhältnis eins zu neun nicht eingehalten worden.

Der Zeitpunkt so kurz vor der Bürgerschaftswahl am 15. Februar ist wohl nicht von ungefähr gewählt. „Natürlich ist es ein Appell an die Parteien, das Thema ernst zu nehmen“, sagt Sabine Kümmerle, Geschäftsführerin des Alternativen Wohlfahrtsverband SOAL, der als Dachverband etwa 200 Kitas in Hamburg vertritt. „Es sind wesentlich mehr sehr junge Kinder, das ist betreuungsintensiver. Ihre Lernprozesse müssen sehr viel enger begleitet werden“, sagt Kümmerle. Es seien in den vergangenen Jahren unglaublich viele Anforderungen an die Kitas dazugekommen. Die Erzieher benötigten auch Zeit für die Vor- und Nachbereitung ihrer Arbeit.

„Hamburg hat es als eine der wenigen Städte geschafft, den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung umzusetzen“, sagt Björn Staschen, Vorstandsmitglied beim Landeselternausschuss Kindertagesbetreuung Hamburg (LEA), der die Interessen der Eltern und betreuten Kinder vertritt. Aber: „Aus Sicht des LEA hat der Senat den Aspekt ‚ohne dass Qualität sich verschlechtert‘, nicht ernst genug genommen: Während nominell die Personalschlüssel gleich geblieben sind, sind die betreuten Gruppen durch Rechtsanspruch und fünfstündige Gebührenfreiheit sehr viel heterogener und damit in der Betreuung aufwendiger geworden – mehr Wickelkinder, mehr Kinder mit Förderbedarf, mehr Kinder aus bildungsfernen Familien“, sagt Staschen.

Der LEA unterstütze daher den Protest am Mittwoch. Denn es dauere zu lange, bis der Krippenschlüssel nachhaltig verbessert werde. Unterstützung kommt auch vom Kita-Netzwerk Hamburg für mehr Personal in der Kinderbetreuung. „2015 wird ein heißes Jahr“, kündigt Netzwerk-Sprecherin Marina Jachenholz an. Man sei gerade dabei, größere Aktionen vorzubereiten.

Die Zahl der betreuten Krippenkinder (unter drei Jahren) hat sich durch das Krippenausbauprogramm auf etwa 22.000 Kinder verdoppelt, die Betreuungsquote stieg auf etwa 43 Prozent. Im Elementarbereich (Drei- bis Sechsjährige) werden rund 53.000 Kinder in Kitas, bei Tagesmüttern und in Vorschulklassen betreut.

Die Kinderbetreuung ist für Eltern so günstig wie noch nie – die fünfstündige Betreuung ist seit August 2014 gratis, Eltern zahlen nur für die Stunden darüber hinaus. Für die Stadt wird es im Gegenzug deutlich teurer. Für das laufende Jahr rechnet die Sozialbehörde mit Ausgaben von 662 Millionen Euro für Kitas, für 2016 mit 685 Millionen Euro.