Projekt „Gelebte Geschichte 1804“: Wie das Freilichtmuseum den bäuerlichen Brauch lebendig hält. Fester Bestandteil des Museumskonzepts ist, dass Tiere aus eigener Haltung geschlachtet werden.

Rosengarten/Hamburg. Während Holzscheite im Kamin brennen, wabert der Rauch durch das niederdeutsche Hallenhaus. In der Nähe des Feuers, dem Mittelpunkt des Wohn- und Stallhauses, sitzen Urte Spaltofski und Katrin Trottnow und zerschneiden mit einem Messer Bauchfleisch vom Bunten Bentheimer Schwein. Die beiden Darstellerinnen des Projekts „Gelebte Geschichte 1804“ stellen gerade Grützwurst her – mit Zwiebeln, Hafergrütze und Leber. Schließlich ist genug Fleisch da. Denn das Freilichtmuseum am Kiekeberg feierte am Sonntag Hamburgs größtes Schlachtfest.

Rund 1500 Gäste besuchten gestern ein bäuerliches Fest, das seit Jahrhunderten den Höhepunkt im Winter markiert. Kurz zuvor waren in einem niedersächsischen Hof Bunte Bentheimer Schweine geschlachtet worden. Wie zu früheren Zeiten wurde dieses Ereignis auch jetzt mit dem traditionellen Schlachtfest gekrönt. Die Museumsküche servierte Wellfleisch, rote und weiße Grützwurst und Bratwürste satt. Dazu auf Wunsch Grünkohl und Sauerkraut. Das alljährliche Kiekeberger Schlachtfest mit Schweinen aus eigener Haltung ist aber nicht nur ein kulinarisches Event. „Wir“, sagt Museums-Volkskundler Nils Kagel, „wollen zeigen, wie die Wurst vom lebenden Tier hergestellt wird und bis zur Ladentheke kommt.“ In Zeiten industriellen Schlachtens wüssten viele nicht mehr, wie diese Lebensmittel entstehen.

Für Fritz Kreft ist die Teilnahme an Hamburgs größtem Schlachtfest auf dem Kiekeberg der wohl wichtigste Auftritt im Jahr. Der 77-jährige Fleischermeister aus Harburg ist der letzte Hausschlachter im Hamburger Großraum. Noch heute fährt der Rentner nach Hittfeld und Sottorf (Rosengarten), um auf den Höfen Schweine und Rinder zu schlachten. In der Hansestadt selbst gibt es solche Hausschlachtungen nicht mehr. Mit einem Bolzenschussgerät tötet er die Tiere, wie er es als Fleischer von der Pike auf gelernt hat. Jährlich seien das rund sechs Schweine und zehn Rinder.

Fritz Kreft steht an einem Tisch auf dem Gelände des Freilichtmuseums. Hinter ihm köchelt die Wurstsuppe, vor ihm liegen Rückenteile und Bauchspeck vom Bunten Bentheimer Schwein. 300 Pfund brachte das geschlachtete Exemplar auf die Waage. Den Besuchern erklärt der Fleischermeister geduldig, welche handwerklichen Schritte vom Fleisch bis zur Wurst notwendig sind. Stets mit im Gepäck hat er seine Handsäge für die Rippen, die Gewürzkiste mit reichlich Kümmel und Majoran, Wurststopfer und Wolf. Am Ende steht ein Produkt, das wohl die meisten mögen: Landleberwurst und Thüringer Rostbratwurst.

Handwerk zum Anfassen will auf diese Weise das Freilichtmuseum am Kiekeberg präsentieren. Dass dabei Tiere aus eigener Haltung geschlachtet werden, ist fester Bestandteil des Museumskonzepts. „Wir sind kein Streichelzoo, die Tiere werden getötet und verwertet“, sagt Volkskundler Kagel. Bevor sie aber in einem Alter von rund einem Jahr geschlachtet werden, haben die Bunten Bentheimer Schweine ein gutes Leben mit viel Freilauf, fügt er hinzu.

Bis zu den 1950er-Jahren stand diese Schweinerasse mit dem stark fetthaltigem Fleisch ganz oben in der Gunst der Deutschen. Doch je mehr sich das Ernährungsverhalten wandelte, verlor dieses fette Fleisch bei den Konsumenten an Bedeutung. In den 1990er-Jahren gab es bundesweit nur noch rund 100 Zuchttiere. Anliegen des Freilichtmuseums ist es deshalb, einen Beitrag zum Erhalt der stressresistenten Haustierrasse mit den Schlappohren zu leisten. „Die Schweine sind unsere Stars“, sagt Kagel. Wie das Fleisch vor mehr als 200 Jahren verarbeitet, gepökelt und geräuchert wurde, das demonstrieren die Mitarbeiter des Projekts „Gelebte Geschichte 1804“. Die Versicherungsmaklerin Katrin Trottnow, die sich Bauernmagd Trina nennt, weiß, wie man Bauchfleisch zu Grützwurst macht und in einen Leinenbeutel steckt. Sie sitzt auf einem Schemel wie die Mägde im Jahr 1804, als sich Napoleon zum Kaiser krönen ließ.

Den Schlachtfestgästen gefällt das historische Ambiente. „Prima, dass wir hier erfahren, wie Wurst entsteht“, sagt eine Winsener Schülerin. Und allen schmeckt’s. Jutta Mählmann und Harald Böttche aus Bramfeld genießen Wellfleisch, Grützwurst, Grünkohl und Sauerkraut. Derweil liegen wenige Wochen alte Ferkel auf dem Stroh im Stall: Der Nachschub für das nächste Schlachtfest ist gesichert.