Hamburgs Krankenhäuser fürchten Aderlass durch Vorgaben aus Berlin. Wer mehr operiert, soll es teils kostenlos tun

Hamburg. Das Kliniksterben auf dem Land nützt den Hamburger Krankenhäusern: 66 Prozent der Häuser zwischen Nordsee und Harz rechnen mit roten Zahlen und fürchten um ihre Zukunft. Das zeigen neue Zahlen der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft. Viele neue Patienten werden für planbare Operationen nach Hamburg kommen. Denn an Alster und Elbe gibt es genügend Kliniken, ausreichend Fachärzte und eine Konkurrenz unter den Häusern, die die Kranken nur vor die Qual der Wahl stellt – noch.

Denn Hamburgs Krankenhäuser fürchten einen Aderlass durch die neuen Vorgaben der Großen Koalition in Berlin und die des Senats. Und wer mehr operiert, soll in Zukunft bestraft werden – oder es kostenlos tun. So sieht die Hamburgische Krankenhausgesellschaft (HKG) die Eckpunkte der Bund-Länder-Arbeitsgruppe.

HKG-Geschäftsführerin Dr. Claudia Brase sagte dem Abendblatt: „Wir hatten uns eine große Krankenhausfinanzierungsreform vorgestellt, die Lösungen für die grundlegenden Probleme bietet: die chronische Unterfinanzierung der Betriebskosten, die Überlastung des Krankenhauspersonals sowie die Herausforderungen, die unsere alternde Gesellschaft an die Krankenhäuser stellt.“ Stattdessen gebe es nur neue Regelungen. „Unter dem Siegel der Qualität sollen Bürokratie und Planwirtschaft in die Krankenhäuser Einzug halten.“

Große Koalition, kleine Lösung? Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) widerspricht. „Wir werden bundesweit gelobt für unsere Investitionen.“ Hamburg habe in der Zeit der SPD-Alleinregierung 400 neue Betten aufgebaut. Und die Eckpunkte sähen sogar einen Metropolenzuschlag vor. Hamburg dürfe noch mehr Patienten aus dem Umland versorgen als jetzt.

Politik und Krankenkassen sind misstrauisch, dass aus wirtschaftlichen Erwägungen zu viel operiert wird. Dagegen wenden sich Ärzte und Krankenhäuser. Und sie präsentieren Daten: Bei Hüft- und Knieoperationen stagnieren die Zahlen der Erstimplantate oder gehen trotz immer mehr älterer Bürger zurück. Allerdings gibt es mehr Eingriffe, weil künstliche Gelenke nach Jahren ausgetauscht werden müssen. Die Lebenserwartung der Deutschen überdauert das Material.

Hamburg, das belegt das Statistische Bundesamt, ist bundesweit Spitze bei besonders schweren Fällen und komplizierten Operationen. Heißt: Die Kosten pro Fall sind höher. Vergütet werden Hamburgs Häuser aber im Bundesvergleich unterdurchschnittlich.

Das passt nicht zusammen, sagen die Krankenhausvertreter und fordern mehr Geld. Dr. Christoph Mahnke, Mitglied der Geschäftsführung von Asklepios, sagte, gerade in Hamburg habe der Wettbewerb zu Qualität und Wachstum geführt. „Diese positive Entwicklung wird jetzt durch eine Vielzahl von leistungs- und wachstumsfeindlichen Regelungen zum Stocken gebracht.“

Allerdings wollen auch die Krankenkassen mitreden. Jens Baas, der Chef Deutschlands größter Kasse, der Techniker Krankenkasse, hatte dem Abendblatt gesagt, man könne durchaus teilweise nach Qualität bezahlen. „Wir wollen nur denen etwas wegnehmen, die schlechte Qualität liefern. Wer weit unterdurchschnittlich arbeitet, erhält Zeit, das zu verbessern. Aber wer dauerhaft schlechte Qualität liefert, bekommt gar nichts.“ Baas sagte jetzt der Deutschen Presse-Agentur, die Kassen könnten auch die Krankenhausinvestitionen bezahlen. „Dann wollen wir aber dabei mitsprechen, wo Infrastruktur auf- und wo abgebaut wird.“

Da werden sich die Krankenhäuser kaum reinreden lassen. Schon heute streiten Kliniken und Kassen darum, ob alle Rechnungen korrekt sind, die für Patienten eingereicht werden. Wird das Bund-Länder-Papier umgesetzt, gibt es Zuschläge und Kürzungen für viele Häuser. Dann sitzen im Klinikmanagement mehr Menschen, die die Abrechnungen optimieren, und in den Kassen mehr Prüfer. „Das baut Bürokratie auf und wird zum Schlachtfeld bei den Abrechnungen, denn es geht ja um Milliarden“, sagte ein Experte dem Abendblatt. „Das Geld sollte man lieber unmittelbar für Medizin ausgeben.“

Rund um die Metropolregion Hamburg gibt es noch kleine Krankenhäuser, die ums Überleben kämpfen. Dort sollen laut Eckpunktepapier Häuser und Abteilungen zusammengelegt, neue Ambulanzen errichtet werden. Dafür stellt die Politik 500 Millionen Euro aus dem Gesundheitsfonds und weitere 500 Millionen von den Ländern zur Verfügung. „Das haben wir der Bundesregierung abgerungen“, sagt Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks. Experten sprechen von „Abwrackprämie für Krankenhäuser“. Die für alte Autos war in der Finanzkrise sehr erfolgreich.