Die Stadt gibt den Protesten besonders an der Berner Au nach: Tief liegende Ausdehnungsflächen für Wasser werden noch einmal ermittelt. Die Anwohner bleiben aber skeptisch

Hamburg. Es war ein Streit, der die betroffenen Hamburger auf die Barrikaden getrieben hat – jetzt rudert die Behörde zurück: Die Überschwemmungsgebiete (ÜSG) werden neu ausgewiesen. Dafür lässt die Umweltbehörde die Topografie der Stadt neu vermessen. Auf dieser Basis sollen die tief liegenden Gebiete berechnet werden, die dann als Ausdehnungsflächen für Binnenhochwasser vorgehalten werden sollen. Damit reagiert die Behörde auf die massiven Bürgerproteste und die Bedenken der Politiker. Auch in der SPD-Bürgerschaftsfraktion waren die geplanten Verordnungen zur Ausweisung von insgesamt elf neuen ÜSG in Hamburg auf Kritik gestoßen – und bisweilen auch auf Befremden.

Betroffen sind etwa 5000 Haushalte auf 2180 Grundstücken in insgesamt elf Überschwemmungsgebieten, die die Stadt neu festsetzen will. Viele der Gebiete, die im Falle von Binnenhochwassern den Fluten keine Deiche entgegensetzen sollen, sondern Flächen zur Ausdehnung der Wassermassen, sind besiedelt. Die Ausweisung als ÜSG bedeutet massive Einschränkungen für die Grundeigentümer: Neubauten sind nur noch per Ausnahmegenehmigung möglich, auch Pflanzungen in den Gärten unterliegen wasserrechtlichen Vorgaben und sind grundsätzlich genehmigungspflichtig. An die Stelle des einklagbaren Rechts auf eine Baugenehmigung tritt so ein verkompliziertes Verfahren ohne Anspruch auf einen positiven Bescheid.

Vor allem an der Berner Au, aber auch an der Kollau und der Lottbek gab es Widerstand. An der Berner Au sind 305 Grundstücke mit etwa 500 Haushalten betroffen. Viele Grundstückseigentümer fühlen sich enteignet, Die Grundstücke galten als derzeit kaum noch verkäuflich. Für manche Hausbesitzer bräche damit ihre Altersversorgung zusammen. Die Reaktion auf das Einlenken der Behörde war an der Berner Au dennoch verhalten.

„Es klingt schön, wenn die Behörde neu rechnet. Aber sie müsste auch die Voraussetzungen ihrer Rechnung überdenken“, sagte der Sprecher der Initiative „Kein ÜSG Berner Au“, Thomas Müller. Für die Behörde ist das Flüsschen ein natürliches Gewässer, für die Anwohner eher ein öffentliches Siel. Denn ohne die Regenwassereinleitungen würde die Berner Au gar kein Wasser mehr führen.

Für Sielanlagen wird mit dem hypothetischen Wasserstand eines 30-jährigen Hochwassers gerechnet, für natürliche Gewässer wird der Wasserstand eines 100-jährigen Hochwassers angenommen. Die Behörde hatte zwar zugegeben, dass die Berner Au Entwässerungsfunktion hat, sieht sie aber auch weiterhin als natürliches Gewässer an. Das Regenwassereinzugsgebiet der Berner Au ist etwa 19 Millionen Quadratmeter groß, das derzeit ermittelte Überflutungsgebiet in der Senke um die Krögerkoppel 700.000 Quadratmeter.

Das städtische Gutachten zur Renaturierung der Berner Au vom April 2013, herausgegeben vom Bezirksamt, spricht sogar von einem 22 Quadratkilometer großen Einzugsgebiet für Regenwasser. 32 Einleitungen hat die Umweltbehörde gezählt. Laut Renaturierungsgutachten des Bezirks ist die Berner Au überlastet, weil sie mit sprunghaft ansteigenden Wasserständen nicht fertig werden könne. Empfohlen wird, Ausdehnungsflächen anzulegen. Diese sollen aber vor den Einleitungsrohren in der Berner Au liegen, nicht an der Berner Au. Mit anderen Worten: Das Gutachten empfiehlt die Anlage oder technische Aufrüstung von Rückhaltebecken. Denn das Zurückhalten von Einleitungen bzw. deren genaue Dosierung kann den sprunghaften Anstieg von Wasserständen vermeiden.

Die ÜSG dagegen würden nach den Einleitungen und entlang der Berner Au Flächen vorsehen, die zur Überflutung freigegeben sind und also von der Stadt nicht verteidigt werden. „Das ist für uns nicht hinnehmbar“, sagte Müller. Er verwies auf die zahllosen Nachverdichtungen im Einzugsgebiet der Berner Au, die die eingeleiteten Regenwassermengen beständig gesteigert hätten. „Die Stadt hat das Hochwasserrisiko selbst sehenden Auges verschärft und tut es noch. Die Zeche zahlen sollen aber wir. Das geht nicht.“

Die Umweltbehörde sagt, dass ÜSG nach den Forderungen der EU und des Bundes innerhalb von Hochwasserrisikogebieten festzusetzen sind, und macht die Berner Au als ein solches aus. Die Wasserstände, mit denen zu rechnen sei, seien jedoch so hoch, dass intakte Gräben und erweiterte Rückhaltebecken nicht mehr helfen würden. Auch das bestreiten die Anwohner. Sie verweisen darauf, dass in den fast 100 Jahren Siedlungsgeschichte an der Krögerkoppel die Berner Au noch nie über die Ufer getreten sei – auch nicht Weihnachten, als viele Keller vollliefen.

Das von der Bürgerinitiative gestartete Bürgerbegehren, mit dem sie die Pflege und den Ausbau der Rückhaltebecken, Siele und Gräben per Volksabstimmung erzwingen wollte, ist als unzulässig abgelehnt worden. Das Bezirksamt monierte die Fragestellung als zu weitreichend. Zulässig ist ein bezirkliches Bürgerbegehren im Bezirk nur, wenn die Fragestellung innerhalb der bezirklichen Entscheidungskompetenzen liegt. Das sei nicht der Fall, da die in Rede stehenden Maßnahmen zur Gewässerunterhaltung die haushalterischen Möglichkeiten des Bezirks überstiegen. Das Amt schlug eine alternative Formulierung vor, die den empfehlenden Charakter des Votums betont. Die Initiative hat jetzt sechs Wochen Zeit zu überlegen, ob sie das akzeptiert.